CONOR OBERST, 18.01.2017, Theaterhaus, Stuttgart
Conor Oberst spricht nicht viel. Auf der Bühne bewegt er sich bedächtig. Der Singer-Songwriter und Bright Eyes-Kopf lässt seine Songs sprechen und sein enormes Charisma. Er ist ein Monster of Folk, zurückhaltend und kauzig. Eigenschaften, die ihm ebenso geholfen haben, den Weg vom Posterboy zum Elder Statesman des zeitgenössischen amerikanischen Folks zu beschreiten wie seine beeindruckende Fähigkeit Lieder und Texte von höchster Güte zu schreiben. Diese packt er dann auf eines seiner zahllosen Studioalben, von denen gefühlt mindestens eins pro Jahr erscheint – ob Solo, mit der Mystic Valley Band, mit den Desaparecidos oder natürlich Bright Eyes, um nur einige zu nennen.
Im Oktober veröffentlichte er mit „Ruminations“ seine jüngste Soloplatte, die er mit einer intimate solo perfomance auch im Stuttgarter Theaterhaus vorstellt. Das ruhige Album lässt sich reduziert aufführen und so passt es, den Auftritt mit diesem Zusatz zu bewerben. Neun der zehn Stücke der Platte finden sich auf der aktuellen Setlist. Alleine tritt der Musiker aus Omaha, Nebraska, dann aber keineswegs auf. Zwei Support Acts haben am zweiten Abend der Tournee zunächst Zeit ihre Songs zum ersten Mal auch einem europäischen Live-Publikum zu präsentieren: Zwei Tage vor Donald Trumps Vereidigung als US-Präsident überzeugt Miwi La Lupa, der Conor Oberst später das ganze Konzert hindurch an Bass und Gitarre unterstützt, mit einer höchst politischen Folkspielart zwischen Billy Bragg und Bill Callahan, die in den USA wohl unter Alternative Country laufen würde: Der Afroamerikaner setzt sich mit Rassismus auseinander, besingt Martin Luther King und Natur-Idyllen mit sanfter Stimme und einem Händchen für eingehende Melodien. Vor allem „I Yield“ und „Here I Am“ bleiben in guter Erinnerung. Auch die 22-jährige Phoebe Bridgers kann mit ihrer lakonischen Präsentation depressiver Liebeslieder punkten. Die junge Musikerin ganz in Schwarz, deren kühle Aura sie zur perfekten Besetzung einer weiblichen Hauptrolle in einem klassischen Hitchcock-Film qualifizieren würde, singt über Alpträume und Beerdigungen, Liebeskummer, Einsamkeit, Suizidgedanken und Ängste. „This is a sad song, too“, kündigt sie ihre Lieder dann schon mal an. Dabei klingt so sanft, so zart, dass man sie und ihre Songs für harmlos halten könnte, wären da nicht die überzeugenden, ganz und gar nicht harmlosen Texte. Ryan Adams sieht das ähnlich. Er verglich sie mit Bob Dylan und veröffentlichte eine 7-Inch auf seinem Label.
Es geht aufwärts in der Karriere der reizenden Sängerin aus Los Angeles. Daran hat auch Conor Oberst keine Zweifel. Ihr Album würde dieses Jahr erscheinen, sobald sich ein Major Label im Wettbieten durchsetzen könne, erzählt Oberst nur scheinbar scherzend, als er Bridgers gegen Ende des Konzerts auf die Bühne bittet, um ihn bei den zeitlosen Bright-Eyes-Klassikern „Lua“ und „The Big Picture“ zu unterstützen. Die Duette sind wunderschöne Höhepunkte eines erstaunlichen, ja, eines großartigen Konzerts, wie man es selten erlebt.
Conor Oberst gelingt es mit markanter Stimme, bescheidenen Gesten und riesigen Songs über menschliches Leid seinen Ruf als ein Bob Dylan der Generation Y zu bestätigen. Als Zuschauer erlebt man einen unrasierten Mittdreißiger im dezenten Jackett mit umgeschlagenen Ärmeln, der ein trauriges Lied nach dem anderen singen kann, ohne damit je Gefahr zu laufen, zu kitschig oder pathetisch zu wirken. Im Gegenteil gelingt es Oberst an Klavier und Gitarre ehrlich zu berühren und einen für knapp zwei Stunden in seiner faszinierenden Gedankenwelt gefangen zu nehmen. Denn so traurig die Texte auch sind, sie sind immerzu voller Witz und Anmut. „It’s a bad dream / I have it seven times a week“, klagt er gleich im ersten Lied, der grandiosen Piano-Ballade, „Tachycardia“, um sich dann zu beruhigen „no it’s not me / But I’m the one who has to die“. Kein Song, den man nicht am liebsten zitieren würde, keine Zeile, die einen kalt lässt. Herzrasen! „Gossamer Thin“ folgt, Depressionen, Liebeskummer und Ängste auch hier.
