SCORPIONS, 14.03.2016, Schleyerhalle, Stuttgart

SCORPIONS, 14.03.16, Schleyerhalle, Stuttgart

Foto: X-tof Hoyer

Heute geht es für mich zum ersten Mal seit Jahren wieder einmal in die Schleyerhalle. Für einen Abend ist mal Schluss mit den ganzen Geheimtipps, den angesagten und hippen Bands in den kleinen und größeren Clubs der Stadt. Eine Runde Aussetzen auf der Jagd nach neuen, interessanten Sounds – und Platz für die Scorpions, 50 Jahre deutsche Rockmusikgeschichte. Waren die nicht mal weg? Gab es nicht 2010 eine groß angekündigte Abschiedstournee? Das sollte man nicht so eng sehen, wenn danach die Möglichkeit besteht, ein MTV-Unplugged-Album aufzunehmen. Diese Chance muss man nutzen, schließlich wird nicht jeder deutschen Band diese Ehre zuteil. Na gut, einigen wenigen davor schon.

Ich schaffe es einfach nicht, mich ohne große Skepsis in die U11 zu setzen, die uns zu diesem Event bringt. Ohne mir zu überlegen, wie man es als Rockband wohl am besten schafft, in Würde zu altern. Ohne an die leicht trotzigen Aufzählungen der vielen internationalen Erfolge durch die beiden Gründungsmitglieder Klaus Meine und Rudolf Schenker, ohne an die, an Til Schweiger erinnernde, etwas beleidigt wirkende Kritik an den Kritikern zu denken. Ohne mit erheblichem Schauder den beim Stichwort „Scorpions“ von Google fast ganz oben aufgelisteten News-Beitrag der Bild zu vermerken: „50 Jahre Scorpions – Klaus Meine enthüllt die Geheimnisse der Kult-Band“ (inklusive einem Bild mit – natürlich – viel nackter weiblicher Haut). Aber irgendwas muss doch vorhanden sein: Irgendein Zauber, ein musikalischer Geniestreich, ein paar Momente, bei denen man während des Konzerts sagt: Toll, das hat sich gelohnt. Das interessiert mich an diesem Abend, danach bin ich auf der Suche. Es muss ja Gründe geben, dass Tausende (auch wenn der Stehplatzbereich nicht zur Gänze gefüllt ist) 68 oder mehr Euro für ein Konzert ausgeben.

SCORPIONS, 14.03.16, Schleyerhalle, Stuttgart

Foto: X-tof Hoyer

An der Vorband kann es jedenfalls nicht liegen. Beyond The Black aus Mannheim spielen eine knappe halbe Stunde eine Mischung aus Formatradio-gestutztem Metal und Kirmes-Rock. Kein Song oder musikalisches Element bleibt bei mir hängen, aber wenigstens werde ich alle zwei/drei Minuten darauf hingewiesen, dass ich mich in Stuttgart befinde – auch ein Service.

Die fünf Skorpione lassen sich Zeit. Es plätschert der beste Rock-Mix der 60er und 70er (und Bryan Adams) über die Boxen und nach zwanzig Minuten fangen ein paar Leute zu pfeifen an. Dann Sirenengeheul und Blaulicht hinter dem riesigen Tuch am vorderen Bühnenrand, auf dem das Logo des aktuellen Albums zu sehen ist. Gitarren kreischen, das Tuch fällt, die Scorpions stehen auf der Bühne. Und sie legen los wie die Feuerwehr. Was vor allem heißt, dass sie schon beim ersten Stück – „Going Out With A Bang“ vom aktuellen Album „Return To Forever“ – den Steg, der ins Publikum ragt, vor und zurück rennen. Das wirkt etwas gehetzt, zeugt aber von Vitalität. Es folgt (auch die Abfolge der Songs wirkt gehetzt) „Make It Real“ vom 1980 erschienenen Album „Animal Magnetism“. Diese ersten zwei Songs reichen im Prinzip schon, um das Konzert musikalisch zu beschreiben. Stakkato-Rhythmus-Gitarren, hier ein kreischendes Gitarren-Solo, dort eine wenig überraschende Melodie, gesungen von der nicht schönen, aber wiedererkennbaren Stimme Meines. Wie schon „Beyond The Black“ an dieser Stelle, denken auch die Scorpions, das anwesende Publikum daran erinnern zu müssen, wo man sich befindet. Während des gesamten Stücks flattert eine animierte Deutschland-Fahne auf der im Hintergrund befindlichen Leinwand, die sich am Ende in eine Fahne mit dem Stuttgarter Stadtwappen wandelt. Kann man machen, muss man aber nicht.

