SKYE | ROSS, 13.10.2016, Im Wizemann, Stuttgart

Konzertbericht vom Konzert von Skye & Ross am 13 Oktober 2016 Im Wizemann, Stuttgart. Text: Christian Baudisch, Fotos: Andreas Meinhardt

Foto: Andreas Meinhardt

Auf dem Weg zum Wizemann-Areal muss ich mich sehr wundern und bin sehr verwirrt, denn fröhliche Horden von Jungvolk in zeitgenössischer urbaner Kleidung strömen mit mir zum Eingang des Veranstaltungsortes. Wollen die auch alle zu Skye | Ross? Das kann ich mir kaum vorstellen. Eine kurze Frage an das Sicherheitspersonal und ich bin aufgeklärt: Die ganzen Pubertiere um mich herum zieht es zu Nimo & Hanybal, die sind auf ihrer „Jaaaaa Maaaann Habeebeee“-Tour, die Schräglage war ratzfatz komplett ausverkauft und daher ist das Konzert in die große Halle des Wizemanns verlegt worden. Kurz mal im Netz reingehört, weiß ich, was in der Nachbarhalle läuft, ich muss das nicht weitervertiefen, für solche Musik bin ich zu alt und weise, aber die werden hier heute Abend sicher auch eine ganze Menge Spaß haben.

Skye | Ross ist das neue Nebenprojekt zweier Originalmitglieder von Morcheeba. Die Sängerin Skye Edwards und der vielseitige Musiker Ross Godrey haben den DJ und Knöpflesdreher Paul Godrey mal nicht mit ins Studio genommen und ein Album ohne ihn aufgenommen. Die Hauptband soll aber nicht tot sein, sondern das ganze liegt offiziell ein Weilchen auf Eis. In den über zwanzig Jahren Bandgeschichte gab es gelegentlich die eine oder andere Veränderung in der Besetzung. Edwards war mal fünf Jahre lang nicht in der Band und als Soloact sehr erfolgreich. Wie das ganze mit der Hauptband nun weitergeht, das werden wir sehen beziehungsweise hören.

Wenn wir über Morcheeba reden, dann müssen wir auch über Trip-Hop reden. Unter diesem wachsweichen Sammelbegriff liefen ab Mitte der neunziger Jahre eigentlich alle Bands, die aus Bristol waren und Musik mit Beats ohne Rap machten. Als das Ganze durch die Decke ging, war eine Herkunft aus Bristol dann nicht mehr zwingend nötig, um als Trip-Hop-Act bezeichnet zu werden. Tricky soll diese Bezeichnung so sehr geliebt haben, dass er jedem Journalisten Schläge androhte, wenn er ihn in einem Interview mit diesem Begriff konfrontierte. Naja, Tricky war zu der Zeit sowieso ein legendäres Stinktier, das durfte ich damals bei einem Konzert in Ludwigsburg selbst erleben. 50 Minuten standen wir im hässlichen Forum, Tricky hatte das Licht nahezu komplett ausmachen lassen und performte komplett mit dem Rücken zum Publikum unter einem riesigen Kapuzenpulli ohne sich für uns besonders zu interessieren. Dann machte der Hausmeister oder jemand anders aus Versehen das Saallicht an, Tricky wurde natürlich sauer und dann war’s das gewesen.

Skye & Ross

Foto: Andreas Meinhardt

Genug von Tricky erzählt, jetzt geht’s wieder um Trip-Hop. Wie wenig einem diese Bezeichnung hilft, einen Musikstil zu beschreiben, sollte eigentlich schnell klarwerden, wenn ich meine drei Lieblingssängerinnen der Neunziger Jahre aufzähle, deren Musik unter diesem Sammelbegriff läuft: Nicolette, Skye Edwards (Morcheeba) und Beth Gibbons (Portishead). Unterschiedlicher geht’s wirklich nicht. Trotzdem weiß dann doch wiederum jeder Bescheid, was gemeint ist, wenn Du „Trip-Hop“ sagst, so ist das nun mal. Vielleicht kommt man so weiter: Nicolette ist schon sehr beatlastig und nicht so weit weg vom Hip Hop wie die anderen, Portishead ist eher was für die Depressiven, während Morcheeba immer gut zu einem Milchkaffee passt, den auch damals alle immer und überall gern aus dicken Gläsern mit Strohhalmen tranken, welche aus irgendeinem Grund meistens rot waren. (Die Strohhalme, nicht die Gläser!)

Ich freue mich auf jeden Fall wie ein Schnitzel, dass zwei Drittel von Morcheeba heute in Stuttgart spielen, Bilderzauberer Andi Meinhardt auch und daher gehen wir hin. Schon beim Einlass erkennst Du die Morcheeba-Fans und -Fäninnen daran, dass sie nicht vom Sicherheitspersonal abgetastet werden. Wir Oldies schmuggeln ja höchstens Milchkaffeebecher und keine Drogen oder Waffen und sonstige verbotene Dinge, die man in der Pubertät so dringend auf Konzerten benötigt, obwohl man sie halt offiziell nicht mit rein nehmen darf. Wer das letzte Mal Anfang der Neunziger Pickel hatte, der wird heute einfach durchgewinkt – au net schlecht.

