GROSSSTADTGEFLÜSTER, 30.11.2016, Im Wizemann, Stuttgart
So richtig gut fand ich Grossstadtgeflüster eigentlich nie. Nein, das stimmt nicht. Richtig ist: ich hab sie nie so richtig wahrgenommen. Was komisch ist, denn Electroclash / Electropop / Electropunk ist durchaus mein Ding. Die „Stuttgart Kaputtraven“-Konzerte habe ich stets gerne besucht und Grossstadtgeflüster kann man durchaus in eine Reihe der dort aufgetretenen Bands wie Captain Capa, T.Raumschmiere, Egotronic oder Ira Atari stellen.
Aber meine Ignoranz sollte sich dann schlagartig ändern, als ich Ende letzten Jahres wie so viele in die „Fickt-Euch-Allee“ abgebogen bin. Die Mittelfinger-hoch-Hymne brachte Grossstadtgeflüster Ende 2015 schlagartig nicht nur in mein Bewusstsein. Ach, schau an, die Band gibt es ja schon seit 2003. Oh, vier Platten schon und gar nicht mal so schlecht. Also ab ins Wizemann, das muss man sich auch mal live anschauen, könnte spassig werden.
Bei der Ankunft an der Halle erstmal Verwunderung. Das Publikum ist doch … konservativer als gedacht. Des Rätsels Lösung: parallel findet auch das Konzert von Frida Gold statt. Während die ganzen Versicherungsfachangestellten nach hinten in die große Halle durchgehen, biegen die coolen Kids in den kleineren Club ab. Wobei es nicht unbedingt Kids sind, eine bunte Mischung verschiedenster Leute mit einem geschätzten Altersschnitt von knapp Ende Zwanzig.
Um 20:35 nimmt Schlagzeuger Chriz Falk hinter seinem Schlagzeug Platz. Er wird das ganze Konzert über unauffällig seine Arbeit verrichten und nicht weiter groß in Erscheinung treten. Den Mittelpunkt der Band bilden zum einen der heute Abend ganz in schwarz gekleidete Raphael Schalz an den am rechten Bühnenrand stehenden Keyboards. Und dann natürlich die Frontfrau Jen Bender, die wegen kaputter Kreuzbänder zwar nicht vollen Auf-der-Bühne-rumspringen-Einsatz bringen kann und trotz ihrer geringen Körpergröße aber in der grünen Adidas-Jacke nicht zu übersehen ist.
Mit „Ufos überm Fernsehturm“, einem schöner Elektro-Bouncer, geht es los. Die Menge ist auch gleich dabei, die totale Partystimmung will sich bei mir aber nicht sofort einstellen. Irgendwas ist noch nicht richtig. Als jemand „Lauter!“ ruft wird klar was fehlt: Der Sound ist zwar gut, aber doch etwas zurückhaltend. Dass man auf einem Konzert steht und auch den Gesang versteht ist ja leider nicht überall selbstverständlich, ausgewogener Klang ist im Prinzip eine feine Sache. Aber gerade bei so’ner Musik ist vielleicht mehr noch als der Klang der Druck wichtig, der einem von der Band entgegen kommt. Der Bass muss ficken, wie die jungen Leute zu sagen pflegen. In Kombination mit dem immer etwas kühlen „Turnhallen“-Ambientes des kleinen Wizemann-Clubs, bremst das mein Konzerterlebnis erstmal etwas aus.
Die neueren Songs von Grossstadtgeflüster enthalten immer noch die typischen Elemente. Ein trashiges Electro-Punk-Pop-Puzzle zusammengesetzt aus allen Teilen der Popkultur, auch wenn auf den Songs der letzten beiden EPs der Hip-Hop/Rap-Anteil für mein Empfinden etwas deutlicher hervortritt. Wie z.B. auch gleich beim zweiten Song zu hören ist, „Ich rollator mit meim Besten“. Als nach einer halben Stunde dann bereits der vermeintlich so große Hit „Fickt-Euch-Allee“ gespielt wird, ist die Stimmung in der Halle ganz oben und auch mir macht das alles hier inzwischen doch ziemlich Spass, ich habe mich eingegroovt. Der Tonmensch hinterm Mischpult wird hier wohl nichts mehr nach oben korrigieren und wenn man sich nur auf das konzentriert was fehlt würde man das verpassen was vor einem liegt. Ein unterhaltsames Konzert nämlich. Denn die Beats treiben die Meute vor sich her und es wird allerorten getanzt und gesprungen und gesungen.
Das Mitsingen fällt auch nicht schwer, denn die Texte sind simpel. Aber nicht dämlich. Geschichten über die Alltagstristesse und die Ablenkung davon. Wie Tagebucheinträge für die man sich auch Jahre später nicht schämt. Die Ansagen wiederum sind manchmal etwas arg nah am Cliché („Gehts euch gut, Stuttgart?“ – „Gibt es eine Pogo-Fraktion?“ – „Wo sind die Hände?“) und erinnern mich an Kirmesansager (nur konsequent, dass das durch Die Orsons bekannte „Schwung in die Kiste“-Intro in einem Song kurz reingesamplet wird). Vielleicht liegt es auch am Dialekt. Aber man nimmt es den beiden irgendwie auch nicht übel. Im Gegenteil, mit Jen und ihrer Berliner Schnauze könnte man sich vorstellen mal am Späti stehend ein paar Sterni zu zischen und über Gott und die Welt zu plaudern. Und es wurde ja auch zu Beginn gleich angekündigt, dass sich GSGF als „Veranstaltungsanimation mit konstanter Steigerung“ verstehen. Und Animation und Steigerung gab es. Im Laufe der Show wurden große Luftballons auf das Publikum losgelassen, Konfettikanonen gezündet und natürlich durften auch die Szenetypischen Knicklichter nicht fehlen.
Zwischendrin kommt ein Block mit den etwas poppiger Sachen („Blaues Wunder“, „Konfetti & Yeah“). Das ist weniger Deichkind, sondern erinnert eher an Mia. oder auch 2Raumwohnung. Gerade „Konfetti & Yeah“ ist ein Song der für meinen Geschmack zu tief im Zonenrandgebiet zum Bourani-Schmalz-Pathos wohnt. Aber kein Problem, kann man mal kurz Bier holen gehen ohne was zu verpassen.
Als wirklicher Über-Hit stellt sich dann „Ich muss gar nix“ raus, die Single vom Debütalbum von 2006, der als letzter Song gespielt wird. Doch die feiernde Menge kommt gar nicht zum Zusage-Rufen, denn schon wenige Sekunden später steht die Band wieder auf der Bühne. Dem Motto „Veranstaltungsanimation“ treu bleibend, wird noch eine Wall of Death dirigiert und nach drei Songs Zugabe geht das Konzert mit „Haufenweise Scheiße“ zu Ende.
Und trotz fehlendem Bassdruck war das hier und heute alles andere als Scheiße. Nicht auszudenken die Eskalation in einem clubbigerem Umfeld und mit dem angemessenen Bassdruck.