DAVID GILMOUR, 14.07.2016, Jazz Open, Schlossplatz, Stuttgart
Diejenigen, die sich rechtzeitig Tickets sichern konnten, winken stolz ab, als Schwarzhändler ihnen überteuert Eintritt verschaffen wollen. Wer weniger Glück hatte entscheidet sich nach kurzem Abwägen häufig dazu, in den sauren Apfel zu beißen und den horrenden Forderungen nachzugeben, um den legendären Pink-Floyd-Gitarristen doch noch live sehen zu können. Binnen weniger Minuten waren schließlich alle Karten für den Auftritt bei den Stuttgarter JazzOpen auf dem Schlossplatz vergriffen. Wenig überraschend, bedenkt man dass David Gilmour ausgesprochen selten auf Konzertreise geht. Es ist der erst zwölfte Solo-Auftritt in Deutschland. In Stuttgart war er seit 27 Jahren nicht live zu sehen. Damals, im Sommer 1989 stand er mit Pink Floyd im Neckar-Stadion auf der Bühne. Viele Besucher von einst sind auch diesmal wieder dabei und erzählen mit Inbrunst vom Cannstatter Schlüsselerlebnis.
Es ist ein Auftritt, der den hohen Erwartungen der meisten Besucher mühelos gerecht wird. Dass die Veranstalter, die Verpflichtung des 70-jährigen Pink-Floyd-Gitarristen bereits im Vorfeld als großen Coup feiern, ist da nur nachvollziehbar und gemessen an der Qualität des Konzerts auch konsequent. Denn obschon es sich um eine von bestenfalls mediokren Stücken des aktuellen Albums „Rattle That Lock“ durchsetzte Pink-Floyd-Nostalgie-Show handelt, glückt es Gilmour mit zunehmender Dauer immer besser die bedrohlich lauernde Langeweile zu umschiffen.
Am Anfang gelingt das noch nicht so gut. Eröffnet wird der Abend mit „5 A.M.“, einem uninspirierten Instrumental vom jüngsten Solowerk. Dessen Titelsong „Rattle that lock“ ist kaum besser, kommt mit einem gepflegten 80er Mainstream-Sound daher, lässt Gilmour aber Raum sein unnachahmliches Gitarrenspiel zur Geltung zu bringen. Das musikalisch wie lyrisch an das Frühwerk der englischen Folk-Heroen Fairport Convetion erinnernde „Faces of Stone“ gibt ihm wiederum Raum zum harmonischen Akustik-Fingerpicking, das später beim Pink-Floyd-Evergreen „Wish You Were Here“ kollektive Glückseligkeit hervorruft.
Der vierte Song ist schließlich der erste von Pink Floyd. „What Do You Want From Me“ vom ausgesprochen pathetischen 1994er Album „The Division Bell“ gehört sicher nicht zu den populärsten Stücken der Band, passt aber mit seiner vertrackten Rhythmik durchaus auf ein Jazz-Festival.
Die Totenhymne „The Great Gig in the Sky“ sorgt für erste Standing Ovations. Das Arrangement des populären „The Dark Side of the Moon“-Stücks ist dabei ausgesprochen interessant. Die tadellosen Background-Sängerinnen Louise Marshall und Lucita Jules sowie ihr männlicher Kollege Bryan Chambers intonieren die im Original von Clare Torry gesungene Volkalimprovisation mit fantastischer Stimmgewalt. Gewidmet wird es seinem 2008 verstorbenen Komponisten, dem Pink-Floyd-Keyboarder Richard Wright. Gilmour spricht das Publikum zum ersten Mal direkt an, höflich und mit ruhiger Stimme. Nach einem von Wright geschriebenen folge nun mit „A Boat Lies Waiting“ ein Stück über ihn. Die Musik ist von Gilmour, den esoterischen Text schrieb Ehefrau Polly. Meeresrauschen und Vogelgezwitscher erschallt aus den Boxen.
Es folgt das bekannte Vokalintro von „Wish You Were Here“ und frenetischer Applaus, der im Laufe des Stücks immer wieder aufkommt und bei „Money“ selbstredend nicht abnimmt und sich mit dem Gitarrenduell zwischen Gilmour und Chester Kamen weiter steigert.
Nach dem melancholisch-pathetischen „High Hopes“ und seinen Glockenschlägen wird das Publikum in eine kurze Pause entlassen, bevor die zweite ausgesprochen Pink Floyd lastige Hälfte mit den Highlights des Abends aufwartet. Die Abendsonne, die eben noch die Bühne in warmes gelblich rötliches Licht geradezu impressionistisch tünchte und sich in den Fenstern des Neuen Schlosses spiegelte, verschwindet zunehmend hinter den Königsbau-Passagen, als Gilmour zurückkehrt.
Schlagzeuger Steve DiStanislao spielt bemerkenswerte, brachiale Einviertel-Schläge. Das atemberaubende „One of these Days“ folgt. Das harte 1971 auf „Meddle“ erschienene Instrumental ist der fraglose Höhepunkt des Konzerts und eine Blaupause für späteren Post-Rock. Der Song rückte anlässlich der beiden nicht einmal eine Woche zurückliegenden Auftritte im Amphitheater von Pompeji in die Setlist. Hier nahmen Pink Floyd einst ihren Konzertfilm auf, der bis heute in seiner Klangästhetik wie auch Bildsprache als großes Manifest psychedelischer und progressiver Rockmusik verstanden werden kann. Ganz so anmutig mag der Schlossplatz in Stuttgart nicht erscheinen. Ein schöner Ort für Konzerte ist er dennoch und als das Schloss beim Pink-Floyd-Standard „Shine On You Crazy Diamond“ hübsch angestrahlt erscheint, verströmt auch das eine einnehmende Stimmung, die beim betörenden „Fat Old Sun“ bestehen bleibt.
Vor dem düsteren „Sorrow“ und dem „The Wall“-Pleaser „Run Like Hell“, flicht Gilmour noch drei Solo-Stücke ein, die teils überzeugend („On An Island“), betont passend zum JazzOpen („The Girl in the Yellow Dress“) oder gänzlich uninspiriert daherkommen („Today“). Danach folgen die begeistert aufgenommenen Zugaben „Time/Breathe(reprise)“ sowie „Comfortably Numb“, bei dem Keyboarder Chuck Leavell Roger Waters Part souverän singt, während sich über den Köpfen der Zuschauer eine beeindruckende Laser-Show abspielt.
„Hanging on in quiet desperation is the English way“, singt der erklärte Brexit-Gegner David Gilmour im großen Song „Time“ vom legendären Album „The Dark Side of the Moon“ als erste Zugabe eines gut dreistündigen Konzerts, es muss ja immer weitergehen, auch wenn einem die neue politische Situation in England das Herz breche. Keep calm and carry on. Gilmour beteiligt sich mitunter an politischen Diskursen, tritt dabei aber weniger plakativ auf als Pink-Floyd-Kollege Roger Waters. Dass sich allerdings auch Gilmour mitunter zu fragwürdigen Äußerungen und der Unterstützung zweifelhafter Organisationen herablässt, darauf muss an dieser Stelle klar verwiesen werden. Denn wie auch bei Waters treibt die Unterstützung Palästinas bei ihm riskante Blüten. So unterstützte Gilmour in der Vergangenheit das antisemitische Projekt „A Postcard for Palestine“. Daran gibt es im Gegensatz zum begeisternden Konzert nichts zu beschönigen.
Vielen Dank für diesen tollen Bericht, Jens.
Nur warum gibt es nur ein Foto zu sehen…?