STEFANIE SARGNAGEL, 17.03.2016, white/noise, Stuttgart
Eigentlich prinzipiell ganz schön so ein gleißend heller Märztag mit blauem Himmel, Vogelgezwitscher und Zitronenfaltersichtung. Richtig gut draufkommen ist allerdings trotz Frühlingswetter schwierig, befassen muss man sich ja ärgerlicherweise auch mit nationalkonservativen Hohlköpfen, deren menschenfeindliche Überzeugungen sich derzeit aufs Unangenehmste verbreiten.
Stefanie Sargnagel, Autorin aus Wien, kann daran natürlich erst mal auch nichts ändern. Trotzdem erfrischend, wenn sie gegen Mittag via Facebook-Veranstaltungshinweis das Motto für den heutigen Abend ausgibt: Stuttgart zerficken. Auf dem dazugehörenden Foto grinst sie mit hochgezogenen Augenbrauen unter einer roten Baskenmütze hervor und wirkt sehr entschlossen. Vielen Dank, zerficken ist vermutlich das einzige, das jetzt hilft.
Das White ist am Donnerstagabend zur Lesung von Sargnagel (bürgerlich Sprengnagel) mit etwa siebzig Zuschauerinnen und Zuschauern gut gefüllt. Vor dem DJ-Pult ist ein Lesetisch aus Getränkekisten aufgebaut. Sitzen kann man wie immer auf den ansteigenden Stufen oder auf zusätzlich aufgereihten Stühlen. Die Künstlerin steht noch volksnah zum Rauchen draußen und unterhält sich mit Fangirls und -boys.
Um halb neun geht’s los. Zur Begrüßung zählt die vor kurzem dreißig gewordene Autorin erst mal eine Auswahl der Städte auf, die sie auf ihrer aktuellen Lesetour bisher „zerfickt“ hat und schildert dann knapp ihren beruflichen Werdegang: Neun Jahre Kunsthochschule, parallel dazu Callcenter, schließlich Bekanntheit erlangt als Verfasserin in Buchform erschienener Facebook-Updates. Kein Wort zu viel.
Was folgt, ist eine gute Stunde mit hoher Pointendichte, vorgetragen mit angenehm ungekünstelter Vorlesestimme und mit extrem gutem Timing. Die Texte sind eine Mischung aus Tagebucheintragungen, Alltagsbeobachtungen und satirischen Gedichten. Eines der Highlights ist definitiv die Sargnagel-Version (geht los ab 0:14) des vor einiger Zeit in den sozialen Medien vielfach geteilten Poetry-Slam-Textes „One Day“ von Julia Engelmann.
Dann gibt es zum Beispiel ein sehr kurzes Gedicht über die eher fade TV-Serie „Gilmore Girls“, oder es wird das Ergebnis des Versuchs vorgetragen, eine erotische Kurzgeschichte zu verfassen (Thema Hundesex). Natürlich drehen sich alle Geschichten und Betrachtungen irgendwie um das Leben als mitteljunger Mensch in der Großstadt zwischen Bio-Gemüsekiste, Backmanufaktur und Fitnessstudiobesuch. Der Blickwinkel ist allerdings der einer für allerlei hippe „Bobo“-Aktivitäten (Wienerisch für Bourgeoisie/Bohème) komplett untalentierten Außenseiterin, die eigentlich nur von Biertrinken wirklich etwas versteht.
Gedichte werden von Sprengnagel dabei grundsätzlich eingeleitet mit: „Hab‘ ein Gedicht geschrieben, geht so: …“ Die eingestreuten Callcenter-Episoden beginnen alle mit einem freundlich gesäuselten „Rufnummernauskunft Stefanie Fröhlich, was kann ich für Sie tun?“ Zwischendurch hat Sargnagel immer wieder mit einem zu locker befestigten, ständig abkippenden Mikro zu kämpfen, wird aber gekonnt überspielt.
Am Schluss gibt es viel Applaus, aber keine Zugabe. Gerade noch kann ich das letzte Exemplar von „Binge Living“ (2013) ergattern, dann sind alle heute Abend mitgebrachten Bücher ausverkauft. Sehr guter Auftritt, würde ich mir immer wieder anschauen. Und beim Lesen der Status-Updates hat man ab sofort den original Sargnagel-Sound im Ohr, faszinierend.