EROBIQUE, 05.08.2016, Freund + Kupferstecher, Stuttgart

EROBIQUE, 05.08.2016, Freund + Kupferstecher, Stuttgart

Foto: Michael Haußmann

Anfang August, die Sommerferien haben sich eine Woche lang eingegroovt, die Stadt wirkt leerer, entspannter, manche Parklets-User fangen schon an, sich aus Langeweile gegenseitig zu beschimpfen, aus Mangel an aggressiven Parkplatzsucher*innen. Man könnte den Zustand im Kessel fast als träge bezeichnen. Auch die anstehende erste Zweitligasaison des Vereins mit dem Brustring vermag trotz Mitglieder-Rekords und Dauerkarten-Boom nicht zu einem Aufreger werden. In diese Stimmung platzen an diesem Wochenende ungewohnt viele Veranstaltungen, unter anderem das Klinke-Festival, das U&D oder Bob Wayne im Goldmark’s. Kamera-Kollege Micha hatte vor Wochen allerdings ein anderes Ziel für diesen ersten Freitag im August ausgegeben: Erobique im Freund & Kupferstecher. Die Überredung passierte bei einer trinkfreudigen Veranstaltung, sodass es nicht viel Überredungskunst benötigte, obwohl mir der auftretende Künstler überhaupt nichts sagte.

EROBIQUE, 05.08.2016, Freund + Kupferstecher, Stuttgart

Foto: Michael Haußmann

Ich verzichtete auf eine Vorab-Einweisung und gehe mit der bescheidenen Erwartung „Irgendwas mit Elektro“ in diesen Abend am Berliner Platz. DJ Friction versorgt das schon vor Mitternacht zahlreich anwesende, angenehm lässig erscheinende Publikum mit einem sommerlichen Mix und Kollege Stefan von Stuttgigs wartet wie so oft mit erstaunlicher Fachkenntnis auf, indem er nebenbei erwähnt, er hätte Herrn Erobique 1998 in der Röhre als Support von Fischmob gesehen und sei seither großer Fan. Während ich sichtlich beeindruckt noch überlege, dass ich lieber Stillschweigen über meine Konzert-Aktivitäten im vergangenen Jahrtausend bewahre, da dies meiner Review-Credibility nicht gerade zu Gute käme, dringen von unten die ersten Klänge des Künstlers in unsere Richtung, die uns in den warmen, schwitzig-stickigen, aber immer wieder Freude bereitenden Raum des Freund und Kupferstechers hinabziehen.

EROBIQUE, 05.08.2016, Freund + Kupferstecher, Stuttgart

Foto: Michael Haußmann

Und die Klänge, die Carsten Mayer alias Erobique hier einleitend präsentiert und von seinem Keyboard stammen, unterlegen seine halb gesprochene, halb gesungene Begrüßung und führen zielsicher zum ersten Beat, der ausnahmslos alle sofort in glücklich strahlende Tanzstimmung versetzt. Es ist aber auch ein zu verlockender, zu glücklich wirkender und alle Probleme außerhalb des Clubs vergessen machender Sound, den Erobique raushaut. Und dieser Wirkung scheint er sich absolut bewusst zu sein, denn er verzichtet auf jegliche DJ-Elektro-Klischee-Attitüden, die man gemeinhin so kennt. Im Gegenteil macht er den äußeren Eindruck, als sei er vor 15 Minuten von einem Sofa aufgestanden, hätte sich ein paar Kippen gedreht, noch kurz überlegt, sich ein frisches Shirt anzuziehen und beschlossen, dass das auch irgendwie unnötig sei, da es eh wieder verschwitzt würde.

EROBIQUE, 05.08.2016, Freund + Kupferstecher, Stuttgart

Foto: Michael Haußmann

Und Recht hätte er gehabt. Der Schweiß fließt überall spür- und sichtbar in Strömen und allen ist das offensichtlich egal – wunderbar! Abwechselnd nutzt Mayer verschiedene Instrumente, entweder für die Melodieführung (Keyboard, Synthie, Melodica) oder um den Song percussiv zu begleiten, das ein oder andere Mal mit der Latin-Variante einer Cowbell, der sonst bei Samba-Gruppen beliebten Agogô. Wie lässt sich diese Musik nun näher beschreiben? Elektropunk? Elektroschlager? Jedenfalls gelingen ihm immer wieder äußerst eingehende Melodien, doch auch immer wieder auf unterschiedliche Weise. Manchmal erinnern sie an Pausenmusik, wie sie bei Kinderhörspielen wie den „Drei Fragezeichen“ zu hören ist. Teilweise gelingen ihm durch sein wirklich gekonntes Keyboardspiel und dem Pianosound Soul- und Funk-Elemente einzubauen. Dann nutzt er wiederum gesampelte Frauenstimmen, die klingen, als seien sie direkt aus den 90ern in einer Zeitschleife gepicht worden. Das ist erstaunlicher- und erfrischenderweise zugleich simpel und originell und bewegt sich auf dem schmalen Grat zwischen Ernsthaftigkeit und Ironie, ohne zu sehr auf die eine oder andere Seite zu kippen.

EROBIQUE, 05.08.2016, Freund + Kupferstecher, Stuttgart

Foto: Michael Haußmann

Wenn man übrigens einmal die Liste der Künstler betrachtet, die jene Agentur betreut, der auch Erobique angehört, überrascht diese Art wie er auftritt und musiziert etwas weniger: Max Goldt, Schorsch Kamerun, Sibylle Berg oder Jacques Palminger sind Namen, die doch eine gewisse ähnliche Attitüde in ihrem Schaffen aufweisen, wie sie Erobique auch an diesem Abend präsentiert: Ernsthaftes Können mit mal mehr oder weniger heftigem Augenzwinkern und einer Prise Selbstironie. Das tritt z.B. bei einem Song über das klischeehafte Party-Berlin zu Tage („Überdosis Freude“) oder zwischendurch bei Kommentaren zu Rückkopplungen oder dem entwendeten Ventilator an der Bühnenseite. So kann auch das „Lambada“-Fragment nicht mehr schocken, sondern verbreitet nur noch mehr Freude auf der zum kollektiven Glücklichsein freigegebenen Tanzfläche, die zum abschließenden „Heart of Glass“ von Blondie losgelöst einen sichtlich zufriedenen Erobique mit viel Liebe in die Nacht verabschiedet.

Ein Gedanke zu „EROBIQUE, 05.08.2016, Freund + Kupferstecher, Stuttgart

  • 7. August 2016 um 22:51 Uhr
    Permalink

    Genau so war’s halt! Bin fast an einer Überdosis Freude kollabiert.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

I accept that my given data and my IP address is sent to a server in the USA only for the purpose of spam prevention through the Akismet program.More information on Akismet and GDPR.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.