KOMMA WINTERFEST, 10.02.2018, Komma, Esslingen
Wenn das Komma zum Winterfest lädt und gleich fünf Bands auf die Bühne stellt, dann rücken wir in Mannschaftsstärke an. Nicht nur der Arbeitsteilung wegen. Die stilistische Vielfalt ist für einen Autoren einfach zu groß. Nur der arme Fotograf, der muss das Mammutprogramm im Alleingang stemmen.
Gute Nachrichten der ersten Februar-Wochenenden. 1. Wochenende: Rocket Freudental melden sich mit einer neuen Single zurück. 2. Wochenende: Es ist wieder Komma Winterfest. Als der Gig-Blog-Reisetrupp in Esslingen ankommt, hätten eigentlich schon die Wolf Mountains auf der Bühne stehen müssen, aber der Einlass verzögert sich. Mit einigen Getränken wird die Wartezeit verkürzt und das Gespräch dreht sich um Rocket Freudentals „Sinuskurve abwärts“ und die darin enthaltene Hommage an Kevin Kuhn. Durch das artikulierte Ich, das über sein Gesicht verlauten es lässt, es sei „nicht mal halb so attraktiv wie der Arsch von Kevin Kuhn“. Szenenwechsel, wenige Minuten später im Großen Saal. „Du, Reini, weißt Du, dass es in Summer of 69 gar nicht um das Jahr geht?“ Der von Rocket Freudental adressierte Kuhn feixt, wie er es eben am liebsten tut und kontert damit einen Zwischenruf. Der umtriebige, seit einiger Zeit nach Berlin abgewanderte, Nerven-Schlagzeuger nutzt die Pausen zwischen den einzelnen Songs zum Luftholen. Die Schlafanzugshose-Schrägstrich-Leggins lässt er an, doch Grimassen schneidend und bis an die physischen Grenzen trommelnd, ist Kuhn in seinem Element.
Nachdem das Trio „vom Marienplatz“ letztes Jahr mit seinem zweiten Album „Superheavy“ sogar vom Rolling Stone wahrgenommen wurde, wurde der Band um Kuhn, Gitarrist Reinhold Emerson und Bassist Thomas Zehnle einiges an Aufmerksamkeit zuteil. Natürlich völlig zurecht, wie man als Stuttgarter schon lange weiß. In Esslingen wird deutlich, dass die Band auch live immer besser wird, das Zusammenspiel unheimlich straight ist. Dass mancher Mailorder-Rezensent dabei an „Jazz“ denken muss, ist dann aber nicht nur den drei Musikern selbst unverständlich. Nach 40 Minuten Surfgitarren, zwischen Emerson und Kuhn wechselndem Gesang und herrlichen Feedbacks, verlassen Wolf Mountains die Bühne. „Summer’s Gone“ als letzter Song, immer wieder schön.
– Jens
Dank Top-Organisation stehen schon nach wenigen Minuten Umbau die Noseholes aus Hamburg auf der Bühne. Ein neues Gewächs aus dem Hause Chu Chu Records – und dank Harbinger Sound (Sleaford Mods) bereit für den englischen Markt. Soviel wohlklingende Namen wecken hohe Erwartungen. Und – um ehrlich zu sein – ich habe keine Ahnung, was da auf mich zukommt. Das Debüt-Album „Danger Dance“ ist gerade mal acht Tage alt. Im ersten Moment etwas sperrig, was die Band um Sängerin ZooSea Cide da auf die Bühne bringt. Vertrackte Beats, nach Synthie klingende Gitarrensounds, trockene, hektische Bassläufe und Sprechgesang zwischen Langeweile, Genervtheit und Hysterie. Spontane Assoziation: die schrägen Funk-Jazzer Slickaphonics aus den 1980ern. Jazz? Ja tatsächlich: irgendwo zwischen kühlem No Wave, Punk, modernem Jazz und Funk bewegt sich das. Dabei überaus tanzbar, was die Sängerin auch gleich vormacht. So ganz rund ist der Liveauftritt noch nicht: die Songs enden immer etwas überraschend, was kurz eine Stille erzeugt, bevor die Publikumsreaktion kommt. (Der arme Drummer muss auch nach jedem Song von seinem Podest herabsteigen, um die Bassdrum zurück an ihren Platz zu befördern) Als der Bassist zum letzten Titel ein Saxophon hervorholt und freejazzige Kiekser verhallen lässt, haben die Noseholes mit ihrem Set jedenfalls einen ganz eigenen Farbklecks auf die bunte Palette des Winterfests gezaubert. Man darf gespannt sein, wie sich diese Band entwickeln wird, ausreichend Potenzial ist auf jeden Fall vorhanden.
