AL PRIDE, 12.11.2016, Freies Radio Stuttgart, Zwölfzehn, Stuttgart

Al Pride

Foto: Andreas Meinhardt

Ungewöhnlich geht er los, der heutige Gig-Blog-Abend. Um 17.58 erreiche ich die Räumlichkeiten des Stuttgarter Freien Radios. Erstens früh, zweitens keine Konzertlocation. Die Schweizer Band Al Pride macht den letzten Halt ihrer ersten Deutschland-Tour in Stuttgart und gibt vor dem Konzert im Zwölfzehn in der Sendung Satokii ein Stelldichein. Die Band ist mir bis auf die CD „Hallavara“, die mir Moderator Christian Baudisch vorher noch zugespielt hat, völlig unbekannt. Erstmal treffe ich aufm Gang einen jungen Mann, den ich als Mitarbeiter vom Radio falsch identifiziere. „Ah, ist von der Band“, denke ich erst, als er sich mit Akzent als Luke vorstellt. Häh, sind das doch Briten? Dann komme ich in den Vorraum des Studios, wo in jeder Ecke irgendeiner liegt oder sitzt, eine junge Frau ist auch da. Okay, Al Pride sind eine große Band. Irgendwie hatte ich Mann, Frau und jede Menge Elektronik erwartet. Schöne Überraschung!

Konzertbericht: AL PRIDE, 12.11.2016, Freies Radio Stuttgart, Zwölfzehn, Stuttgart

Foto: X-tof Hoyer

Um 18 Uhr beginnt die Sendung pünktlich mit Musik vom Band, währenddessen sprechen sich Moderator Christian und Niko, Gitarrist und Sänger, noch ein wenig ab. Während man „draußen“ mithören kann, erfahren wir von Niko und Sängerin Astrid alles mögliche über die Strukturen bei Al Pride, das Songwriting und die Umstände, unter denen das Album aufgenommen wurde – die komplette Radiosendung kann man demnächst hier anhören. Während nur „drinnen“ mitgehört werden kann, frage ich erstmal das Durchschnittsalter ab, denn das Album klingt wesentlich älter als die Leute hier aussehen. 26 erfahre ich, ich schlucke und frage, wie man mit 26 schon so gut sein kann. Aber eigentlich waren die Newcomer, als ich ein Teenie war, oft wesentlich jünger – nur war 20 und älter aus Teenieperspektive halt steinalt. Ist also ganz normal, mit 26 so gut zu sein. Natürlich will ich aber trotzdem noch wissen, ob Baden im Kanton Aargau (doch Schweizer), wo Al Pride herkommen, so fad ist, dass alle Musik machen oder ob es einen Musikvereinshintergrund gibt. Nikos Gesicht bekommt ein Strahlen, als er sagt, dass Musikmachen halt einfach nur das Beste ist. Punkt.

Nach ein paar Al-Pride-Songs von CD kommen alle in den Aufnahmeraum, insgesamt sieben, und spielen live den Song People. Ich sitze mitten unter ihnen und bin ganz ergriffen; wunderschöner, teils dreistimmiger Gesang, Posaune, Trompete und Saxophon werden zur Wand hin gespielt, damit nicht alles überdröhnt wird. Und noch einer steht da und spielt Schellenring und ich denke, das ist hoffentlich der Schlagzeuger und keiner, der immer nur Schellenring spielen darf. Der Sound ist astrein und ich würde jetzt gerne den Auftritt vom Zwölfzehn hierher verlegen. Christian legt den Song „Camarro“ auf, jetzt kann man noch anrufen und Karten fürs Konzert gewinnen – und die sind auch ganz schnell weg – genauso schnell, wie die einstündige Sendung kurzweilig war.

Wir sind nun im Zwölfzehn und der Raum füllt sich gemächlich, d.h. leider füllt er sich nur ganz gering. Finde ich schade, erfahre aber, dass die Band mit noch weniger Leuten gerechnet hatte, da irgendwas mit der Promo nicht so richtig lief. Und unbekannte Bands schaut sich in Stuttgart für 15 Euro leider kaum einer an, traurig, aber leider wahr. Sind eigentlich nur vier Bier weniger oder Latte Macchiato to go oder Döner oder so.

Al Pride

Foto: Andreas Meinhardt

Niko und Astrid beginnen alleine mit dem Song „Dive“, das ist ein sehr schöner Einstieg. Bei Song Nr. 2 kommt dann auch der Rest der Band auf die Bühne. Überraschung, es gibt noch ein achtes Bandmitglied und zwar natürlich einen Basser. Dass ich den noch nicht vermisst habe! Al Pride sind sehr gut eingespielt und irgendwie sticht keiner raus. Natürlich scheinen Niko und Astrid irgendwie die Bandleader zu sein, aber ich empfinde diese acht, ein wenig schüchtern wirkende Musiker, als eine totale Einheit. Bläser zu haben ist natürlich eine feine Sache, das macht viel her. Diese drei sympathischen jungen Männer sind optisch sehr 80er-Jahre, was irgendwie nicht mehr aus der Mode zu kommen scheint.

