ZEIT ZU LIEBEN ZEIT ZU STERBEN – von Fritz Kater, frei nach den Motiven des Films „Time Stands Still“ von Péter Gothár, 22.12.2016, Schauspielhaus, Stuttgart

Zeit zu Leben, Schauspiel Stuttgart

Foto: Bettina Stöß

Nachdem ich für den Gig-Blog über „Chelsea Hotel“ geschrieben habe, lädt uns das Staatstheater ein, auch über das Stück „zeit zu lieben zeit zu sterben“ von Fritz Kater alias Armin Petras zu schreiben. Das nehme ich doch gerne an und sitze nun in Reihe 5 in der Mitte – wie immer habe ich das Sitzplatzsystem nicht so ganz geblickt, ob ich das noch lerne?!

Dem Programmheft entnehme ich, dass das Stück in drei Teile gegliedert ist. Der erste Teil ist chorisch aufgebaut und wir sehen eine dreiköpfige Band vor einer Lichterwand und davor aufgereiht 9 Schauspieler. Die Musiker werden den ganzen Abend im Hintergrund dabei sein und entweder alles leise untermalen oder lautstark unterbrechen. Allesamt sind ziemlich hübsch schwarz-weiß gekleidet. Sie sollen Jugendliche im Ostdeutschland der 70er- und 80 Jahre darstellen, die Klamotten passen da nicht dazu. In ständigem Wechsel erzählen die Darsteller von ihren Sehnsüchten, Nöten, Alkohol, Sex und selbstgebastelten Rocklexikons – das hört sich nicht anders an als im Westen, meine ich, und vielleicht soll die Kleidung die Gemeinsamkeiten und nicht die Unterschiede hervorheben. Witzig sind die ungelenken, Macarena-esken Tanzeinlagen und eine Kräne-Performance zu einem Country-Popsong. Immer wieder singt Lisa Marie Neumann mit betörender Stimme ein paar Zeilen dazwischen, die Band klimpert dezent im Hintergrund. Ich frage mich, warum Schauspieler auch immer noch so verdammt gut singen können! Technik kann man lernen, okay, aber dann noch so eine ungewöhnliche Stimme? Irgendwann dämmert es mir, dass sie gar nicht zum Ensemble gehört, sondern Sängerin ist. Sie und die Band im Bühnenhintergrund sind im richtigen Leben marie and the redCat. Komisch, dass ich die nicht kenne!

Teil 2 bringt sehr gut die Konsequenzen rüber, die jene zu tragen hatten, die von denen zurückgelassen wurden, die abgehauen sind. Er erzählt u.a. eine Familiengeschichte, wie Sie für die DDR nicht untypisch war. Der Vater ist nach Australien abgehauen, „Onkel Breuer“ kehrt rehabilitiert nach zwölf Jahren Knast zurück und nimmt sich der einsamen Mutter an. Er hat für die Jungs nur die Botschaft, dass sie besser die Beine still- und das Maul halten sollen. Der eine Sohn möchte Schauspieler werden, soll aber irgendwas anderes studieren. Als er dann tatsächlich studieren will, darf er gar nicht mehr studieren, weil sein Vater ja mal abgehauen ist. Und der andere Sohn, Peter, schlendert rauchend auf der, sich ohne Unterlass drehenden, Bühne mit einer sich ständig wiederholenden „Hüpf-Kick-Ball-Change-Choreo“ vor seinen Gefühlen für die schöne Adriana weg. Die Verschmähte rächt sich, indem sie sich dem Bruder hingibt. Die Lehrer triezen die Schüler, Peter verliebt sich in die neue Lehrerin, die einen scheinbar kranken jüngeren Mann hat, den sie einsperrt.
Plötzlich ist die Mauer weg und der Vater aus Australien steht wieder vor der Tür. Ob er Ansprüche stellt, erfahren wir nicht mehr. Dass er trotz seiner errungenen Freiheit auch einen hohen Preis gezahlt hat, daran zweifle ich nicht. Es ist auch schlimm, wenn man nicht mehr zurückkann, wo zu Hause ist. Peter will mit Dirk nach New York, aber nun dreht er um, wegen Adriana.

Dirk hält im dritten Teil einen Monolog über das Scheitern seiner Familie, während im Hintergrund Lisa Marie singt. Als man ihr das Mikro wegnimmt, singt sie zart weiter; die Stimmen lassen sich nicht abstellen. Er hat Frau und Kind verlassen. Er begegnet einer neuen Frau, die Ausländerin ist, aber wo ist ER eigentlich? Egal. Mit ihr lebt er eine fatale Beziehung der gegenseitigen Verletzungen, des Wegstoßens und des Hingezogenseins. Die Enge der DDR existiert nicht mehr, aber er scheint dennoch in irgendetwas gefangen zu sein.

Das war ein unterhaltsamer, eindrucksvoll inszenierter Theater- sowie Konzertabend. Einziger Kritikpunkt ist die Version von Neil Youngs „Old Man“, die ging für mich gar nicht. Die anderen Songs waren schön interpretiert.

Ich bedaure es, dass Armin Petras 2018 Stuttgart den Rücken kehrt. Ich erinnere mich an quälend lange, weil langweilige, Abende im Staatstheater bei seinen Vorgängern, wobei ich mich mindestens 5 Jahre vor Petras gar nicht mehr hingetraut habe (womöglich hab ich da was verpasst?). Klar, gab es immer mal ein grandioses Stück, vor allem in der Spielstätte „Depot“. Vielleicht bin ich einfach nicht intellektuell genug – aber ist es so falsch, dass ich im Theater nicht gelangweilt werden will?

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