TINDERSTICKS, 12.03.2016, Im Wizemann, Stuttgart
Nach weit mehr als dreißig Jahren voller Live-Konzerte habe ich natürlich eine ansehnliche Sammlung mehr oder weniger spannender Anekdoten gesammelt, die ich zur vorgerückten Stunde gerne auch mal ungefragt von mir gebe. Ein Evergreen ist dabei die vom tollsten Line-Up ever. Damals, anno 1998 als wir auf dem Bizarre Festival in Köln waren und der Veranstalter am Samstagabend nacheinander auf die Hauptbühne stellte: P.J. Harvey, die Tindersticks und Portishead. Neidvolles Staunen ist jedesmal das Ergebnis.
Drei Alben hatten die Tindersticks damals veröffentlicht, und das Erste hat auch heute noch einen Stammplatz in jeder meiner Bestenlisten. Dass die Tindersticks, die dafür bekannt sind, bevorzugt in besonders stimmungsvollen Locations zu spielen, jemals nach Stuttgart finden würden, war eigentlich so gut wie ausgeschlossen. Umso erfreulicher die Nachricht, dass man sie für das Wizemann gebucht hat. Ein Veranstaltungsort, über den wir schon viel Positives berichten konnten, eine besonders lauschige Atmosphäre gehört nun aber nicht unbedingt zu seinen Vorzügen.
Dass dann auch noch – anders als bei dem überragenden Gig der Nits – nicht der kleinere Club, sondern die große Halle ausgewählt wurde, ließ mich etwas skeptisch werden: Ist es möglich, die subtile Musik der Engländer in dieser funktionalen Fabrikhalle angemessen zu präsentieren?
Heute also, 18 Jahre und sieben Studioalben später, steht die Band um Stuart Staples vor einem fast ausverkauften Haus auf der Bühne. Ohne jede Vorrede beginnt der Abend. Mit „Second Chance Man“ vom aktuellen Album „The Waiting Room“. Und es ist frappierend, wie prägnant Staples unverwechselbare Nöl-Stimme im Raum steht. Der Sound ist geradezu analytisch klar, die einzelnen Instrumente sind räumlich klar zu orten, selbst auf unseren (Sitz-)Plätzen, die etwas ungünstig am Hallenrand liegen. Schon nach wenigen Minuten stellt sich eine intime Atmosphäre ein, die einen die nüchterne Räumlichkeit glatt vergessen lässt.
Das Programm wurde weitestgehend vom aktuellen Album sowie von „The Something Rain“ (2012), „The Hungry Saw“ (2008) und „Across Six Leap Years“ (2013) zusammengestellt. Auf alte Titel hoffe ich vergebens, angesichts der durchgängig hohen Qualität ihres Œuvres ist das aber durchaus verschmerzbar. Eine kleine Überraschung ist das Peggy-Lee-Cover „Johnny Guitar“, der Rest ist ein ausgesprochen homogenes Konzert ohne große Höhe- oder Tiefpunkte.
Und so stellt sich – bei geschlossenen Augen (auf der Bühne gibt es eh nicht viel zu sehen) – das Gefühl eines angenehmen Abends im Ohrensessel vor dem Kamin ein. Und wenn man die Musik der Tindersticks mit einem Drink vergleichen möchte, dann mit einem, der genau in dieses Setting passt: ein ganz alter hochklassiger sherryfass-gereifter Speyside-Single-Malt. Elegant, perfekt, wohlig-wärmend und auf dem Höhepunkt seiner Qualität.
Die Setlist
Second Chance Man
Were We Once Lovers
Sleepy Song
Medicine
Johnny Guitar (Peggy Lee Cover)
She’s Gone
The Other Side of the World
Boobar Come Back To Me
Hey Lucinda
How We Entered
The Waiting Room
Planting Holes
Dreamers
Show Me
A Night So Still
The Fire of Autumn
My Oblivion