SLEAFORD MODS, MARK WYNN, PISSE, 12.05.2017, Manufaktur, Schorndorf
Als Konzertveranstalter würde ich mir da ja schon Gedanken machen: musikalisch anspruchsvolle Konzerte des liebevoll kuratierten Programms werden mit magerem Publikumszuspruch „belohnt“, stellt man aber drei Bands mit – ähem – begrenzten musikalischen Fähigkeiten auf die Bühne, platzt der Laden aus allen Nähten. Gegönnt sei dieser Erfolg den Machern der Manufaktur trotzdem. Sie haben ja es auch nicht dabei belassen, mit den Proleten-Rappern Sleaford Mods einfach den heißesten Scheiß von der Insel zu buchen. Erst mit dem sympathisch-bescheuerten Mark Wynn und den Brachial-Punks Pisse als Support wird daraus ein auf den ersten Blick etwas überraschendes, letztlich aber bestens funktionierendes, äußerst intensives Gesamtpaket.
Alle drei Bands haben übrigens – wenn auch nicht in dieser Kombination – bereits im Esslinger Komma gespielt. Kein Geheimnis: als entdeckungsfreudiger Musikliebhaber sollte man immer die Programme dieser beiden Locations im Umland im Auge behalten.
Wie gesagt: Der Laden proppenvoll, sogar auf der selten genutzten Galerie kein Platz mehr frei. Und auf der Bühne: Pisse aus Hoyerswerda. Kultisch verehrte Punkband mit genial-bizarren Titeln, einer Menge Humor und Spielwitz. Die meisten Titel vom Longplayer „Mit Schinken durch die Menopause“ oder dem unter Vinyl-Sammler begehrten Doppel-Single-Album „Kohlrübenwinter“. Fast alles unter zwei Minuten und ultraschnell. Pisses musikalische, ganz punk-untypische Markenzeichen: Theremin, Orgel und exzessive Schellenring- und Cowbell-Einsätze. Textlich liegen sie zwischen genial-absurd und trashig-derb. Lautstarke Mitsinger finden sich im Schubskreis aber trotzdem. Der Hit „Biertitten“ zum Beispiel wird frenetisch mitgegrölt. Ein fulminanter Auftritt. Die Stimmung bereits jetzt vom Feinsten.
Du bist nicht Iggy Pop, wenn du kein T-Shirt trägst.
Du bist nicht Michael Jackson, wenn du rückwärts auf Toilette gehst.
Du bist nicht queer, nur weil du Biertitten hast.
Mark Wynn, der zweite Act des Abends, hat übrigens – so nerdig und konfirmantenhaft er auch sonst wirken mag – durchaus eine Ähnlichkeit mit Herrn Pop. Zumindest wenn er kein T-Shirt trägt. Mit seinen eckigen Bewegungen und dem hageren Oberkörper erinnert er durchaus an Iggy oder auch Fad Gadget. Mit Laptop, Uralt-Nokia (zur regelmäßigen Zeitkontrolle), komplett unmodischer Brille und Spießer-Schuhwerk der Marke „Mephisto“ wirkt der schlaksige Brite eher wie ein Verwaltungsangestellter, der sich auf die Bühne der Manufaktur verirrt hat. Aus den gespeicherten Sounds wählt er zufällig welche aus, sprich-singt ein paar Texte dazu, bricht mitten drin wieder ab, holt sich die geparkte Bühnetreppe auf die Bühne um selbe in einer Mischung aus großer Show-Geste und Silly-Walks-Imitation herabzuschreiten. Liebevolle Details wie ein Plastik-Diadem und ein Puste-Windrad runden das skurrile Gesamtbild ab. Hochamüsant und mit hintersinnigem Humor. Und die Überleitung zu den Stars des Abends ist geradezu genial: auf Donna Summers „Hot Stuff“ textet er „Tied up in Nottz“.
Als wir – auf den Tag genau – vor drei Jahren die Sleaford Mods im Komma sahen, schrieb ich damals:
Hier hat der Punk – abseits des stereotypen Zwei-Akkord-Geschrammels – endlich seine adäquate Ausdrucksform im einundzwanzigsten Jahrhundert gefunden. Minimal, unendlich genervt und an Monotonie nicht mehr zu übertreffen. Natürlich steht dies auch in einer langen Tradition wortgewaltiger Spoken-Word-Artists. John Cooper Clark, Attila the Stockbroker oder auch Scroobius Pip lassen grüßen. Aber während der Agitprop-Punker Attila the Stockbroker mit seinem marxistischen Weltbild zumindest eine Hoffnung auf eine bessere Welt hat, herrscht bei den Sleaford Mods nur noch Langeweile und Resignation. Das ist auch nicht als Appell oder Aufrüttelung zu verstehen, es beschreibt einfach, wie es ist. Wahrscheinlich ist das der Soundtrack zum Untergang der spätkapitalistischen Gesellschaft.
Gilt alles immer noch genau so. Was wir damals nicht wissen konnten: Wie schnell und gründlich der Niedergang des Vereinigten Königsreich in diesen drei Jahren vonstatten gehen würde. Dass ein David „Piggate“ Cameron binnen kürzester Zeit die Zukunft des Landes komplett verzocken würde, Widerlingen wie Michael Farrage und Clowns wie Boris „Moptop“ Johnson den Boden bereiten würde und Xenophobie zu neuer Blüte treiben würde. All dies klingt wie eine absurd-übersteigerte Dystopie, die auf Themen der Sleaford Mods aufzubauen scheint. Und jetzt ist es die Realität. Kein Wunder, dass die Sleaford Mods vor diesem Hintergrund zu einer der relevantesten – wenn nicht sogar zu der allerwichtigsten englischen Band geworden sind.
Am Setup hat sich nichts geändert: Andrew Fearn bedient den Laptop, trinkt Bier, tritt von einem Bein aufs andere und grinst ins Publikum. Jason Williamson kotzt zu den monotonen Beats sein wütenden Tiraden ins Publikum. Und es scheint: er arbeitet noch wesentlich heftiger als beim letzten Aufritt. Nahezu pausenlos prasseln seine Texte auf das Publikum ein. Seit dem neuen Album „English Tapas“ hat er sogar ein paar knorrige Gesangsparts im Repertoire und auch in minimalen Tanzbewegungen übt er sich.
Die Intensität überträgt sich jedenfalls schnell auf’s Publikum, ein veritabler Moshpit entwickelt sich und ein sonst eher zurückhaltend wirkender Frontmann einer Stuttgarter Band stürzt sich verwegen von der Bühne. Bilder, wie wir sie aus der Manufaktur so nicht kennen. Erstaunlicherweise können viele der Anwesenden die Songs mit ihren im schweren mittelenglischen Akzent proklamierten Texten mitsingen. Ein großartiges Konzert von unglaublicher Heftigkeit, an der die beiden Vorbands mit ihrem starken Warmup einen nicht unerheblichen Anteil haben.
Williamson, der sicher einiges in den letzten Jahren gesehen haben dürfte, bedankt sich jedenfalls glaubhaft begeistert bei Publikum und Veranstalter und verspricht, wieder nach Schorndorf zu kommen. Man mag sich allerdings gar nicht vorstellen, wo sich England und die Sleaford Mods dann befinden, wenn die Entwicklung so weitergeht, wie seit ihrem letzten Gig.
Schöner Artikel. Hier eine Visualisierung: https://youtu.be/VpdXy8xMrbE