Zurück zur Musik: Die Songs sind oft sehr sphärisch, ich frage mich, ob Astrid viele Effekte auf der Stimme hat, aber im Radiostudio gab es auch keine Effekte und da klang das genauso. Glockenklar ist ihre Stimme, da gibt es keine Kratzer, kein Ächzen, keine Brüche, obwohl sie manchmal ganz schön druckvoll singt. Was bei anderen den Gesang oft ausmacht, fehlt hier nicht. Das ist ein phantastischer Kontrast zu Nikos kraftvoller Männerstimme, oft singen die beiden zweistimmig, manchmal stimmt auch Luke noch mit ein, der die meiste Zeit an der Orgel sitzt, manchmal aber auch die Gitarre in die Hand nimmt. Ach ja, der Schellenringmann ist tatsächlich der Schlagzeuger, ich bin erleichtert.

Das Publikum besteht zu einem Großteil aus einem jungen Mann, der heute Geburtstag hat, und seinen Gästen. Sie haben sich leider viel zu erzählen und das stört manchmal ganz schön, außer bei Stück 3, das schön laut ist. Ich habe das Gefühl, dass es die Band auch ganz schön verunsichert, aber sie beschweren sich nicht, nur einmal „scchhhhht“ Niko bei einem ruhigen Stück ins Mikrofon, er möchte gehört werden, recht hat er. Doch obwohl das Publikum unaufmerksam wirkt, ist es beim Applaus lautstark dabei und kriegt also doch was mit. Gestern war ich ja schon bei Holly Golightly, da war es leider auch so. Vielleicht sollte man Tonträger etc. abschaffen und Musik nur noch live anbieten, dann hören die Leute vielleicht wieder zu.

Niko erzählt, dass es die Band schon sieben Jahre gibt und er vergleicht den Prozess mit dem Brennen von Gin, was ich erstmal nicht kapiere, weil ich irgendwie verstehe, dass es um das Verbrennen von Gin geht. Und ich mache mir Gedanken, ob es beim Verbrennen von Gin einen ungewöhnlichen chemischen Vorgang gibt und sehe Gin schwelen und … ach so, peinlich: Gin brennen! Ich bin wohl etwas erschöpft. Nun ja, es hat wohl lange gedauert, bis der Gin schmackhaft war … Später gibt es auch noch eine kleine Bierphilosophie, da blitzt die Jugend der Band dann doch mal durch. Für die Vorstellung der Musiker gibt es ein spezielles Instrumentalstück und dauert bei acht Leuten entsprechend lang, zum Glück sparen sie aus, dass jeder ein mehrminütiges Solo hindudelt, wobei das natürlich auch gut sein könnte.

Mein Lieblingssong heute Abend ist „Lightyearman“, er kriecht einem ganz reduziert mit zartem zweistimmigem Gesang unter die Haut, dann gibt es einen Bruch und das Stück geht ab und in die Beine! Ziemlich gegen Ende des Sets spielen Al Pride „Gold“, den Opener des Albums, der sicher das größte Hitpotenzial hat. Obwohl Astrid wirklich eine ganz eigene Stimme hat, erinnert sie – nur in diesem Song – bei manchen Zeilen an die wundervolle Edie Brickell. Und jetzt folgt noch eine Überraschung, also nicht als solche gemeint, aber ich bin überrascht und „leider“ drängt sich mir erneut ein kleiner Vergleich auf bzw. zwei. Nur Luke und Niko sind noch auf der Bühne und spielen ein herzzerreißendes Stück, Niko beginnt zu singen und ich denke „Coldplay“ und dann etwas später „nein, Radiohead“. Der Rest der Band trudelt wieder ein und es wird episch und plötzlich verwandelt sich das Stück ohne Vorwarnung zu einer New-Orleans-Nummer! Huch?! Grandios!

Jetzt wird das letzte Stück angekündigt. Niko sagt etwas über die Haltung der Band zu Zugaben und verscherzt es sich damit nicht nur mit mir. Mit der Ahnung, dass er sich ungeschickt ausgedrückt hat, wiederhole ich es hier nicht. Egal, ich hatte trotzdem einen tollen Abend mit dieser spitzenmäßigen Liveband und kann einen Konzertbesuch empfehlen!

Setlist

Dive
Stones
Follower
Waterfalls
Robots
Lightyearman
People
Home
Introducers
Leaf
Gold
BLHS
Camarro

Al Pride

Foto: Andreas Meinhardt

Al Pride im Zwölfzehn

Al Pride im Freien Radio

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