DONOVAN, 21.03.2017, Franz K, Reutlingen

Foto: Michael Haußmann

„Märchen, Mythen, Legenden und Geschichten, wir brauchen sie. Denn sie begleiten und führen uns durch alle Phasen unseres Lebens“. Mit der entspannten Haltung eines erfahrenen Yogi sitzt Donovan im Schneidersitz auf einem Lammfell und zieht das Publikum in seinen Bann. Die Aufmerksamkeit der knapp über 300 Zuschauer im restlos ausverkauften und bestuhlten Franz K in Reutlingen sind dem engen Freund und Reisegefährten der Beatles und Verfasser zahlloser Folkklassiker sicher. Viele sind froh, ein Ticket erhalten zu haben, Gastspiele solch legendärer Künstler wie Donovan sind in Reutlingen schließlich ausgesprochen rar, sodass Besucher, die auf Restkarten hoffen, enttäuscht draußen bleiben müssen.

Foto: Michael Haußmann

Als Teil der von ihm in Reutlingen oft beschworenen „bohemian invasion“ hat er in den 1960ern tatkräftig mit dafür gesorgt, dass neben der Unterhaltungsindustrie das Künstlertum der Art Schools den Weg in die Popkultur gefunden und sie entschieden gestaltet hat. Entsprechend liegt der musikalische Fokus auf seinen großen Hitsingles sowie Songs seiner ersten beiden Alben von 1965. Die Debütsingle „Catch the Wind“ eröffnet den Abend. Noch immer singt Donovan, der zumindest frisurenmäßig mit den langen grauen Locken und dem hohen Haaransatz wie eine Mischung aus Ray Davies und Ronnie James Dio aussieht, mit sanfter Stimme. Dabei zupft er die grüne Gitarre mit hübscher Hirsch-Intarsie unaufdringlich gut. Das ruhige Folkstück ist wie viele seiner Lieder längst popmusikalischer Kanon. In seiner der Ästhetik den französischen Existenzialisten nahestehend, beweist das Meisterstück aus dem Frühwerk des Schotten mit seiner lyrischen und melodischen Qualität dessen Klasse. „Colours“ folgt, das wie so viele andere Stücke den Einfluss der Art-School-Kultur auf britische Songwriter der 60er zeige. Man sei wegen der interessanten Mädchen auf die Art School gegangen – und weil man Maler werden wollte. Weil die eigene Kreativität durch Musik doch leichter ausgedrückt werden konnte, hätten viele seiner Freunde, hätten Keith Richards, Pete Townshend oder Ray Davies den Pinsel gegen die Gitarre ausgetauscht. Was bleibt ist das Singen von Farben oder davon, sich als Maler zu inszenieren – wie John Lennon: „Picture yourself in a boat on a river“, stimmt Donovan dann an. Obschon etwa ein halbes Jahrzehnt jünger als die Beatles gehörte der mittlerweile 70-Jährige einst zu ihrem engeren Kreis, begleitete sie nach Indien, gilt als wichtiger Impulsgeber für das weiße Album und hat Paul McCartney die Zeile „sky of blue and sea of green“ als Reim für „Yellow Submarine“ eingegeben.

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Man muss Donovan zugute halten, dass er all die Geschichten und Anekdoten, mit denen er problemlos hätte angegeben können, höchst subtil andeutet oder meist komplett verschweigt, stattdessen lieber von seiner Kindheit in Glasgow erzählt. Ebenfalls ist dem praktizierenden Buddhisten trotz Sitzhaltung und Optik zum Glück alles Guruhafte während des Konzerts fremd. Dadurch haben die Zuschauer, wenn sie nicht gerade damit beschäftigt sind, den richtigen Takt zum Mitklatschen oder eine Zeile zum Mitsingen zu suchen, die Gelegenheit einen genuinen Songwriter und Musiker auf der Bühne intensiv zu erleben. Mag man optisch von seiner hippiesken Erscheinung mit schwarzer Pumphose und rotem Samthemd irritiert sein, ist das Konzert musikalisch über jeden Zweifel locker erhaben. „Donna Donna“, von ganzen Generationen an Lagerfeuern rund um die Welt gesungen, ist ein großer Folksong, der die grundlegende DNA echter Volksmusik entschlüsselt. Für unseren Fotografen sind diese Klassiker ein „Gegenentwurf zu Bierzeltnummern“.

Foto: Michael Haußmann

Obwohl er zu den Begründern psychdelischen Pops zählt, sieht Dovonan sich selbst vor allem in der Tradition britischer Bänkelsänger und keltischer Barden und brilliert als solcher. Das Lied über den „Little Tin Soldier“ aus dem Schwarzwald ist zwar purer Kitsch, „Jennifer Juniper“ hingegen ein perfektes Beispiel für genuin britischen Folk. In auf das Gerüst reduzierten Akustikversionen gelingt es Donovan ganz nonchalant zu zeigen, wie diese Spielart von Musik funktioniert – und auch wie große Rocksongs entstanden sind: Wieso sollte er Lieder anders aufführen, als im Schneidersitz mit der akustischen Gitarre, fragt er. Die Antwort liefert er gleich hinterher. In den 60ern habe man gemeinsam auf Partys gesessen und Songs geschrieben. Selbst sein Freund Jimmy Page, mit dem er vor einiger Zeit gemeinsam in der Royal Albert Hall auftrat, habe ihm erzählt, dass er die Led Zeppelin-Klassiker meist im Badezimmer komponierte.

Foto: Michael Haußmann

Seine eigenen Hits von psychedelischen Glanzstücken wie „Sunshine Superman“ oder „Season of the Witch“ von 1966, das fast als Velvet-Underground-Blaupause firmieren könnte, bis zu „Mellow Yellow“ oder dem Reggae-infizierten „There Is a Mountain“ und anderen formidablen Popsongs begeistern in ihrer bestechenden Zeitlosigkeit. Buffy Sainte-Maries durch Donovans Version zum Welthit gewordene Pazifistenhymne „Universal Soldier“ bedient die Hippie-Sehnsüchte der Reutlinger, die dankbar selig mitsingen und bis heute ist der Tremolo-getragene „Hurdy Gurdy“, der Liebeslieder singt, der gern empfangene Eskapismus in düsteren Zeiten. Donovan reckt die linke Faust, bekennt seine politische Vision ohne in den messianischen Tonfall mancher Rockstars zu verfallen.

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Der Einschub einer halbstündigen Pause fällt ob all der musikalischen Klasse in der Rückschau gar nicht störend ins Gewicht. Und der Protagonist hat ja auch nicht Unrecht: Man müsse ja an das fortgeschrittene Alter des durchschnittlichen Konzertbesuchers denken, erklärt Donovan lächelnd – und auch an sein eigenes. Solange Donovan auf der Bühne sitzt und Lieder singt, vergisst man leicht, dass er im Mai seinen 71. Geburtstag begeht. Beim Verlassen der Szenerie geht er allerdings langsam und gebückt. Nach knapp eineinhalb Stunden und einer großartigen Version seines Evergreens „Atlantis“ schlurft er schließlich ein letztes Mal von der Bühne, ein alter Mann mit alterslosen Songs und Geschichten. Dass er seinen größten Hit vor einer gefühlten Ewigkeit mit den No Angeles einmal fast zerstört und sich dabei um ein Haar selbst demontiert hätte, hat man da schon längst aus dem Kopf verbannt. Drei junge Mädchen erklimmen die Bühne, um ihm stürmisch hinterher zu rennen – ihre offene Euphorie ist der vielleicht schönste Dankesbeweis an eine wahre Ikone für ein phänomenal gutes Konzert.

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