THE PRETTY THINGS, 26.09.2017, Goldmark’s, Stuttgart

THE PRETTY THINGS, 26.09.2017, Goldmark's, Stuttgart

Foto: Michael Haußmann

Der Hauch der Geschichte durchweht das Goldmark’s: 1962 war es, als Bassist Dick Taylor eine Studenten-Band namens Rolling Stones verlassen hat und mit seinem Kommilitonen Phil May seine eigene Band The Pretty Things gründete. Da war die vom Club-Namensgeber Peter Carl Goldmark entwickelte Kunststoff-Schallplatte gerade mal 14 Jahre alt. Sage und schreibe 55 Jahre später stehen die beiden Bandgründer nun auf der Bühne dieses kleinen Clubs, während das nächste Konzert ihrer ehemaligen Mitstudenten in der Düsseldorfer Esprit Arena für über 50.000 Zuschauer vorbereitet wird. Dort gibt’s noch Karten für 500 bis 800 Euro, hier im Goldmark’s ist man heute für 34 Euro dabei. Und es ist noch nicht einmal ausverkauft.

THE PRETTY THINGS, 26.09.2017, Goldmark's, Stuttgart

Foto: Michael Haußmann

Zu drei Vierteln ist das Goldmark’s gefüllt. Und zwar mit dem ältesten Publikum ever. Im Schnitt Ü50, die meisten davon Männer. Die Kollegin von der Stadtzeitung kann’s gar nicht glauben, zum ersten Mal mit ihren Eltern im Goldmark’s zu sein. Ein generationenübergreifendes Event sozusagen. Nicht nur vor, sondern auch auf der Bühne: neben den beiden Senioren Phil May (Gesang, 73) und Dick Taylor (Gitarre, 74) spielen Frank Holland (Gitarre, Mundharmonika, Gesang), George Woosey (Bass, Gesang) und Jack Greenwood an den Drums. Letzterer könnte altersmäßig ein Enkel der beiden Gründer sein.

THE PRETTY THINGS, 26.09.2017, Goldmark's, Stuttgart

Foto: Michael Haußmann

Kollege Jens hatte mich noch gewarnt: Sechsmal habe er die Pretty Things bereits gesehen, zwei der Auftritte seien richtig schlecht gewesen. Die Spannung ist also hoch, als die fünf Musiker um kurz vor halbneun die Bühne betreten. Im Jackett natürlich, May sogar mit Krawatte. Nach einer knappen Begrüßung legen die Pretty Things los, der Sound passt vom ersten Ton, und die Zeitmaschine läuft. Schon nach wenigen Takten fühlt man sich in einen Rockclub der Sechziger versetzt.

THE PRETTY THINGS, 26.09.2017, Goldmark's, Stuttgart

Foto: Michael Haußmann

Ein halbes Jahrhundert Bandgeschichte werden dem überaus aufmerksamen und begeisterten Publikum in den nächsten eindreiviertel Stunden Schlag auf Schlag präsentiert. Die blueslastigen Bo-Diddley-Cover wie „Roadrunner“ oder „You Can’t Judge a Book by it’s Cover“ sind immer noch taufrisch. Dick Taylor streut hier und da virtuose Soli ein, die vom Publikum mit wohlgesetztem Szenenapplaus quittiert werden. Richtig großartig wird der Gig, als die Pretty Things Stücke aus ihrer psychedelischen Phase spielen. „S.F. Sorrow is Born“ aus ihrem epochalen Konzept-Album „S.F. Sorrow“ wird begeistert entgegengenommen. Den Publikumswunsch, man möge doch gleich „Baron Saturday“ hinterher schieben, kontert Phil May mit „Sorry, not on a Monday“ (gilt vermutlich auch für den heutigen Dienstag). Dafür gibt’s das herrlich schräge „Defecting Grey“, das zwischen skurrilem Walzer-Geschunkel, psychedelischem Effekt-Gitarren-Lärm changiert und den umstehenden Auskennern Tränen der Begeisterung ins Auge treibt. („Eine B-Seite!“)

THE PRETTY THINGS, 26.09.2017, Goldmark's, Stuttgart

Foto: Michael Haußmann

Von einem bräsigen Altherren-Konzert ist das meilenweit entfernt. Was auch daran liegt, dass die (jung besetzte) Bass & Drum-Abteilung überaus kraftvoll zu Werke geht. Natürlich fragt man sich auch heute, wie es sein kann, dass einer derart guten Band der ganz große Erfolg verwehrt blieb. Spätestens als sie ihren Skandal-Song „L.S.D.“ auspacken, fällt einem wieder ein, dass diese Herren schon immer aneckten. Während 1967 alle darüber rätselten, ob die Beatles mit „Lucy in the Sky with Diamonds“ eventuell die Droge mit den drei Buchstaben verherrlichten, hatten die Pretty Things schon zwei Jahre vorher ganz explizit gesungen „Yes, I need L.S.D.“. (Am heutigen Abend genehmigt sich Phil May übrigens nur zweimal ein wenig Asthma-Spray) Dass sie damit ein Massenpublikum verschreckten und dies auch nicht mit übermäßigem Airplay belohnt wurde, versteht sich von selbst.

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Foto: Michael Haußmann

In der Zugabe liefern die Pretty Things dann auch noch den Kracher „Come See Me“ und bestätigen ganz nebenbei, dass sie nicht zu Unrecht als einer der Ur-Väter des Garage Rock (und Proto-Punk) bezeichnet werden. Kurzum: ein fulminanter Gig, der jedem, der hunderte von Euro den Stones hinterherträgt, garantiert auch viel Spaß gemacht hätte. Und das gesparte Geld hätte man am reich gedeckten Merchandise-Tisch sehr schön anlegen können. Alle Devotionalien natürlich individuell signiert, inklusive einer ausgiebigen Plauderei und Handshakes mit zwei leibhaftigen Rock-Legenden.

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Foto: Michael Haußmann

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