– Holger
Dass ausgerechnet ein Hip-Hopper das beste Konzert des Winterfests spielen wird, war nicht unbedingt so zu erwarten. „Du Penner!“. Als „Professor für angewandte Misanthropie“ bezeichnet sich der Künstler, der sich Amadeus Magnus Ephraima Täubling, kurz Der Täubling nennt. Und seine Kunstform erhebt er kurzerhand zur „Schlimmbeleidigung“. Als vor einigen Jahren erste Songs auf Youtube erschienen, wurde dem Leipziger schon einige Aufmerksamkeit zuteil. Letztes Jahr erschien das Debütalbum und zwischen der Signature-Line „Du Penner“ und jeder Menge Beleidigungen wartete es mit rhetorischen Raffinessen und literarischen Anspielungen in Höchstmaß auf. Hinter einer verstörenden Hasenmaske versteckt, tobt ein junger Mann über die Bühne, keift, übt sich in Handkes Kunst der Publikumsbeschimpfung, trinkt Kessler-Sekt, raucht Kette, isst Zitrone und steckt sich schonmal eine in die Hose. Der Auftritt ist so irritierend wie berauschend, was auch daran liegt, dass die härteste Misanthropie mit Pumuckl-Zitaten und Helge-Schneiderismen abgemildert werden.
Der Täubling gefällt sich in der postmodern geschliffenen Performance, kokettiert mit germanistischen Insidern („Nazis checken Hölderlin nur mit Lektüreschlüssel“), zeigt sich belesen – nicht nur weil explizit auf Goethe und Trakl verwiesen wird – und führt Stilmittel ad absurdum. Dazu pendelt der visuell irritierende Auftritt von Anspielungen auf psychische Erkrankungen wie Schizophrenie (vgl. das großartige „Für Jean Baptiste„), Tourette Syndrom oder Borderline hin zu ironischen Seitenhieben auf Hip-Hop-Stereotype („Ich hab‘ Bushidos Schwanz gelutscht und es hat gut geschmeckt, doch ihm danach eine falsche Nummer zugesteckt“ ) und bitterbösen Satiren auf den politischen wie kulturellen Alltag. Am Ende bleibt Begeisterung und die Erkenntnis:
Akademiker haben den besseren Sex, aber Günter Grass war in der Waffen-SS.
– Jens
Nach dem Schwanken zwischen Faszination und Irritation der Performance des „Der Täubling“ steht meine erste Wahl des Winterfests an: Wandl, eigentlich Lukas Wandl, aus Wien. Nach schneller Vorabrecherche eilt ihm ein Ruf als Electronic-Wunderkind voraus. „Alles wird gut. Wandl verspricht Heilung auf seiner Tournee“, verkündet er auf seiner Facebookseite. Dann wollen wir mal sehen, das Set ist angerichtet, vor der Bühne haben sich Partygirls und Boys eingefunden, die schon etwas zu viel im (Tanz-)Tee haben. Wandl tänzelt zwischen seinem Laptop und Keyboard und wirkt ganz versunken beim Spiel auf den Tasten. Die Electronic Beats wirken fast hypnotisch und einlullend. Die Melodien schwanken zwischen wolkenverhangenen Sonntagen und milden Sonnentagen.
