L’ÂME IMMORTELLE, 04.03.2016, clubCANN, Stuttgart

L'Âme Immortelle

Foto: Steve Sonntag

Wiener neigen nicht nur zu ihrem berühmten Schmäh, sondern man sagt ihnen bekanntlich auch nach, dass sie dafür prädestiniert sind, einer gewissen Morbidität nachzuhängen. Man erinnere sich an das Lied über den Zentralfriedhof. L’Âme Immortelle bestätigen, dass dies nicht nur Klischees sind und tun dies nunmehr schon seit 20 Jahren. Deshalb ist das Duo, bestehend aus Sonja Kraushofer und Thomas Rainer auch auf einer kleinen Jubiläumstournee „Unsterblich – 20 Jahre L’Âme Immortelle“ (was fast einer Tautologie gleichkommt, denn L’Âme Immortelle heißt „die unsterbliche Seele“). Und um schonmal einen Tipp zu geben, in welchen musikalischen Regionen wir uns heute bewegen: Es handelt sich um eine Art schwermütig-melancholischen Elektropop, dem man durchaus noch hie und da anhört, dass es Wurzeln im Black-Metal gibt. Das Ganze erlebt auch Einflüsse von poporientierten und klassik-inspirierten Elementen, wenngleich Rainer selbst auf die Frage nach einer Umschreibung der Musik sagte: „Für mich persönlich ist es eher Gothic Rock. Das ist zumindest meine Definition“. Ok, das war jetzt auch schon 1999. Ich bin gespannt auf das Konzert.

Metallspürhunde

Foto: Steve Sonntag

Den ersten Support Jan Revolution habe ich leider verpasst, da es wohl etwas früher angefangen hat und betrete das heimelige Cann als der zweite Support-Act, nämlich die Metallspürhunde aus der Schweiz, gerade ihren Auftritt beginnen. Auch wenn die Gruppe ihre Musik selbst als „Retro-Independent-Pop“ bezeichnet, bewegen wir uns meines Erachtens hier in der klassischen Gothic-Szene: Keyboards und Elektronik, einschließlich eines zeitgemäßen designten Theremins werden von der Dame der Band, Marion Altwegg, bedient, die mit roten Haaren und einem Kleid auftritt, das fast ein bisschen an die Petticoat Mode erinnert. Sie ist verantwortlich für die heftigen, wummernden synthetischen Bässe, die meine Innereien in einen Vibrationszustand versetzen. Es gibt auch einen Gitarristen, Sebastian Hausmann, der mich mit seinem sehr ernsten Gesichtsausdruck und dem bleichgeschminkten Gesicht an den Joker erinnert. Der glatzköpfige Sänger Michael Frasse ist ebenfalls auch optisch ein klassischer Vertreter seiner Zunft mit seinem szenetypischen, etwas martialisch wirkenden Schnallen-Metall-Tank-Top. Er ist sehr laut, aber singt nicht. Auch ein Phänomen dieser Sparte, dass der Gesang eher zu sprechen, respektive zu schreien ist. In jedem Fall ist Frasse ein Entertainer vor dem Herrn und begrüßt wie ein Rockstar im Stadion ganz Stuttgart und heizt so die Stimmung an, die mit dem sehr harten, finster-technoiden Sound und ebenso dunklen Texten („Anomalie im System“) noch gesteigert wird. Das scheinbar ausgehungerte Gothic-Publikum dankt es ihm gerade zu euphorisch – eine ganze halb Stunde lang.

L'Âme Immortelle

Foto: Steve Sonntag

Nach kurzer Pause ist es dann soweit und man spürt im kleinen Saal des Cann, dass hier einige schon nervös werden und seit langem darauf gewartet haben L’Âme Immortelle wieder einmal live sehen zu können. Es wird dunkel und Sonja Kraushofer – Stimme und sozusagen Aushängeschild des Projekts – kommt zu den Klavierklängen von „Life will never be the same again“ auf die in ultraviolettes Licht getauchte, dunkle Bühne. Sie trägt ein ebenso dunkles, wallendes Kleid/Umhang, man kann es noch nicht exakt ausmachen und nur ihre knallroten Haare sind eindeutig zu identifizieren. Kraushofers markante Stimme durchdringt bei dem gelungen inszenierten Auftakt den Saal und löst Freudentaumel aus. Zum nächsten Song „Stumme Schreie“ (2004) wird es heller und die zweite Hälfte von L’Âme Immortelle, Thomas Rainer, kommt ganz schnicke in dunklem Anzug und Weste sowie mit seiner typischen Frisur (rasiert und gescheitelt) und der schwarzen Bille auf die Bühne. Und dazu die auch mittlerweile fest zum Projekt L’Âme Immortelle gehörenden Martin Parzer am Keyboard und Markus Adamer am Schlagzeug. Die beiden sind fixe Bestandteile wenn es darum geht, die Musik live umzusetzen. Allerdings fehlt heute Francis, der üblicherweise bei den Live-Auftritten noch am Bass tätig ist.

Laut geht es auch bei „Phönix“ (2006) zur Sache, bei dem die beiden abwechselnd und im Duett singen und Rainers Affinität zum schwermetallischen Shouten gut hörbar wird. Kraushofer möchte das Publikum mit auf eine Reise nehmen, beginnt sie einen Märchenanfang vom Rotkäppchen, Struwelpeter und Kätzchen am Meer und man ahnt, dass es hier irgendwie um L’Âme Immortelle gehen muss. Es folgt „Drown them“ (2014), eines der wenigen Lieder, die nicht auf der gerade erschienen „Unsterblich – 20 Jahre L’Âme Immortelle“ Zusammenstellung zu finden ist. Dafür wurden gerade ältere Stücke nochmals aufbereitet und mit einem modernen Sound versehen, was den beiden ein Anliegen war und vielen Fans eine Freude sein wird.

