NETZER & AND.YPSILON, 11.06.2016, Bix, Stuttgart
Nach 165 Konzerberichten zum allerersten Mal im Bix. Ja, Jazz ist wohl nicht so mein Ding. Da braucht es schon solche Genre-Grenzgänger wie Netzer, dass ich den Weg in den hochgelobten Club finde. Der erste Eindruck: schick, könnte auch in einer angesagten Metropole stehen. Der Laden ist schon gut besucht, als wir gegen halbneun einlaufen. Die meisten Tische sind besetzt. Das Publikum ist durchaus ein anderes als bei den anderen Netzer-Gigs. Älter, eleganter, irgendwie jazziger. Freue mich jedenfalls riesig auf das Trio, das mich wirklich noch nie enttäuscht hat. Zumal heute als Gastmusiker And.Ypsilon angekündigt ist.
Erst kürzlich haben sie in dieser Besetzung in der Kiste gespielt. And.Y – das elektronische Mastermind der Fantastischen Vier – war kurzfristig für den ausgefallenen Martin Meixner eingesprungen. Ich konnte leider nicht hin, aber das Häuflein harter Netzer-Fans im Freundeskreis schwärmte verzückt. Eine neue Dimension sei das, wurde mir vorgeschwärmt. Unglaublich, was man mit ein bisschen „Knöpflesdrehen“ bewirken könne. Kurzum: Ich hätte echt was verpasst, ich Pechvogel. Aber manchmal gibt es halt doch eine zweite Chance, und das Bix mit seinem allseits gepriesenen Sound ist vielleicht noch eine Ecke besser geeignet als die benachbarte Kiste.
Kurz nach neun geht es mit ein paar einleitenden Worten los und schon die ersten Töne ihres raffinierten Covers „Walking On The Moon“ bestätigen den Ruf des Bix. Makellos, kraftvoll, supertransparent steht der Sound im Raum. Der Aufbau ist natürlich etwas opulenter als sonst, And.Ypsilon hat ein Pult in der Mitte der Bühne bekommen, auf dem sich neben einem Korg-Synthesizer und einen Laptop diverse elektronische Geräte mit einem erstaunlichen Salat bunter Patch-Kabel befinden. Oli Rubow hat sein Schlagzeug deutlich vergrößert, als erstes Instrument kommen dann aber ein paar PET-Flaschen zum Einsatz, die rhythmisch zerquetscht werden. Das entstehende Geräusch wird elektronisch verzerrt und dub-mäßig verhallt. Nerdig wie immer.
Seit meinem ersten Netzer-Gig in den späten 1990ern im Travellers‘ Club, habe ich die Band schon x-mal gehört, und jedes Konzert war anders. Routine ist für die drei ein Fremdwort. Markus Bodenseh spielt mal einen Kontrabass, mal elektrisch und auch mal einen Bass-Synthesizer. Kurzum: als Netzer-Fan ist man es gewohnt, scheinbar neue Songs erst nach einiger Zeit als neu-arrangierte Altbekannte zu erkennen. Und mit And.Ypsilons Mitarbeit ist dies deutlicher denn je. Seien es knarzende Synthieeffekte oder kleine Rhythmus-Pattern, sie fügen sich in die sparsam arrangierten Titel nahtlos ein, verschieben sie aber trotzdem in andere Stilrichtungen. Da blitzt auch mal ein wenig Kraftwerk auf, oder auch fröhliches Synthie-Geblubber, das mich kurz an den Klassiker „Popcorn“ erinnert. Die zentralen Melodien steuert natürlich meist Gitarrist Markus Birkle bei, der eher zurückhaltend am linken Bühnenrand agiert und immer wieder federleichte Soli einwirft.
Die Musiker haben jedenfalls großen Spaß am spontanen Zusammenspiel. Da wird mit Mimik und Gestik der nächste Break koordiniert und auch mal mit einem strengen Blick von „Musical Director“ Oli Rubow der allzu forsch agierende And.Y eingebremst. (Nunja, selbiger ist ja halt doch eher an Stadien und Zehntausender-Hallen gewohnt) Und wenn im Laufe des Abends zwei, drei Mal im Überschwang der Takt verloren geht, dann ist es ein großer Spaß, zuzuschauen, wie die Musiker doch noch die Kurve kriegen. Kurzum: ein Musikerlebnis für Feinschmecker. Die stehenden Besucher sind inzwischen in Bewegung geraten, einige der Sitzenden scheuern in kaum zu unterdrückendem Tanzdrang auf den Polstern herum, während andere sich ein Abendessen servieren lassen und dies mit dem Rücken zur Bühne in aller Gemütsruhe verspeisen.
Es ist der Wechsel aus spielerischer Leichtigkeit, virtuosen Soli und der massiven Dynamik, wenn die Rhythmus-Sektion die ganz dicken Beats auspackt, die einen Netzer-Gig zu einem Erlebnis für Bauch, Herz und Hirn werden lassen. Mit „Miniloop“, einem ihrer ersten Titel, schließt der offizielle Teil des Gigs. Natürlich bekommt auch dieser Track, der im Laufe von mehr als fünfzehn Jahren schon so viele Wandlungen erfahren hat, ein neues Gewand. Dieses Mal ist es ein augenzwinkernder Touch von Daft Punk. Mit ihrem Dancefloor-tauglichen Kracher „Italian Fireflies“ – heute ohne Moog-Synthie und trotzdem mächtig treibend – holen die vier Musiker auch noch die letzten Zuschauer ab und der Abend endet in frenetischem Applaus.