Wandl fühlt sich im dunklen Licht wohl. Mit seinem jungenhaften Lächeln wirkt er sehr herzig. Er ist deutlich überrascht, dass so viele Leute gekommen sind. „Why do you feel high, when I feel low?“ singt er mit schöner ernster Traurigkeit. Der Klangteppich wird ausgeschüttelt, heraus kommt eine interessante Kombination aus Hip Hop Beats, Soul und Blues. Leichtigkeit und Melancholie lehnen aneinander. „Wollt ihr was Schnelles oder ich hab auch noch Hip Hop Remixes„, Wandl überlässt dem Publikum die Wahl. Was schnelles wird gewünscht. Da liegt auch für mich der einzige Wermutstropfen des Sets, von der Dramaturgie her, nach den schönen verträumten Lo-Fi Songs den Bogen zwischendurch etwas zu spannen. Aber von diesem jungen Rohdiamanten wird man sicher wieder etwas hören und sehen.
– Sabine
Als Gig-Blogger fühlt man sich immer etwas unwohl, wenn eine Band als „Legende“ oder „Kult“ angekündigt wird und man bis dato noch nie von ihr gehört hatte. Chain and the Gang zum Beispiel, das Projekt des offensichtlich enorm wichtigen Ian Svenonius. Naja, das Komma beschäftigt uns ja immer gerne mit sperriger Nischen-Musik (der heutige Abend ist ein Beweis dafür) – und schließlich kann man nicht alles kennen. Beschränken wir uns also auf das, was wir hier erleben. In die Background-Info arbeiten wir uns später ein.
Nach Mitternacht betritt Svenonius die Bühne zusammen mit vier Musikerinnen. Die gesamte Band stilsicher in rosafarbene Leoparden-Anzüge gewandet. Spontane Assoziation: die stylischen Auftritte von Robert Palmer in den 1980ern. Musikalisch wird hier aber ganz anderes geboten: „Crime Rock“, ultra-druckvoller Garage Punk mit Funk, viel Spektakel und ganz großen Gesten. Was Verlebtheit, sichtbare Folgen des Rock’n’Roll-Lebens und Bühneneinsatz betrifft, bewegt sich Svevonius locker in der Liga von Iggy Pop. Wie ein Derwisch tobt er über die Bühne und durchs Publikum – ohne Rücksicht auf seine und anderer Gesundheit. Erstaunlich ist übrigens der Wandel im Publikum: während zu Wandl die Jugend abfeierte, bewegen sich nun auffällig viele älteren Herren in den vorderen Reihen. Dass einer der Senioren völlig deplatziert durch den sonst freundlichen Moshpit berserkert und auch sonst eine unnötige Aggro-Stimmung verbreitet, bringt ihm wenig später – zu meiner Genugtuung – eine handgreifliche Maßregelung durch Herrn Svenonius ein.
Die Band ist übrigens weit mehr als nur schmückendes Beiwerk für den Frontmann. (Auch wenn die mit ihrer stoisch-lasziven Langeweile-Attitüde natürlich eine wunderbaren Kontrast bilden) Die Gitarristin haut ganz lässig feine Soli raus, die zweite Sängerin ergänzt Svenonius überaus präzis. Und überhaupt ist das ganze spätestens ab dem zweiten Titel äußerst tight. Als das Set gegen ein Uhr morgens endet, ist die Stimmung jedenfalls prächtig.
Das Winterfest hat es geschafft, ein enorm vielfältiges Publikum anzuziehen. Und mit seinem anspruchsvollen Programm sowohl die Youngsters in der Party-Crowd begeistert als auch ältere Musik-Connoisseure. Für mich ein neuer Fixpunkt im Konzertjahr.
Und das leckere vegane Linsen-Curry wollen wir zukünftig bei jedem Komma-Gig.
– Holger