CAR SEAT HEADREST, TRAAMS, 18.03.2017, Manufaktur, Schorndorf
Eine großes Rätsel kann ich auch nach hunderten von Konzertbesuchen nicht lösen: Was treibt schüchterne Menschen eigentlich dazu, sich auf einer Bühne zu präsentieren? Typen wie Ian Curtis, der junge David Byrne oder Vlad Parshin von Motorama. Der Drang, die eigene Musik präsentieren zu müssen, scheint einfach größer zu sein als die Scheu davor, im Mittelpunkt zu stehen. Mit Will Toledo von Car Seat Headrest und Stuart Hopkins von TRAAMS haben wir heute Abend jedenfalls zwei besonders ausgeprägte Exemplare dieses Typs Musik-Nerd auf der Bühne der Manufaktur. (Nebenbei: Dass dies meist auch Gitarristen sind, ist ein Aspekt, der noch einer gesonderten Analyse bedarf.)
Als wir um dreiviertelneun in der Manufaktur eintreffen, spielen TRAAMS bereits den zweiten Titel und wir bahnen uns durch den mit rund dreihundert Zuschauern gut gefüllten Saal den Weg zu unserer Lieblingsecke vor der Bühne. Das T-Shirt des Frontmanns ist bereits an einigen Stellen durchgeschwitzt und der Grund dafür findet sich schnell. Die treibende Postpunk-Krautrock-Mixtur von TRAAMS fordert heftigen Einsatz von allen drei Musikern. Bassist Leigh Padley und Drummer Adam Stock leisten Schwerstarbeit und legen ein mächtiges Fundament, auf das Hopkins raffinierte, aggressive, manchmal reichlich schräge Riffs platziert. Dazu der leicht quäkende, leicht nölige Nerd-Gesang, den alle oben genannten Musik-Käuze irgendwie gemeinsam haben. Faszinierend ist die Rhythmus-Sektion, die ihre repetitiven Patterns mit äußerster Präzision raushaut und nach minutenlagen, gerade hypnotischen Wiederholungen plötzlich noch eine Schippe Dynamik draufpackt und eine geradezu kathartische Wucht hat. Das an Intensität kaum noch zu übertreffende Neun-Minuten-Opus „A House on Fire“ mit seinem gnadenlosen Joy-Division-Bass und dem manischen Geschrei von Hopkins gehört zum besten Live-Erlebnis seit langem. Die eckigen, fast spastischen Bewegungen des ansonsten ungerührten und wortkargen Sängers lassen mich sofort wieder an Curtis, Parshin und Co. denken. Um ehrlich zu sein: Ich mache mir Sorgen, ob der Main Act diesen fulminanten Auftritt überhaupt noch toppen kann.
Dass Car Seat Headrest mit „Vincent“ starten, ist jedenfalls schon mal der richtige Ansatz. Der Hit von ihrem allseits gefeierten aktuellen Album „Teens of Denial“ bringt alles mit, um an das Gewitter der Vorband anzuschließen: solider Indierock, markante Gitarrenpatterns, exaltierter Gesang und eine druckvolle Rhythmus-Sektion. Apropos markant: Will Toledo ist mit seinen 25 Jahren wirklich eine beeindruckende Gestalt. Irgendwo zwischen Milchbubi, College-Boy und sau-coolem Bandleader. Schlacksig, mit Nerd-Brille und dunklem Existenzialisten-Rollkragen dominiert er auch optisch den Auftritt. Mit dem unwiderstehlichen Album-Opener „Fill in the Blank“ setzen die vier aus Virginia gleich noch einen drauf. In der Fan-Ecke am anderen Bühnenrand wird schon gefeiert und mitgesungen.
Die eigentliche Stärke von Toledos Songs besteht aber in ihrer Vielfalt. Kein Wunder, hat man doch in bester DIY-Manier in sieben Jahren glatte zehn Alben raus gehauen, davon acht im Selbstverlag. Erst die beiden letzten haben ein größeres Publikum erreicht, das neueste hat sich 2016 zu Recht auf vielen Jahresbestenlisten wiedergefunden.
Aus diesem Riesenfundus einen dramaturgisch spannenden Gig zusammenzustellen, da zeigt sich die ganze Klasse von Will Toledo. Wie ein abgezockter Profi spielt er mit Tempo und Dynamik – verneigt sich zwischendurch mit einer Coverversion vor den Pixies – und lässt das Set mit einem herrlich verschleppten „Famous Prophets“ enden. In der Zugabe tritt Toledo dann ohne Gitarre auf und präsentiert einen eckig-unbeholfenen Box-Tanz, der ihm endgültig einen sicheren Platz in der Hitliste musikalischer Sonderlinge sichert.
Setlist TRAAMS
Costner
Head Roll
Neckbrace
Silver Lining
Low
A House On Fire
Flowers
Klaus
Setlist Car Seat Headrest
Vincent
Fill in the Blank
Maud Gone
Deytroyed by Hippie Powers
Motorway to Roswell [Pixies Cover]
Sober To Death
Stoop Kid
Drunk Drivers/Killer Whales
Unforgving Girl (She’s Not An)
Famous Prophets (Minds)
Connect The Dots (The Saga of Frank Sinatra)
Und ein bisschen „Gloria“ von Them gabs zum Schluss auch noch… :-)
Sehr guter Artikel zu zwei klasse Bands und einer tollen Location…. ein toller Abend. Klaus aus Kirchheim