ORANGE BLOSSOM SPECIAL 20, Tag 1, 13.05.2016, Glitterhouse Garten, Beverungen
OBS aus, Welt an. Dick eingemummelt stehen wir am Pfingstsonntag kurz vor Mitternacht 420 km von Stuttgart entfernt in einem Garten in Ostwestfalen. Es ist natürlich nicht irgendein Garten, sondern der zwischenzeitlich um das angrenzende Grundstück erweiterte Hinterhof der Glitterhousevilla, des Firmensitzes des gleichnamigen Plattenlabels im idyllischen Beverungen. Das 20. Orange Blossom Special geht bei gefühlten Minustemperaturen zu Ende und es war jede Frostbeule wert. Mr OBS, Rembert Stiewe, bedankt sich überschwänglich bei „seinem“ Publikum, das drei Tage Kälte und Regen getrotzt und tatsächlich wieder jedem der 25 Acts des diesjährigen Festivals aufmerksam gelauscht und applaudiert hat. Wie besonders das OBS ist, das das Rolling Stone Magazine vor einigen Jahren als bestes kleines Open Air Musikfestival der Welt gelobt hatte, muss man einfach mit eigenen Augen und Ohren erlebt haben. Seit vielen Jahren pilgern auch zahlreiche eingefleischte Stuttgarter Musikfans über Pfingsten an die Weser. Der Hartnäckigkeit dieser Fans ist es im Grunde auch zu verdanken, dass das Label zwischenzeitlich sogar quasi in schwäbischer Hand ist.
Ein überregionaler Ausflug des Gig-Blog war also längst überfällig und bot sich zur Jubiläumsauflage erst recht an. Wer konnte schon ahnen, dass wir unter verschärften Bedingungen arbeiten müssen und des Nächtens sogar Wärmflaschen in die Schlafsäcke gestopft wurden, wo’s doch noch eine Woche zuvor bereits sommerlich warm gewesen war. Ach richtig, ausgerechnet dieses Jahr macht die kalte Sophie (auf gut schwäbisch auch Soffi ausgesprochen) ihrem Namen alle Ehre. Konstantin Gropper von Get Well Soon erinnert uns daran, als seine fröstelnde Schwester Verena beim Auftritt ihr Bühnenoutfit spontan um die Daunenjacke ergänzt.
Und auch wenn das Wetter beim kältesten OBS aller Zeiten einen wunderbaren Aufhänger bietet, so muss man klar sagen, dass es keineswegs eine wirklich zentrale Rolle spielte. Dank eindeutiger Wettervorhersagen war das Publikum bestens darauf vorbereitet und hielt auch immer mal wiederkehrenden Schauern tapfer Stand, was die Bands wohl immer wieder in Erstaunen versetzte, aber etwas wiederspiegelt, das es vielleicht tatsächlich nur beim Orange Blossom Special gibt: Eine kunterbunt gemischte, höchst musikaffine Zuhörerschaft im Alter von 0 bis 80 und eine musikalische Mischung, die ganz bestimmt für jeden etwas bietet. Hier glänzen weniger die Namen von teuren Topacts und Publikumsmagneten, sondern vielmehr eine Mischung aus alten Glitterhousehaudegen, Labelbands und -freunden, Neuentdeckungsmöglichkeiten von Punk über Rock´n’Roll, Blues bis hin zu Indierock/-pop und auch zarten Singer/Songwritern, denen man an diesem versteckten Örtchen einen echten Festivalauftritt verschafft. Was sonst häufig im Zuge der feuchtfröhlichen Partystimmung eines klassischen Musikfestivals untergehen würde, findet auf der Glitterhousebühne, die wie ein weiterer Balkon an das etwas baufällige Gründerzeitgebäude anschließt, aufmerksame Genießer ruhiger Töne.
Als wir unser Wochenende am Freitagnachmittag starten, war die erste Band Heimatt dem Pfingstreiseverkehr und dem Zeltaufbau zum Opfer gefallen. Noch ist es warm und sonnig und die Shook Twins aus Portland haben allerbeste Laune. Es sei ihr erster Auftritt in Deutschland, dabei seien sie doch sogar „Made in Germany“, vor rund 32 Jahren. Die Mama habe als Deutschlehrerin gearbeitet und zwar, man höre und staune, in Stuttgart. Die allem Anschein nach eineiigen Zwillinge Katelyn und Laurie Shook sind nicht nur sehr hübsch anzuschauen, sondern spielen auch sehr hübschen, extrem charmanten (Portland) Folk in vierköpfiger klassischer Bandstärke, wobei die Drums unbesetzt bleiben. Ansonsten ist alles dabei, vor allem auch jede Menge typische Folkinstrumente wie Banjo, Mandoline, Glockenspiel, Ukulele plus viele kleine rhythmusgebende Gadgets. Die Schwestern wechseln sich beim Gesang teils ab, teils ergänzen sie sich, loopen oder benutzen ein spannendes goldenes Telefonmikrofon. Am besten gefällt mir ein Lied über den vielen Regen in Portland, das sich scheinbar auf keiner ihrer bisher drei Tonträger finden lässt. Es plätschert und tröpfelt und ganz überraschend bringt sich der Mann links außen mit einer grandios stimmigen Rap-Einlage ergänzend ein. Ein ziemlich perfekter Auftakt.
Bei der nächsten Band ist der Name ebenfalls Programm. The Buttshakers kommen aus Frankreich. Ihre energiegeladene und leidenschaftliche Wirbelwindsängerin Ciara Thompson mit schön schmutziger Stimme ist allerdings US-Amerikanerin und ganz klar das Zentrum der Band. Funky, soulig, herrlich tanzbar, lässt sie das rote Kleid flattern und schüttelt ihre wilde Lockenmähne im Takt. Das macht wirklich viel Spaß.
Was dann die in Hamburg beheimatete Band Trümmer angeht, habe ich mal wieder mein ganz persönliches Problem mit grenzwertig belanglosen deutschen Texten. Man kann nicht immer alles gut finden. Von daher ist es Zeit für eine Pause mit fröhlichem Plauderstündchen und ein, zwei Kaltgetränken am Stand von dem Glitterhouse eng verbundenen Stag-O-Lee. Nochmal ganz lieben Dank für die liebenswerte Aufnahme.
Für die herrlich düstere Gitarrenmusik eines Glitterhouse-Urgesteins, die den Abend beschließt, begebe ich mich zurück in die vorderen Reihen. Nick Cave and the Bad Seeds Gründungsmitglied Hugo Race sind seine musikalischen Wurzeln auf jeden Fall noch anzuhören. Stimmlich vielleicht nicht ganz so gewaltig, aber in angenehmer Baritonlage, treibt ihn seine Band, The True Spirit, mit fiebrigem Blues-/Psychrock druckvoll voran. Den Jetlag der gerade erst direkt aus Australien eingeflogenen Truppe merkt man den Herren nicht an. Und so geht der erste Tag mit leichten Trancegefühlen zu Ende.
Wer jetzt noch weiter Abtanzen möchte, vielleicht sein Bier mit Hugo Race teilen will oder Tischkickerrunden ausfighten mag, der begibt sich auf den kurzen Spaziergang entlang des Weserufers in den Beverunger Stadtkrug, der einmal im Jahr drei Tage hintereinander so richtig Leben eingehaucht bekommt. Auch hier Stuttgart Connection mit DJ Joe Whirlypop an den Plattentellern.