Skye & Ross

Foto: Andreas Meinhardt

In der Halle wird mir ein bisschen mulmig, ob das heute ein guter Abend werden wird. Die circa 120 Leute, die gekommen sind, sehen erstens sehr gemütlich aus und stehen zweitens etwas verloren in der Halle herum. Hier hätten noch sehr viel mehr Leute reingepasst. Doch als die fünfköpfige Band um halb Neun die Bühne betritt, werde ich eines Besseren belehrt. Die legen gleich richtig los und das Publikum freut sich. „Trigger Hippie“ ist ein Hit aus Morcheeba-Tagen. Wie alle anderen Morcheeba-Hits, von denen es heute reichlich gibt, wird er definitiv rockiger als man ihn vom teilweise zwanzig Jahre alten Tonträger kennt wiedergegeben. Da hätten wir in den Neunzigern vor Schreck unseren Milchkaffee verschüttet. Vor allem Ross Godfrey hat offensichtlich richtig Bock die Saiten zu quälen und ordentlich Krach zu machen. Aber wenn er zum Bottleneck greift und das Wah-Wah-Pedal tritt, dann hat er mich jedesmal in der Tasche. Dies nur als versteckter Hinweis an alle Bands, die von mir gemocht werden wollen, mit Bottleneck, Slide-Gitarren, Pedal-Steel, singenden Sägen, also mit allem, was weinerlich-dramatisch jault, damit kriegt ihr mich immer.

Skye Edwards vertraute unverkennbare Stimme sorgt wiederum dafür, dass es nicht zu ungewohnt wird. Manchmal kommt bei den Morcheeba-Songs „Friction“, „Otherwise“, „The Sea“, „Blindfold“ fast schon Wohnzimmerkonzertatmosphäre auf. Das könnte auch daran liegen, dass Frau Edwards ihre halbe Familie auf die Bühne gestellt hat, mit dem Bassist ist sie verheiratet und der Schlagzeuger ist ihr zweitältester Sohn. Mit Ross Godfrey ist sie ja sozusagen musikalisch verwandt, nur der Keyboarder ist ein „normales“ Bandmitglied. Die mögen sich alle da oben, sind bestens aufeinander eingespielt, haben Spaß am Musikmachen und das strahlen sie auch aus.

Skye & Ross

Foto: Andreas Meinhardt

Doch dann passiert etwas, das die Band und mich sehr überrascht. Schon seit längerem beobachte ich eine fröhlich hopsende Truppe von vier bis fünf Jungs (in meinem Alter), die vor der Bühne richtig Spaß haben und das eine oder andere Bier dabei trinken. Als Skye für die Single „Light of gold“ vom aktuellen Album das Publikum zu einem Mitsingspiel animiert, haut das Ergebnis alle um. Die Burschen verfügen über ordentliche Organe, die eher über viele Jahre in der Cannstatter Kurve oder der Waldau-Tribüne geschult und ausgebildet wurden, als beim Männergesangverein Obertürkheim. Laut sind sie, sehr laut. Nach einem ersten Überraschungsmoment sind Skye und Ross Fans der ausgelassenen Mannschaft und haben mit ihren neuen – übrigens erstaunlich textsicheren – Mitsängern viel Spaß. Die merken natürlich schnell, dass sie gemocht werden und bemühen sich eifrig, die Liebe und Begeisterung, die ihnen von der Bühne entgegengebracht wird, zurückzugeben.

Um dreiviertel Zehn beginnt der Zugabenblock. Beim Song „Part of the Process“ reicht ein Gast das gleichnamige Vinylalbum auf die Bühne und bekommt es umgehend signiert. Der Titel geht über in den Klassiker „Moon River“ aus dem Film, in welchem Audrey Hepburn beim Juwelier frühstückt und bei „Rome wasn’t built in a Day“ dürfen die „Fünf singenden Freunde“ auf die Bühne und werden zum Dank für ihren Beitrag zum schönen Konzerterlebnis danach von allen geherzt und gedrückt.

Dann geht das Licht an und ich verlasse den Saal und als ich draußen in der Kälte bin, fasse ich einen Entschluss: Ich werde nur noch auf halbausverkaufte Konzerte gehen, da hast du Platz, niemand tritt dir auf die Füße und das Publikum besteht aus echten und vor allem textsicheren Fachleuten.

Skye & Ross

Foto: Andreas Meinhardt

3 Gedanken zu „SKYE | ROSS, 13.10.2016, Im Wizemann, Stuttgart

  • 15. Oktober 2016 um 00:37 Uhr
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    Danke für das Erinnern an Nicolette. Wie konnte ich die nur vergessen…

  • 15. Oktober 2016 um 13:24 Uhr
    Permalink

    Grossartiger Bericht von dem Wahnsinnskonzert. Mir ging es ähnlich, als ich dachte „oh Scheisse“ nur so wenig Leute…aaaber dann;-) Das war sowas von geil! Danke für den Bericht und die Bilder und falls Du noch Bilder hast von „Rome wasn´t built in a day“ würde ich mich freuen wenn die ich irgendwo sehen könnte, ich war nämlich einer der textsicheren die dann auf die Bühne durften! Unvergesslich!!!

  • 16. Oktober 2016 um 10:00 Uhr
    Permalink

    Servus Namensvetter,
    freut mich, wenn Euch nicht nur das Konzert, sondern auch der Artikel gefallen hat. Leider durften wir (wie eigentlich immer) nur bei den ersten drei Songs fotografieren, von Euch habe ich allerdings ein paar Handyfotos gemacht, die kannst Du gerne haben. Einfach beim Gig-Blog nach meiner Mailadresse fragen, oder Du suchst mich bei facebook (ich bin der einzige „Christian Baudisch“, der den Artikel beim Blog „geliked“ hat. Schöne Sonntagsgrüße an Dich und Deine Sängerkollegen!

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