EROBIQUE, 16.11.2017, Merlin, Stuttgart
Miiiiittwoch Abend… äh… Donnerstaaaaaaag…
singt er und dreht so lange an den Reglern seiner Effektgeräte herum, bis er den Loop abwürgt wie einen alten Fiat. Stille. „Gut, ne“ grinst er, knipst erst mal die Bassdrum wieder an.
Das Merlin macht sich locker, bucht Erobique und lässt ihn von DJ Michael „Pauki“ Paukner musikalisch einrahmen. Leichte Übung für den Lokalgiganten. Schön, wie die beiden Schnurrbärte fachsimpelnd hinter den Tellern stehen und sich gegenseitig Komplimente machen. Die kennen sich schon eine Weile. Wunderbar war die Aktion vor drei Jahren, als Erobiques Melodica fehlte und er sehr schlecht gelaunt unverzüglich danach verlangte. Nach ein paar Minuten legte ihm Pauki wortlos eine auf’s Pult, und Erobiques Laune wurde langsam besser. Wie wird sie wohl heute sein, die Laune?
Der kleine dicke Carsten aus dem Münsterland, bekleidet mit Sweatshirt und Turnschuhen, wird auf der Bühne verlangt, um zweihundert Ü40er musikalisch zu unterhalten.
So, das ist jetzt der vierte Post über Erobique, den wir hier auf dem Gig-Blog veröffentlichen: KimTimJim, Merlin, Freund&Kupferstecher. Zwei davon habe ich dahergetextet. Erlebt habe ich ihn zum ersten Mal in den 1990ern im Alten Schützenhaus (ja, genau, im Alten Schützenhaus), im Rocker 33 und sonst wo. Ich weiss also, was mich erwartet, nur seine Stimmungslage ist immer wieder anders. Ich nehme es vorweg: unser Mitvierziger-Alleinunterhalter ist fantastisch gelaunt und dieser Abend wird der schönste und lustigste, den ich mit ihm je gehabt haben werde (Futur2?!).
Was macht Erobique eigentlich? Er hat einen kleinen, aber feinen elektronischen Musikalienspielplatz mit Schaukel, Sandkasten und Rutsche a. k. a. stumpfen Beats, einfachen Bassläufen, Samples und groovigen Tunes. Das garniert er mit dazuimprovisierten Klavierklimpermanierismen und crazy Blubbersounds, singt gelegentlich dilettantisch alberne Spontantexte. Hamburger Humorschule trifft spaßbereiten und angstbefreiten Dancefloor. Dabei presst er schamlos den Dancepop der 80er, 90er, 00er und dem besten von heute aus und re-arrangiert das Ganze. Erobique, der Tarantino der elektronischen Tanzmusik, der James Last des Eurobeat. Gern verwurstet: Blondies „Heart Of Glass“ (neue Fassung, im KimTimJim war sie ganz anders), oder der Lambada, eingerahmt von einem melancholischen (!) Housegroove. Das ist so oft absurd, dass die Leute laut rauslachen.
In kürzester Zeit tanzen im Merlin die ersten strümpfig, manche Damen im BH. Carsten lädt auf die Bühne ein, also wird auch die Bühne zum Tanzflur. Bevor er sein Lieblingsinstrument, die Melodica, zum Mund führt, steckt er sich erst mal eine an. Danach ein Break, um das Tempo rauszunehmen, mit cheesy Akkorden unterlegt singt er
Ich mache Musihiiiik – zum Bumseeeeeeen
Dann ein ewig langes, immer schneller werdendes Careless-Whisper-Sample, um wieder an Fahrt zu gewinnen. Klar, George Michael’s Careless Whisper ist selbstverständlich der Beschleunigungsbolide unter den Engtanzknallern. Dance like nobody’s watching wird hier zum Sample like no Musikproduzent’s listening.
Alles albern, aber ausgezeichent unterhaltsam und tanzbar. Wer einmal die Euphoriebeschreibungen in Irvine Welch’s „Ecstasy“ gelesen hat, kann sich vorstellen, wie sich das anfühlt.
Nach zwei Stunden ist Schluss, Erobique überlässt Pauki das Feld. Quasi undankbare Aufgabe, aber Pauki findet tatsächlich einen zurückhaltenden Up-Beat-Track, der die Stimmung hält, der aber auch nicht prahlerisch direkt nach dem Konzert versucht, das eben Erlebte zu toppen.
Also: wenn Erobique in der Stadt ist – hingehen. Oder wie Regine sagt: „Das müsste man öfters in sein Leben einbauen, so ein Erobique-Konzert.“ Wichtig: früh nach Karten schauen, das Merlin war Wochen vorher ausverkauft.
Übrigens: wenn mein Freund D. beim Fantasy-Rollenspiel nach acht Stunden Orks jagen und Rätsel knacken einen Rappel kriegt, haut er Erobique rein (diesen Mitschnitt aus Plauen) und tanzt um den Tisch. Erobique kann also auch therapeutisch eingesetzt werden. Probiert’s mal aus!