JUMBO JET, BRTHR, 14.11.2017, Goldmark’s, Stuttgart
Ich hätte gewarnt sein können. Auch wenn ich noch nie zuvor einen Titel von Jumbo Jet gehört hatte, so wusste ich doch, dass Eleni und Daniel Benjamin von Sea + Air den Kern der Band ausmachen. Und wenn man ihren Hit „Heart of the Rainbow“ ganz genau anhört, dann deutet sich kurz vor Schluss an, dass die zwei nicht nur fluffigen Kammerpop produzieren, sondern auch ganz schön schräg klingen können. „Where did all the pain go, pain go, PAIN GO, PAIN GO“ schreien sie dort in einer heftigen Kakophonie heraus. Um gleich danach in engelsgleichen Gesang und Cembalo-Geklimper zu verfallen. Das konnte mich aber auch nicht annähernd auf das Inferno vorbereiten können, das heute im Goldmark’s über die Bühne geht.
Dabei fängt der Abend mit dem Folk-Duo BRTHR noch ganz gesittet an. Philipp Eißler (der übrigens eine derart frappierende Ähnlichkeit mit van Gogh hat, dass ich sofort schaue, ob die Ohren vollständig vorhanden sind) und Joscha Brettschneider präsentieren einen extrem reduzierten Lofi-Sound. Zwei locker gegeneinander gesetzte Gitarren, hin und wieder unterstützt von einem Rhythm Ace, einer Vintage-Drum-Maschine. Das ganze sehr laid back, der ideale Soundtrack für einen staubigen Low-Budget-Roadmovie. Dem Auftrag, den Laden für den Main Act mal so richtig anzuheizen, wird das, wie Eißler grinsend konstatiert, natürlich nicht unbedingt gerecht.
Nicht nur musikalisch auch optisch lebt der Abend von Kontrasten. Sängerin Eleni ganz in schwarz, in schicken Loafers, Kniestrümpfen, Plissee-Minirock und Bluse könnte genau so bei Sea + Air die Bühne betreten. Nachdem sich Daniel an den Drums platziert hat und sich Bass und Gitarre in Pose gestellt haben, legt ein Spektakel los, das seinesgleichen sucht. Mit wilden Grimassen, Geschrei bis an die Schmerzgrenze und einer komplett vom musikalischen Tourette befallenen Band. Das ist brachial, absurd übertrieben, schon fast eine Persiflage eines Hardcore-Gigs. Aber nicht ohne musikalische Qualität: harte Breaks, schnelle Rhythmuswechsel, rasende Bassläufe. Und durchaus abwechslungsreich: nicht nur Hardcore-Punk, auch Progrock-Passagen sind zu erkennen.
Kein Wunder, Gitarrist und Bassist sind ebenfalls keine Unbekannten: sie rekrutieren sich aus Sally Graysons Black Swift und bringen entsprechende solide Bühnenpräsenz mit. Daniel hämmert derweil wie von der Tarantel gestochen auf das rudimentäre Schlagzeug ein, rollt mit den Augen, gießt sich Wasser über den Kopf. Auch hier schon fast eine Drummer-Parodie. Spätestens als sich Eleni – gerade hat sie noch wie eine Besessene gegrowlt und gescreamt – auf seinen Schoß legt und am Daumen nuckelt, wird aus dem Gig eine durchgeknallte Performance.
Der Abend vergeht jedenfalls wie im Flug. Ein derber musikalischer Scherz jagt den anderen und Daniel wäre nicht der Schelm, wie wir ihn Sea + Air kennen, wenn er seine einzige größere Ansage nicht auch noch in breitestem Älbler-Schwäbisch machen würde. In der Zugabe fordert die Band einen Schubskreis und das Publikum kommt dem Wunsch nur zu gerne nach. Und während die Gitarre zum Ausklang minutenlang rückkoppelt und der Bass vor sich hin dronet, baut Daniel Benjamin in aller Ruhe das Schlagzeug ab. Hoffen wir nur, dass diese Revival-Tour kein einmaliges Event bleibt.