MODERAT, 08.05.2016, LKA, Stuttgart
Der Essig ist der Techno, unsere Verbindung
20:50:00 – Rot leuchten Gernots Finger, angestrahlt vom Touchscreen. Der Saal ist komplett dunkel. Konzentriert stehen die drei Musiker vor ihren Elektronik-Sets, links Szary, Mitte Sascha, rechts Gernot, hinter ihnen lauert die bühnenbreite LED-Wand. Moderat hat das LKA seit Wochen ausverkauft. Zurecht. Hunderte Hipster, Technojünger, Ü-40er und Normalos sind gekommen. Zurecht.
20:50:01 – Ein Fingertipp und es startet mit „Ghostmother“ die wohl beste Elektro-Konzertshow, die ich in meinem Leben habe sehen dürfen. Neben Underworlds Dreistunden-Gig im Cocoon, 2008.
Moderat bestehen aus dem Berliner Elektrotechno-DJ-Duo Modeselektor (Gernot Bronsert und Sebastian Szary, der sich nur noch beim Nachnahmen nennt) und dem Elektropop-Projekt Apparat (Sascha Ring), der die erstaunliche Wandlung vom Techno-DJ zum singenden Bandleader genommen hat (siehe Konzertbericht 2011). Moderats Musik chargiert zwischen Elektropop-Songs, die dank Saschas Stimme mit viel Wärme ausgestattet sind und technoiden Tracks, die bei genauem Hinhören hochkreative Sound- und komplexe Beatstrukuren mitbringen, aber gleichzeitig auch amtliche HauRuck-Tanzbarkeit liefern. Perfekte Mischung. Oder wie Gernot es in diesem Interview erklärte:
Senf und Ketchup sind total verschieden, aber zusammen auf der Wurst kommt’s ganz geil.
Und Szary ergänzt:
Aber Senf und Ketchup haben den Essig gemeinsam. Der Essig ist der Techno, unsere Verbindung.
Oder die Wurst.
Lacht Sascha.
Vor gut 5 Wochen haben Moderat ihr drittes Album vorgelegt, es heißt schlicht III. Von manchen als zu soft gescholten wird es live zum harten Brett. Und das ist gut so.
Mit dem introvertierten und stimmungsvollen Song „Ghostmother“ wird der Abend eröffnet, im Zentrum steht Saschas Stimme, bei den Refrains singen die Modeselektors mit, das gab’s noch nie. Die schwarze LED-Wand wird durchbrochen von einem sich windenden Lichtschein. Kaltes Licht zum warmen Pop. Die „Ghostmother“ soll uns Zuhörer und -schauer abholen auf die Klang- und Lichtreise der drei DJs. Weiter geht’s mit dem Instrumental „A New Error“. Erst bei „Reminder“ leuchtet blutrot eine Sonne auf der LED-Wand. Die erste Farbe. So muss das damals mit dem ersten Farbfernseher gewesen sein.
Prinzipiell befinden wir uns hier in der Vierviertel-Diktatur, aber die Beatrebellen klopfen kleine Löcher in die Technomauer: „Running“ wartet mit einem gefühlten Vierzehn-Fünfzehnteltakt auf. Unmöglich, darauf zu tanzen, wenn man den Takt halten will. Aber macht den Track spannend, weil nicht vollständig begreifbar. Quasi Extrasystole. Dazu ein Wikipedia-Exkurs:
Eine Extrasystole ist ein Herzschlag, der außerhalb des physiologischen Herzrhythmus auftritt. Sie zählt zu den Herzrhythmusstörungen. Der eigentliche Rhythmus kann dabei unbeeinflusst bleiben oder verschoben werden.
Moderat sind Soundtüftler durch und durch, sie überlassen nichts dem Zufall. Und um diese Qualität ins Visuelle weiter zu tragen, bedienen sie sich zum wiederholten Mal konsequent der Gestaltungskunst der Agentur Pfadfinderei, die die Show mitkonzeptioniert hat. „Abandon Window“ ist eine mustergültige Umsetzung des Begriffs Synästhesie. Der sich über einen langen, steinigen Weg treibende Track wird gekoppelt an über die LED-Wand flitzende Lichtpunkte, die in gleicher Weise wie die Beats und Bässe selbst immer zittriger und aufgeladener werden. Minutenlang peitschen Moderat ihr Publikum mit Klang und Licht auf, schon glaubt man kurz vorm Ibiza-Großraumdisco-Trommelwirbel und wieder einsetzenden Beat zu stehen (billig!) – da lassen Moderat einfach los und setzen einen zweiminütigen, rhythmuslosen Ambientloop frei. Glänzender Ausstieg, aber so was von! Und die LED-Wand: Schwarz. Nur die weißen MODERAT-Buchstaben schwirren durch die Dunkelheit.
Bei „Eating Hooks“ wabern rote Linien über die Wand, die über zusätzliche rote Laser in die dritte Dimension überführt werden und auf der Bühne einen Lichtraum beschreiben, der dann über riesige rote Floorspots, die in den Saal gerichtet sind, auf das Publikum übertragen wird. So einen durchdachten und perfekt gestaltete Verbundeinsatz von LED, Laser und konventionellem Licht habe ich noch nicht gesehen. Und wenn das dann noch zu „Eating Hooks“ im Siriusmo Remix inszeniert wird, der gegen Ende in einen arschcoolen Dubstep-Beat gleitet, dann krieg ich echt ne Gänsehaut.
Nach drei Zugaben verabschieden sich Szary, Gernot und Sascha, sichtlich glücklich, aber auch erschöpft. Heute Abend endet ihre sechswöchige Tour. Nächste Woche beginnt ihre USA-Tour, am 19. Mai spielen sie dann in New York. Sold out. Versteht sich.
Das Trio Moderat gilt als Fackelträger der Elektroszene. Dabei wird ihre Musik stets geleitet von einem tiefen Wissen um die Herkunft der Beats.
Schreibt die Süddeutsche Zeitung. Schön gesagt.
PS: Als Pre-Act laptopt Shed alias René Pawlowitz Beats and Breaks durchs LKA. Auch so ein Berghainer, der seit 20 Jahren Techno macht. Der hat vor allem Spaß an Pseudonymen:
Z.B. EQD, STP, Wax, Head High, The Panamax Project, Sigg Gonzalez, War Easy Made, WK7 oder The Traveller.
Setlist Moderat:
Ghostmother
A New Error
Reminder
Running
Rusty Nails
Abandon Window (Moderat remix) (Jon Hopkins cover)
Eating Hooks
Animal Trails
Last Time
Nr. 22
Intruder
Encore:
Bad Kingdom
The Fool
Encore 2:
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