Oberst spielt Mundharmonika, die zwischen den Songs von einem Freund und Roadie, der mit Bart und Hut wahlweise so aussieht wie Heisenberg in Breaking Bad oder unser Holger, in einem Goldfischglas hinter dem Klavier mit großer Akribie gereinigt und abgetrocknet wird. „I don’t wanna feel stuck, baby / I just wanna get drunk before noon“, singt Oberst dann im brillanten „Barbary Coast (Later)“. Man hat Tränen in den Augen, dabei ist es doch erst das dritte Stück heute Abend. Alles geht einem nah – weil es so gut geschrieben ist, so unprätentiös ist und schlichtweg weil es so gut tut, Gefühle zuzulassen. Das größte Geheimnis des Songwriters und Livemusikers Conor Oberst ist daher seine unglaubliche Fähigkeit, den Zuschauer den Moment vergessen zu lassen. Smartphone Displays sind kaum zu sehen, das eigene Schlucken erscheint einem plötzlich ohrenbetäubend laut. Die Aufmerksamkeit ist enorm. Man beobachtet sich nicht mehr selbst, sondern schaut und hört, was der schlaksige Man mit den struppigen Haaren auf die Bühne bringt. Und ja, natürlich klingt das jetzt übertrieben. Aber es fällt schwer, ohne Superlative über diesen genuinen Musiker zu schreiben, der da gerade ein Konzert des Jahres gibt.
Zwischendurch covert er Songs von befreundeten Musikern (die Felice Brothers Perle „Rockefeller Druglaw Blues und die wunderbare Gillian Welch Nummer „Everything Is Free“), denen er sich mit der gleichen Sorgfalt und Leidenschaft widmet wie dem eigenen Werk. „Looking good as Jane Fonda / On a Vietnam tank“, singt er in „A Little Uncanny“, einem humorvollen Highlight des gerade noch aktuellen Albums, dessen Nachfolger im März erscheinen wird, wie am Nachmittag vor dem Konzert noch via Facebook angekündigt wurde. Nach „Till St. Dymphna Kicks Us Out“, einem Klavierstück dessen melodiöse Raffinesse dem frühen Elton John alle Ehre gemacht hätte, gibt es eine kurze Pause. Man könne in der Zeit ja etwas Bloggen, meint Oberst etwas früher. Mit Ausnahme einer besonders eifrigen Bloggerin aus einer Metropole im Südosten Deutschlands macht das dann wohl keiner, zu begeistert ist man schließlich ob des gerade Erlebten.
Acht Lieder folgen noch – keine Zugaben. Doch wer braucht die schon. Neues wie „Counting Sheep“ und „The Rain Follows The Plow“ ebnen dem großen Bright Eyes schwangeren Finale den Weg. Mit Phoebe Bridgers und Miwi La Lupa singt er unsterbliche Klassiker; dann allein „At the Bottom of Everything“. Conor Oberst verneigt sich, lächelt schelmisch. Das war’s. Mit größtmöglicher Nonchalance beweist das einstige Wunderkind, dass er der größte Folksongwriter seiner Generation ist. Punkt. Glückselig verlassen wir das Theaterhaus, wohl wissend, dass es genau solche Abende sind, die uns vor Augen führen, warum wir immer wieder in die Konzertsäle ziehen, und die zwischen all dem Mediokren, was man für gewöhnlich zu sehen bekommt, leuchten.
Conor Oberst
Phoebe Bridgers
Ich sah das Poster, kenne aber seit den Lua/Wide awake it’s morning Zeiten keine neuen Songs und dachte, ach nee, musste nicht hingehen. Nun bereue ich es.
Lächeln, Fabian.
Ein akustischer Hochgenuss!
Ich bin auch nur durch ein Plakat auf das Konzert aufmerksam geworden und dachte, das wäre ein super Weihnachtsgeschenk für meinen Freund. (kenne auch nichts von ihm seit I’m wide awake it’s morning) Das Konzert war absolut atemberaubend! Was für ein Glücksgriff!