ART GARFUNKEL, 20.07.2017, Freilichtbühne Killesberg, Stuttgart
Als der Applaus nicht abebbt und das Publikum nicht aufhört seinem Idol zu huldigen, kehrt Art Garfunkel zurück. Er verneigt sich noch einmal, winkt und dankt – einen weiteren Song spielt der legendäre Sänger mit der glasklaren Stimme, der einst Paul Simons großartigen Songs jene unglaubliche Wärme schenkte, die Simon and Garfunkel zum herausragenden Folk-Duo der Musikgeschichte werden ließ, aber nicht mehr. Das ist auf der einen Seite schade, war das Konzert mit nicht einmal neunzig Minuten Dauer doch recht kurz, ist aber verständlich, bedenkt man, dass Garfunkel im November 76 wird und sicher genau weiß, wie lange er seine noch immer tadellose(!) Stimme beanspruchen darf.
Denn zu beweisen, was für ein einzigartiger Sänger Art Garfunkel ist, kostet ihn auf der Freilichtbühne am Killesberg, jener schönsten Open Air-Bühne Stuttgarts, keine Mühen. Das war weder unbedingt so zu erwarten, noch ist es selbstverständlich. Mit entsprechender Selbstironie erscheint Garfunkel – hager, mit Glatze und ganz in schwarz gekleidet – auf der Bühne. „Do you believe I’m still doing it?“ Um geradezu apologetisch zu ergänzen: „It’s my addiction“.
Hochkonzentriert – vor dem Konzert und nach der Pause appellierten Veranstalter und Management auf Deutsch und Englisch an das Publikum doch auf die Nutzung technischer Geräte zu verzichten – singt sich der New Yorker durch Juwelen des Simon and Garfunkel-Œuvre, das längst absoluter popmusikalischer Kanon ist. Dabei verzaubern die großen Hits („Scarborough Fair“, „The Boxer“ oder „Bridge Over Troubled Water“) erwartungsgemäß das gesamte Publikum. Doch sind heimliche Schönheiten wie „April Come She Will“, womit eröffnet wird, oder „The Side of a Hill“ herzzerreißend. Besonders anmutig geraten die sehr reduzierten Arrangements; Garfunkel lässt sich nur von einem Gitarristen und einem Pianisten begleiten. Wo gemessen an seinem Solowerk die Angst vor 80er-Jahre-Bombast nicht unbegründet erscheint, setzt Garfunkel grundlegende Ruhe dagegen. Bemerkenswerterweise ist kein Backroundgesang nötig. Der 75-Jährige weiß um seine Stimme und Präsenz und wie er auf Störungen zu reagieren hat. Das Kichern zwischen „April Come She Will“ und „The Boxer“ aus den hinteren Reihen moderiert er salopp weg. Ob man ihm den Witz auch erzählen, damit er mitlachen könne? Schweigen folgt und die Smiths’sche Erkenntnis: „The Joke isn’t funny anymore“.
Zwischen den Songs ist das Konzert durchzogen von Passagen aus der im Herbst im legendären Knopf-Verlag erscheinenden Autobiografie. Diese sind an der Lyrik der Beat Generation orientiert und werden von Garfunkel heute meist genutzt, um einzelne Lieder anzumoderieren. Mal erzählt er davon, wie er vor einigen Jahren kurzzeitig seine Stimme verlor, dann wiederum berichtet er im Plauderton von seiner Europareise mit seinem Jugendfreund Paul Simon und dessen damaliger Freundin vor dem großen Durchbruch. Ihr widmet er „Kathy’s Song“. Überhaupt ist Garfunkel stets bedacht, dem Publikum auch die Geschichten zu geben, die es hören möchte. Das Gros der Besucher ist mit Simon and Garfunkel aufgewachsen und bekommt die Songs in den angemessenen Versionen zu hören. Fraglos, wer Simon and Garfunkel-Purist ist, kommt bei Art Garfunkels aktuellen Soloprogramm eher zum Zug als bei Paul Simons so beeindruckend wie ambitionierten Konzerten.
Vor der Pause stimmt Garfunkel „Homeward Bound“ an, jene große Ode an Roadtrips durch die USA und das vagabundierende Musikerdasein. Das ist tatsächlich ein beglückender Moment, der unterstreicht, was für ein wundervolles Folkkonzert gerade gespielt wird. „All I Know“, „A Poem on the Underground Wall“, die Simon and Garfunkel-Songs sind bis heute der Inbegriff des Folks der US-Ostküste. Dass Garfunkel, der immer wieder im Clinch mit Simon liegt, dem Stuttgarter Publikum in höchsten Tönen von seinem Jugendfreund vorschwärmt, ist sehr sympathisch. Ebenso wie der Gastauftritt seines 26-jährigen Sohnes Art Garfunkel jr., der in Hamburg lebt und gerade in Stuttgart ein Album aufnimmt. Er singt „Smile“ mit der glockenhellen Stimme seines Vaters, der stolz vom Bühnenrand zuschaut, bevor er George Gershwin- und Albert Hammond-Standards singt, bekennt, dass Randy Newman zu seinen fünf absoluten Lieblingssongwritern der amerikanischen Musikgeschichte zählt (natürlich genau wie Paul Simon) und er daher dessen fantastisches Liebeslied „Real Emotional Girl“ singt. Das passt tatsächlich ausgezeichnet vor „For Emily, Whenever I May Find Her“, das in seiner anmutigen Schlichtheit auch darüber hinwegtäuscht, dass die anschließende „Watership Down“-Schmonzette „Bright Eyes“ den bis dato lautesten Applaus erntet. Doch das ändert sich bei „the song that changed my whole damn life“, nämlich „The Sound of Silence“.
Während die Sonne untergeht, folgen noch drei weitere Songs – darunter sein persönliches Lieblingslied „Kathy’s Song“ und eine wohltuend von allem Pomp befreite Version von „Bridge Over Troubled Water“. Als Zugabe singt er noch „Now I Lay Me Down To Sleep“, dankt Gott für seine Stimme und saugt in ehrlicher Verneigung den nicht enden wollenden Applaus dankbar auf. Er verneigt sich mit seinen Musikern, sein Sohn kommt dazu. Art Garfunkel gibt Art Garfunkel jr. einen Kuss auf die Stirn, verlässt die Bühne, um kurz darauf mit gläsernen Augen noch einmal zurückzukehren. Seine Stimme hat er in dem Moment scheinbar verloren – bis zum nächsten großartigen Konzert.