L'Âme Immortelle

Foto: Steve Sonntag

Ja, man kann diesen ganzen zur Schau getragenen Weltschmerz, der zwar in Moll gehaltenen, aber doch auch schlichten Songs, die größtenteils einem ähnlichen Beat folgen, belächeln und meinen, dass dies für pubertierende Mädchen und Jungs wohl sehr ansprechend sein muss. Doch zum einen widerspricht dem die Altersstruktur der Konzertbesucher – über den Daumen gepeilt 1/3 Kids, 1/3 Mittelerde (zwischen 25 und 35+) und 1/3 ü40. Und zum anderen leben Kraushofer und Rainer dieses Gefühl, diese melancholisch-finstere Lebenseinstellung, die diese Musik transportiert seit nunmehr 20 Jahren und man kann ihnen gewiss nicht nachsagen, irgendwelchen erfolgversprechenden Trends nachzueifern. Und im Laufe des Konzerts kann ich immer besser nachvollziehen, warum sich erwachsene Menschen, die wahrscheinlich ganz normal sind und am Montag wieder in die Fertigungshallen und Büros von großen und kleinen Firmen ihrer Arbeit nachgehen werden, heute Abend die dunkle Königin der Nacht in geschnürten Korsagen oder dunkle Fürsten in martialischen Schnallenhosen und Ledermantel sind.

Rainer offenbart, dass L’Âme Immortelle für ihn auch Selbsttherapie ist und in der Tat handeln viele der Liedtexte von starkem Liebeskummer, wie auch die beiden folgenden, die von gescheiterten Beziehungen handeln („Aus den Ruinen“ und „Tiefster Winter“, beide 2003). „Ich lebe in einer Zeit, in der Gefühle wichtig sind …“ beginnt Sonja Kraushofer einen Liedtext zu rezitieren und ergänzt „und wenn ich mir die Welt so anschaue, ist der Song heute umso wahrer – Bitterkeit“. Und es folgt mit „Bitterkeit“ von 1998, ein weiteres Highlight aus dem L’Âme Immortelle-Schaffen, das einmal mehr Einblick in die seelischen Abgründe gibt:

Überall ist Bitterkeit
Verzweiflung und der Tod
Blut und totes Fleisch
Werden unser täglich Brot

L'Âme Immortelle

Foto: Steve Sonntag

Die Fans scheinen alle ihren eigenen in sich gekehrten Flow zu haben; textsicher ohne Zweifel, was jedoch nicht laut grölend zur Schau gestellt wird. Es scheinen allesamt sensible Wesen zu sein, die sich nun heraus getraut haben und mit anderen Seelenverwandten ihrem Weltschmerz frönen. Sonja Kraushofer kommt nun in einem neuen Outfit auf die Bühne und trägt ein schönes, barock anmutendes Rüschenkleid und Rainer verkündet: „Wir stapeln Masken, hinter denen wir uns verstecken und wenn wir irgendwann wieder herausfinden, wer wir wirklich sind, gefällt uns das auch nicht.“ Der Song, der hierauf folgt, „Gefallen“ aus dem Jahr 1999, bildet einen weiteren Höhepunkt. Hier kommt wieder dieses Vocal-Modell sehr gut zum Tragen: Sie eher lieblich und mit Gesangslinie, er böse shoutend, um schließelich in ein Refrain-Duett zu münden. Das funktioniert bei dieser Art von Musik ziemlich gut, und man muss gerade bei Thomas Rainers Parts doch gelegentlich an Bands wie Linking Park denken, wohingegen mir bei Sonja Kraushofer doch das eine oder andere Mal der Name Rosenstolz durch die Gedanken schoss. Klingt nach einer kruden Mischung, dieser Gothic Electropop mit metallischen und technoiden Einschlägen, aber eben auch einer deftigen Prise Schlager-Appeal. Aber genau das macht wahrscheinlich auch den Reiz aus.

Natürlich dürfen sich L’Âme Immortelle zur Recht feiern mit ihrem 20er Jubiläum, und die Fans bekommen nur das Beste zu hören; es folgen noch „Wie Tränen im Regen“, „Ich gab dir alles“, „Love is lost“, „Requiem“ und „Einsamkeit“ und ich staune darüber, dass es entgegen erster Befürchtungen doch recht kurzweilige 80 Minuten bis dahin waren. Als Zugaben folgen dann noch „Eye of the Storm“, „Es tut mir leid“ und „5 Jahre“ und der Schlussapplaus hat wirklich etwas anrührend Herzliches, und alle vier Musiker verneigen sich vor ihren dunklen Fans. Es scheint ihnen doch auch Spaß gemacht zu haben. Und nicht wenige Geduldige warten dann auch stoisch am Merch-Stand die 30 angekündigten Minuten ab, bis Sonja und Thomas kommen, um sämtliche Arikel zu signieren und ins Gespräch zu kommen. Das lässt sie für viele sicherlich noch unsterblicher werden.

L'Âme Immortelle

Foto: Steve Sonntag

L’Âme Immortelle

Metallspürhunde

Jan Revolution

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

I accept that my given data and my IP address is sent to a server in the USA only for the purpose of spam prevention through the Akismet program.More information on Akismet and GDPR.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.