UB40, 24.01.2017, Im Wizemann, Stuttgart
Absoluter Trend gerade: ein komplettes Album in einem Konzert zu spielen. Am besten das wichtigste oder erfolgreichste. Und als Dreingabe – welches Album ist schon lang genug für einen ganzen Gig? – eine Auswahl der Hits. Bewährtes Konzept um hartgesottene Fans und Gelegenheitshörer gleichermaßen anzuziehen. Kann aber auch in die Hose gehen. Wie das Konzert der britischen Reggae-Legende UB40 mit der Präsentation ihres Erstlings „Signing Off“ eindrucksvoll vorführte. Denn allzu groß ist die Kluft zwischen ihrem epochalen Debüt-Album und ihrem späteren Reggae-Ausverkauf, der sich aus einer Reihe kühl kalkulierter Cover-Versionen und überzuckerten Pop-Reggae-Schnulzen zusammensetzte.
Als UB40 (der Name bekanntlich hergeleitet von der Abkürzung für das Antragsformular zur Arbeitslosenunterstützung) das Album im Design eben dieses Formulars veröffentlichten, schufen sie nicht nur einen ganz neuen Reggae-Stil, sondern schafften es damit sogar ohne Major-Label auf Platz zwei der englischen Charts. Auch die Darreichungsform ungewöhnlich: um den 13 teils opulenten Titeln Platz zu geben, befanden sich in der Hülle eine LP und eine EP.
Ein hochpolitisches Album aus dem Jahr 1980, das Aggression und Resignation im krisengeschüttelten England unter der eisernen Margaret Thatcher gleichermaßen ausdrückt. Man darf sich durch die gefälligen Melodien und federleichten Karibik-Rhythmen nicht täuschen lassen. In ihren Texten sind die Campbell-Brüder deutlicher und zorniger als manche Punk-Band.
There are murders that we must account for
Bloody deeds have been done in my name
Criminal acts we must pay for
And our children will shoulder the blameI’m a British subject, not proud of it
While I carry the burden of shame
Neben einigen Instrumental-Titeln und zwei Cover-Versionen (Randy Newmans „I think it’s going to rain today“ und Billie Holidays „Strange Fruit“) enthält das Album ihren großartigen Debüt-Titel „Food for Thought“ sowie die zornige Thatcher-Hass-Hymne „Madam Medusa“.
From the land of shadows
Comes a dreadful sight
Lady with the marble smile
Spirit of the night
Soviel zur Papierform. Live funktioniert dies überraschenderweise erstmal gar nicht. Und das liegt nicht an der routiniert aufspielenden neunköpfigen Band. Die ersten drei Titel gehen in einem ärmlichen Sound unter, die an der Bühnenkante gespielten Saxophone quäken jämmerlich. Wahrlich nicht das, was man bei einer Produktion dieser Klasse erwarten darf. Nachdem der Mischer dies aber irgendwann im Griff hat, stellt sich heraus, dass das Album in Gänze vielleicht doch nur etwas für nostalgische UB40-Liebhaber ist. Ohne größere Höhepunkte plätschert es dahin. Ausgerechnet beim Titelsong „Signing Off“ weicht die Band von der sonst werkgetreuen Wiedergabe ab. Die knappe Saxophon-Fanfare wird mit unnötigen Girlanden versehen und der ultraharte Offbeat-Riff wird durch einen sanften Reggae-Offbeat ersetzt. Schade. Erst beim erwähnten „Madame Medusa“ kommt Stimmung auf.
Schaut man sich in der seltsam unbewegten Runde um, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die meisten der Versammelten nur den versprochenen Hit-Block herbeisehnen. Die Halle des Wizemann ist übrigens gut halbvoll, das Publikum bewegt sich altersmäßig zwischen Mitte vierzig und Anfang Fünfzig.
Und was nun in der folgenden halben Stunde dargebracht wird, macht auf’s Grausamste den Zusammenhang zwischen abnehmender Qualität und zunehmendem Erfolg bewusst. Binnen Minuten breitet sich, beginnend mit „Higher Ground“ und „Cherry Oh Baby“, eine Stimmung zwischen Bierzelt und ZDF Fernsehgarten aus. Unterstützt durch eine weit buntere Lightshow, rhythmisch-synchrone Hüftbewegung auf der Bühne und einen beherzten Griff zum Lautstärkeregler. Das weichgespülte „Red Red Wine“ oder das Elvis-Cover „I Can’t Help Falling In Love With You“ – alles wird mit Jubel begrüßt. Dazu gibt’s cheesy Keyboard-Sounds und Eighties-Elektronik-Drums galore. Mit „Johnny Too Bad“ wird ein weiterer Reggae-Klassiker gemeuchelt. Der massige Percussionist Norman Hassan kommt an die Bühnenkante und macht aus dem soulig-melancholischen Rude-Boy-Song der Slickers einen wurschtigen Party-Klopper zum Mitklatschen. Reggae Night of the Proms quasi. Mit „Kingston Town“ nähert sich der Abend seinem erwarteten Ende und entlässt vermutlich alle Gäste mit gemischten Gefühlen. Die einen haben sich den Genuss von „Signing Off“ durch die quietschige Best-of-Show verderben lassen, die anderen haben für knapp 50 Euro gerade mal eine halbe Stunde Hits bekommen.
Und erst beim Verlassen sehe ich die grellgelben Warnschilder, die der Sponsor zu beiden Seiten des Eingangs hat aufstellen lassen: „SWR 1 gehört gehört.“ Ich hätte es also wissen können.
„Kingston Town“, „Red Red Wine“, „I Got You Babe“, „Can’t Help Falling in Love“. Fällt mir gerade erst auf aber kann es sein, dass die großen Hits von UB40 alles Coversongs sind!?