NEW FALL FESTIVAL: BOY, 28.10.2016, Liederhalle, Stuttgart
Es war 2011 im Herbst. Mein erstes Semester hatte gerade begonnen mit allen damit verbundenen Hoffnungen, Wünschen und Ängsten. Boy hatten gerade ihr erstes Album veröffentlicht und wir waren alle ein wenig verzaubert vom unverkrampften Wohlklang, den reizenden Melodien und deren sprudelnder Unbeschwertheit. Es war der perfekte Soundtrack für die ersten Schritte im Studentenleben. Für das Konzert im Schocken gab es natürlich keine Karten mehr, kurz darauf ging es für das Hamburger Pop-Duo auf US- und dann auf ausgedehnte Festivaltour. Boy machten es leicht, sie zu mögen. „Little Numbers“ war nicht nur der schönste Sommerhit des Jahres, er schaffte es sogar für einen Moment diese große Airline aus Frankfurt sympathisch erscheinen zu lassen. Der Erfolg nahm stetig zu. Mein Interesse an Boy aber ließ dann doch recht schnell nach, was auch daran liegen mag, dass sich die Beiden für mehrere Jahre komplett zurückgezogen hatten. Das kann man durchaus mit einer verfließenden Sommerliebe vergleichen. Eine Zeit lang ist man ganz hin und weg, heftig bewegt, kann sich nicht vorstellen, dass man einmal anders empfinden könnte, später fragt man sich dann warum, blickt aber mit einem Lächeln zurück und freut sich doch, wenn sich wieder und wieder begegnet.
Jetzt stehen Valeska Steiner und Sonja Glass mit vier Begleitmusikern im Rahmen des erstmals auch in Stuttgart stattfindenden Ableger des Düsseldorfer New Fall Festival auf der Bühne. Die 750 Zuschauer im komplett bestuhlten wundervollen Mozart-Saal der Liederhalle werden Zeuge eines hochprofessionellen 80-minütigen Konzerts, das niemanden weh tut, viele beglückt und auch mir Spaß macht.
Die Schweizerin Valeska Steiner hat Geburtstag und Radio-Moderatorin Christiane Falk stimmt nach ein paar einführenden Worten einen „Happy Birthday“-Chor an. „Es ist so schön Geburtstag mit besten Freunden auf der Bühne feiern zu dürfen und mit neuen Freunden im Publikum“, sagt Steiner fröhlich. Sonja Glass hängt sich den Bass um und „We Were Here“ vom gleichnamigen zweiten Studioalbum ist der erste Song. Die Bühne ist in dunkelblaues Licht gehüllt, der Sound auf den meisten Plätzen exzellent. Aus der Ferne erinnert Steiners schlanke Silhouette ein bisschen an die junge Patti Smith, aber sie singt viel besser.
Rasch wird klar, dass die Perfomance mitunter brachialer ausfällt, als es sich das junge Publikum wohl dachte. So bekommt der liebliche Freundschafts-Song „Army“ ein geradezu radioheadeskes Fade-Out verpasst. Dazu gibt es zwei Drummer, was seit den Allman-Brothers als gute Idee in die Popgeschichte eingeführt wurde und fast jeder Band gut tut – von Radiohead über Massive Attack und Messer hin zu Boy.
Ansagen fallen oft kurz aus, werden immer wieder von einem herzlichen Lachen der Protagonistinnen unterbrochen und sind so sympathisch wie die Songs geschmackvoll und hinreißend sind. Und weil sympathisch häufig mit nett gleichgesetzt wird und nett gerne mit harmlos verwechselt wird, landet man bei Boy rasch in einer Beschreibungssprache, die der Band selbst nicht gefällt und auch nicht gerecht wird: „Was uns schon auf die Nerven geht, ist wenn wir zu oft dieses Wort ’nett‘ hören und in Kombination mit ‚harmlos‘ oder ‚Mädchenmusik’“, klagte Steiner entsprechend in einem BR-Interview vor einigen Monaten.
Dennoch ereilt einen während des Konzerts immer wieder einmal der leise Verdacht, dass das doch alles vielleicht eine Spur zu wohlklingend, das ständige Lächeln womöglich einstudiert, am Ende alles Kalkül ist.
Vor „Boris“ erzählt sie die Anekdote, dass die unsympathische Figur aus dem Song tatsächlich existiert und sich am Vortag nach Jahren wieder gemeldet habe; „Anruf in Abwesenheit“. „Ruf jetzt zurück“, ruft Glass und das Publikum macht mit. Alle Lachen. Am Ende ruft sie natürlich nicht an: „Wäre ich an eurer Stelle, würde ich das auch megalustig finden“, erwidert Steiner mit leichtem Schweizer Akzent und das Korsett der Professionalität aufbrechend.
Darüber hinaus merkt man bei Liedern wie „Oh Boy“, inklusive hübschem Discokugel-Einsatz, „New York“, dem herrlich treibenden Eskapismus-Schunkler „Drive Darling“, den tollen Zugaben „Skin“ „The Beginning“ und natürlich dem Überhit „Little Numbers“, dass die Songs schlichtweg gute Belege für gelungenen Mainstream-Pop sind, der eigentlich niemanden ernstlich stören kann. Dass man gerade das gerne als Argument gegen die Band verwendet, ist bezeichnend und man selbst muss sich hinterfragen, ob man Frauen in der Popmusik nicht viel schneller Unrecht tut als ihren männlichen Kollegen. Denn dass die gleichzeitig im Hegel-Saal im Gebäude gegenüber auftretenden kakanischen Macho-Rocker Wanda meist für ihre vermeintliche Authentizität gefeiert werden und man ebendiese Boy gerne abspricht, macht dieses Dilemma deutlich. Doch der Wanda-Vergleich zeigt noch etwas anderes: Auch die Wiener waren mit „Bologna“ mal so etwas wie eine Sommerliebe – wenn auch mit viel geringerer Halbwertszeit. Tränen weine ich ihr keine nach. „Mutual Friends“ hingegen, das Debütalbum von Boy, wird mich in den kommenden Wochen vielleicht wieder ab und an begleiten, als musikalischer Soundtrack eines wahrlich goldenen Herbsts.
Danke! <3