SCORPIONS, 14.03.16, Schleyerhalle, Stuttgart

Foto: X-tof Hoyer

„The Zoo“ erklingt als dritter Song des Abends und wartet mit abweichendem Sound und Tempo auf, was ich erst einmal positiv aufnehme. Doch dann folgt eine Szene, die für mich symptomatisch für diesen Abend und diese Band ist. Während eines Solos des Gitarristen Matthias Jabs mit mundharmonika-gleich verzerrter Stimme fängt Meine an, Drumsticks in die vorderen Reihen zu werfen – und zwar unzählige, die er einem prall gefüllten Behälter am Bühnenrand entnimmt. Das ist ein Gestus, den ich nur schwer ertragen kann, der aber zum Gesamtbild des Abends passt: Hier, wir geben Euch etwas ab – ist zwar Massenware und nichts Besonderes, aber es steht „Scorpions“ drauf. Dazu der breitbeinig im Takt wippende und im weißen Tanktop Flying-V spielende Rudolf Schenker, der von einer Klischee-Rocker-Pose in die nächste verfällt. Alles eins zu eins nachzusehen bei einem Konzert auf dem „Wacken“.

In musikalischer Hinsicht ist der weitere Abend schnell zusammengefasst. 70er-Medley (ein Medley!), zwei Zwischenstücke (von denen „Delicate Dance“ ohne Gesang mein Favorit des Abends ist), Acoustic-Medley plus anschließendem „Wind Of Change“, Songs 9-15, „Big City Nights und die Zugaben „Still Loving You“ und „Rock You Like A Hurricane“. Alles wirkt runtergespult, auch die vereinzelten Ansagen sind eher lieblos. Aber hey, beim zur Mauerfall-Hymne stilisierten „Wind Of Change“ trägt Meine eine Weste mit Peace-Zeichen! Und beim Schlagzeug-Solo James Kottaks erhebt sich dessen Schlagzeug-Podest in die Luft! Man könnte sein, an einen alternden Wrestler erinnerndes, Auftreten dabei als lächerlich empfinden. Aber hey, Schenker wirft Plektren ins Publikum! Und beim letzten Stück gibt’s sogar zwei Konfettiregen!

SCORPIONS, 14.03.16, Schleyerhalle, Stuttgart

Foto: X-tof Hoyer

Ein Zauber war für mich an diesem Abend nicht ersichtlich, auch kein musikalischer Geniestreich. Beeindruckende, tolle Momente waren in meinen Augen leider ebenfalls nicht dabei. Das alles kann eigentlich nur durch Verknüpfungen mit biografisch besonderen Momenten funktionieren: Der erste Rausch bei „Rock You Like A Hurricane“, der erste Kuss bei „Still Loving You“, die Erinnerung an die Ereignisse im Herbst 1989. Damit kann ich nicht aufwarten und somit auch nicht mit einer Begeisterung für die Scorpions. Dass man sich für einen Abend diese Erinnerungen nochmals mit dem Livesound zurückholen will, kann ich aber vielleicht irgendwann einmal nachvollziehen.

Scorpions

Beyond the Black

4 Gedanken zu „SCORPIONS, 14.03.2016, Schleyerhalle, Stuttgart

  • 16. März 2016 um 20:56 Uhr
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    Habe mich ja zuerst gefragt, ob wir sowas im Gig-Blog haben müssen. Aber Respekt, die Herren: toller Text, herausragende Fotos!

  • 17. März 2016 um 09:55 Uhr
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    Stimmungslage sehr gut betextet! Und großartige Fotos.

    Der Herr Seyffert wird zum Dauerberichterstatter… Gefällt mir.

  • 17. März 2016 um 18:11 Uhr
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    „Kein Song oder musikalisches Element bleibt bei mir hängen, aber wenigstens werde ich alle zwei/drei Minuten darauf hingewiesen, dass ich mich in Stuttgart befinde – auch ein Service.“ Ein geiler Satz!!! Danke. Made my day!!!

  • 18. März 2016 um 21:09 Uhr
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    Sehr schöne Bilder! Toller Text!

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