ERREGUNG ÖFFENTLICHER ERREGUNG, REAL WAR, 12.01.2018, Merlin, Stuttgart
Wenn es in der Stuttgarter Kulturszene in den letzten Wochen eine Erregung öffentlicher Erregung gab, dann die über das Thema „Förderung von Popmusik“. Über das „ob“ und das „wie“ wurde heiß diskutiert, Einigkeit herrschte eigentlich nur darüber, dass es eine ausgewachsene Blödheit war, 80.000 Euro nach Düsseldorf zu überweisen, von wo das New Fall Festival importiert wurde. In seiner zweiten Auflage war es weder besonders innovativ kuratiert, noch hat es der lokalen Musikszene – außer einer Feigenblatt-Veranstaltung – einen größeren Mehrwert beschert. Wie man mit einem wesentlich geringeren Förderbetrag Impulse setzen kann, das beweist das Merlin seit Jahren mit dem Pop Freaks Festival.
So auch 2018. Als das von Merlin-Booker Arne Hübner gestaltete Programm veröffentlicht wurde, musste ich erstmal hektisch die Suchmaschinen anwerfen: Erregung Öffentlicher Erregung? International Music? Ankathie Koi? Boiband? Nie gehört. Neben bekannten Gesichtern wie Sophia Kennedy, Rocko Schamoni, Linus Volkmann oder Peter Muffin also ein Haufen Bands, die ich – und auch andere aus meiner Musik-Nerd-Filterblase – noch nicht mal vom Hörensagen kannte. Anzunehmen, dass es vielen potentiellen Besuchern auch so ergangen ist. Und nun das Pop-Freaks-Phänomen: der Eröffnungsabend ist trotzdem bestens besucht! Das kann ich mir nur durch eines erklären: Das Merlin hat dem Festival mit seinem konsequent mutigen und fast immer erfolgreichen Booking im Laufe der Jahre eine große Glaubwürdigkeit verschafft. Und dann kommen auch ausreichend viele neugierige Besucher zu Bands, von denen sie noch nie etwas gehört haben. All dies ist nur möglich, weil ein Kulturverein, viel ehrenamtlicher Einsatz und eine Förderung das wirtschaftliche Risiko minimieren. Und damit der „Kulturstadt“ Stuttgart ein relevantes und aufregendes Festival bescheren, das ein sicheres Gespür für kommende Trends hat. Zum Schnäppchenpreis.
Und gleich die erste Festival-Band, Real War aus Stuttgart, profitiert von diesem glücklichen Setup. Vor fast vollem Haus darf sich das Duo präsentieren. Es nutzt seine Chance bravourös. Sänger Oliver Hauber (Kaufmann Frust) und Multiinstrumentalist Kevin Thellmann präsentieren eine interessante Mischung aus Elektro-Pop, Ambient und schon fast krautig breit angelegtem Elektronik-Gefrickel. Hauber bearbeitet seinen Gesangsvortrag mit einem Effektgerät, während Thellmann mit Gitarre, Synthesizern und diversen elektronischen Geräten eine Soundlandschaft voller überraschender Wendungen und Breaks produziert. Dabei steigern sich die beiden im Laufe ihres Sets kontinuierlich und es wundert nicht, dass am Ende zu den schon fast housigen Dancebeats auch das Publikum in Bewegung gerät. Für mich eine echte Entdeckung.
Auf die Erregung Öffentlicher Erregung war ich schon weit besser vorbereitet. Die einschlägige Musikpresse – so das Ergebnis meiner Googelei – feiert die Kombo aus Hamburg/Berlin als Geheimtipp. Ein Status, den sie allerdings nach dem Reeperbahnfestival und der Präsentation auf dem Zeitgeist-Sampler „Keine Bewegung“ demnächst verloren haben dürfte. Das Album „Sonnenuntergang über den Ruinen von Klatsch“ habe ich mir zur Vorbereitung auf Heavy Rotation gelegt. (Und mich spontan dafür begeistert) Für den Pop-Freaks-Gig ist die Band eigens aus Hamburg angereist und freut sich sichtlich über den regen Publikumszuspruch und die gute Stimmung.
„Eins! Zwei! Drei! Vier!“ Die gebrüllten Einzähler von Drummer Michael Schmid werden sich wie ein roter Faden durch den Abend ziehen, jetzt leiten sie den Opener „Anthropozän“ ein. Ein krachender Postpunk-Track mit einer guten Prise NDW, der umgehend die ersten Tänzer in Bewegung versetzt und der ein weiteres typisches Merkmale der EÖE präsentiert: grandios pointierte Texte. Und dann ist da natürlich Frontfrau und Sängerin Anja Kasten, die man als durchaus markant bezeichnen kann. Stimmlich erinnert sie spontan an Annette Humpe, der Wechsel zwischen nasal rezitierten Textzeilen und hochgezogenen Endsilben lässt mich häufiger an die NDW-Ikone denken. Was den spröden Charme und die lässige Bühnenpräsenz betrifft, da gleicht sie eher Nina Walser von Friends of Gas.
Das ganze findet statt vor einer Band, die mit mächtig Druck und großer Spielfreude voranschiebt. Laurens Bauer spielt einen sehr rhythmischen Bass, knackhart und natürlich mit Plektron. Michael Hager an der Gitarre sorgt ebenso für scharf akzentuierte Riffs, wie für breite Soundwände. Die besondere Klangfarbe der Band wird aber von Keyboarder Philipp Tögel produziert. Was er mit viel Körpereinsatz aus seinen Synthesizern herausholt, erzeugt nicht nur den markanten eighties-orientierten Sound, es dient – ganz besonders bei „Kompetenzen Kreuzen“ – als weiteres vorantreibendes Rhythmus-Instrument. Und so ist es kein Wunder, dass sich die Begeisterung im Saal zunehmend steigert. Ein beeindruckend professioneller Vollgas-Auftritt mit intelligenten, witzigen Texten – die dank eines äußerst transparenten Mixes auch bestens verständlich sind.
Kurzum: ein fulminanter Festival-Auftakt, der Lust auf weitere Gigs unbekannter Bands mach. Und die Erregung Öffentlicher Erregung sehen wir hoffentlich bald wieder. Wie wäre es zum Beispiel mit dem Maifeld Derby Festival? Noch ein Slot frei im Brückenaward-Zelt?