MICHAEL KIWANUKA, 11.07.2017, Jazz Open, Scala, Ludwigsburg
Und der Applaus bricht los, einmütig, gerührt, begeistert. Das Konzert ist vorbei. Michael Kiwanuka verneigt sich schüchtern, schlurft dann von der Bühne und lässt die Zuschauer glücklich bewegt zurück. Selten spricht Kiwanuka das Publikum an. Neben einigen zurückhaltenden Dankesworten betont er an einer Stelle jedoch, wie dankbar er sei, Musik machen zu dürfen und was ihm dies bedeute. Was er damit meint, wird ohnehin allenthalben deutlich. Denn in den knapp eineinhalb Stunden, die der 30-jährige Londoner im ausverkauften Scala in Ludwigsburg im Rahmen der diesjährigen JazzOpen spielte, bewies er mühelos, dass er weit mehr ist als ein traditionsbewusster Retrosoulsänger. Denn obwohl man Kiwanuka 2011 und 2012, als er erst mit der EP „Tell Me a Tale“ auf der Bildfläche erschien und mit dem Album „Home Again“ nachlegte, zurecht für den traditionellen Soul, der an die großen Helden wie Bill Withers oder Otis Redding erinnerte, als Shootingstar des Genres feierte, zeigte er sich auf dem letzten Sommer veröffentlichten Nachfolgewerk „Love & Hate“ vielseitiger. Denn hier wird der klassische Soul um Reminiszenzen an Blaxploitation-Soundtracks oder den Psychdelic-Rock der frühen 1970er ebenso ergänzt wie um das Hymnische des Britpops eines Noel Gallagher oder Richard Ashcroft Mitte der 1990er Jahre. Besonders deutlich belegt das der Titelsong „Love & Hate“, mit dem Kiwanuka seinen großartigen Auftritt beendet.
Ähnlich episch wie „Love & Hate“ fällt die Eröffnung des Konzerts mit „Cold Little Heart“ aus. Gekleidet in eine haselnussbraunen Cordjacke über dem schwarzen The-Lemon-Twigs-Band-T-Shirt zur weiten hellblauen Jeans und Chucks erscheint Kiwanuka gegen halb neun auf der Bühne. Sein Keyboarder spielt bereits ein psychedelisches Synthie-Intro. Kiwanuka spielt ein an den jungen David Gilmour erinnerndes Gitarrensolo, nach und nach folgen seine Mitmusiker und setzen an Bass, Leadgitarre, Schlagzeug und Percussion ein. In einer anmutigen, ausgedehnten Version entpuppt sich „Cold Little Heart“ als eine Art musikalisches Manifest, trifft hier doch Soul auf psychdelische und Rockklänge. Mitunter muss man an die psychedelischen Phasen der Temptations und Curtis Mayfield denken. Allerdings zeichnet Kiwanuka aller Retromanie zum Trotz Eigenständigkeit aus, wie sich mit zunehmender Konzertdauer immer deutlicher herauskristallisiert, wenn er beispielsweise mit dem unglaublich tanzbaren, politisch motivierten „Black Man in a White World“ mit seinem markanten Handclaps – die obendrein beweisen, dass kollektives Klatschen ohne jeglichen gemeinsamen Rhythmus nicht immer schlecht klingen muss – oder dem treibenden „I’m Getting Ready“ oder „Rule the World“ überzeugt.
Die sechsköpfige Band harmoniert ohnehin außerordentlich gut, was sich auch mit der hohen Spielpraxis erklären lässt und sich vor allem bei wunderbaren Songs wie dem unwiderstehlichen „One More Night“ und „Falling“ zeigt. Seit über einem Jahr ist man auf Tour mit dem aktuellen Album und daher überaus eingespielt, was allerdings auch Grund für die sehr wenigen eher zähen Momente sein dürfte. Da die Setlist in der Zeit weitgehend unverändert geblieben ist, ist es wenig verwunderlich, dass manche Stücke etwas zu routiniert gespielt werden. Doch machen die Zugaben das rasch vergessen. Mit samtener Stimme singt Kiwanuka den wunderbaren Soulsong „Home Again“, spielt dabei Akustikgitarre, bevor die fast zehnminütige Hymne „Love & Hate“ das Konzert mit einem seinem Höhepunkt beendet. Zu tosendem Applaus geht das Saallicht an.