TORTOISE, SAM PREKOP, 15.02.2016, Franz K., Reutlingen

Tortoise

Foto: bertramprimus

Hamburg – Berlin – Reutlingen – bei dieser Route im Tourplan muss man sich die Augen reiben. Das soll jetzt keinen Städte-Konzert-Jammer-Battle hervorrufen. Aber oft sieht man gern gehörte Bands an der Region Stuttgart, Richtung München vorbeiziehen. Dem wurde ein Schnippchen vom Indi(e)stinction Festival geschlagen, das zum ersten Mal im Reutlinger Franz K. stattfindet. Top Auftakt, mit Tortoise zu starten. Mit ihrem 25-jährigen Bandbestehen waren und sind Tortoise prägend für den Sound der Chicagoer Postrock-Szene, die sich ab den späten 90er Jahren gebildet hat. Über sämtlichen Werken schwebte die Hand des Musikers und Produzenten Jim O’Rourke (immer gut im Plattenregal zu haben, der Sampler „Chicago 2018 It’s gonna change“). Waren es doch sieben Jahre seit Erscheinen des letzten Tortoise Albums „Beacons of Ancestorship“. Das Warten hat ein Ende, das bisweilen vielleicht auch die Frage aufgeworfen hat, ob es jemals noch ein Album wieder geben wird. Im Januar 2016 erschien dann endlich „The Catastrophist“.

Die Begrüßung im Franz K. ist sehr freundlich, dieses geht mit dem Barpersonal gleich weiter, ebenfalls freundlich und auf Zack. Dass Montagabend ist, tut der Sache keinen Abbruch. Weiterer Eindruck: das hier wird kein intimes Konzert mit einer Handvoll Gäste. Das Franz K. ist sehr gut besucht, Geschlechterverhältnis 85% Männer.

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Alles sehr entspannt, mag vielleicht an den hypnotischen Klängen liegen, die aus dem Saal herauswehen. Diese kommen von Sam Prekop. Er hat mit seiner Band „The Sea and Cake“ einst wunderbare Alben wie „The Biz“ und „The Fawn“ veröffentlicht. Die heute dargebotenen Klänge haben mehr einen elektrifizierten Charakter. Die Beine übereinandergeschlagen, den Fuß leicht wippend, sitzt Sam Prekop auf der Bühne und bedient mit Verbindungssteckern mehrere zusammengeschaltete Modular-Synthesizer. Zu hören sind musikalische Versatzstücke von Tonfolgen, die immer wieder ineinander verwoben sind. Es klingt sehr „organisch“. Die Klänge scheinen auf das Publikum eine beruhigende Wirkung zu haben, zumindest an meinem Standort. Es wird sich kaum unterhalten. Auch mal wieder schön. Kurz mal die Klänge setzen lassen, dann geht es mit Tortoise weiter.

Tortoise

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Der Aufbau der Instrumente verhält sich bei Tortoise genau andersherum, wie man es sonst mitunter von Konzerten kennt. Am vorderen Bühnenrand stehen zwei zueinander gewandte Drumkits, jeweils seitlich stehen Marimba und Vibraphon. In rotes Licht getaucht tummelt sich nun das Who-is-Who der Chicagoer Szene. Nach den ersten Songs „The Catastrophist“ und „Tesseract“ vom aktuellen Album bildet „Eros“ (Standard, 2001) einen Kontrast mit brüchigen Free Jazz Elementen. Das Quintett bewegt sich durch eine hohe Instrumentendichte. Die eher beständigen Plätze haben Gitarrist Jeff Parker und Bassist/Gitarrist Doug McCombs (Brokeback), der mit seinem weißen Rauschebart mehr einem Seebären gleicht. Stromlinienförmig wechseln die anderen Musiker die Instrumente durch. John Herndon (Isotope 217) knüppelt erst am Schlagzeug, wechselt an die Keyboards, um dann sanfter auf der Marimba zu spielen. Schlagzeug gibt es immer. Ist es nicht John Herndon, sitzt Tortoise-Mastermind John McEntire am Schlagzeug, der stellenweise wunderbare Wechsel in der Melodieführung mit Gitarrist Jeff Parker hat.

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An manchen Stellen wünsche ich mir, doch mehr den für Tortoise direkten und kantigen Sound zu hören, der mit so vielen feineren Facetten durch Synthesizer und Keyboard versetzt ist. Denn Tortoise sind solche Klangschmuggler, da passiert immer etwas. Stellenweise ist der Sound sehr vom Schlagzeug überlagert. Ansonsten kann man weiterhin lauschen, die mit Coolness-Faktor unbestrittenen Musiker beobachten und gespannt sein, wer jetzt wieder an welches Instrument wechselt. Wechselt John McEntire vom Schlagzeug an die Elektronik, steht er wie ein Zeremonienmeister in der Mitte des Instrumentenparks. Die Band versteht sich stumm, gelächelt wird kaum. Dafür werden ab und an die Augen geschlossen. Die Kommunikation mit dem Publikum fällt minimal aus, Gitarrist Dan Bitney bedankt sich kurz. Der Schwerpunkt des gespielten Sets liegt auf dem neuen Album. Oft kommt es vor, dass Bands auf die alten Knaller zurückgreifen. Das hat Tortoise nicht nötig. Nach dem einstündigen Set will keiner die Band so richtig gehen lassen, nicht nach den Zugaben und auch nicht, als die Musiker selbst zum Ende des Auftritts die Instrumente abbauen. Eingefleischte Fans nutzen die Gelegenheit, sich Autogramme zu holen. Diese Gelegenheit lassen wir aus. Ja, es ist ja Montagabend, aber kurzer Schlenker zum Merchandising-Stand muss noch sein.

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Tortoise

Sam Prekop

Ein Gedanke zu „TORTOISE, SAM PREKOP, 15.02.2016, Franz K., Reutlingen

  • 22. Februar 2016 um 06:36 Uhr
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    Auch wenn Jim O’Rourke sehr umtriebig ist, hat er bis auf einen Song-Remix weder musikalisch noch produzententechnisch etwas zu Tortoise beigetragen.

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