DRANGSAL, AGO, 20.01.2016, Pop Freaks, Merlin, Stuttgart
„An Drangsal führt in diesem Jahr kein Weg vorbei“ postuliert der Musikexpress. Große Worte. Das Merlin, genauer: Pop-Freaks-Kurator Arne Hübner, hatte diese Erkenntnis aber schon letztes Jahr. Und so ergibt es sich, dass sich Max Gruber alias Drangsal – kaum zurück vom Tour-Support bei Kraftklub – nun als Geheim-Favorit beim Pop-Freaks-Festival wiederfindet.
Quasi von den großen Hallen zurück in den kleinen Club. Anders als auf Facebook angekündigt, haben sie aber nicht im Gegenzug Kraftklub als Support mitgebracht. Dafür das Stuttgarter Duo Ago, das wir auch schon länger auf der Beobachtungsliste haben.
Ago, das sind Manuel Minniti und Robin Wörn, die seit 2012 einen Elektro-Sound auf die Bühne bringen, der sich irgendwo zwischen Depeche Mode und Trentemøller bewegt. Eine solide elektronische Basis, durchweg instrumental, mit repetitiven Gitarren-Melodien und Akzenten von E-Bass, Becken und Schellenring. Die beiden bauen in ihrem gut halbstündigen Set einen schönen Spannungsbogen auf, zuerst unaufgeregt atmosphärisch, mit zunehmender Dauer immer beatlastiger. Dem Publikum gefällt’s. Zum letzten Titel gesellt sich noch eine Sängerin auf die Bühne. Ihr allererster Auftritt fällt erstaunlich cool aus, musikalisch ist er allerdings absolut entbehrlich.
Guten Abend. Wir sind die Gruppe Drangsal aus Herxheim.
Aus der pfälzischen Provinz kommt er also, Max Gruber, das neue Lieblingskind der Musik-Postillen. Caroline International, das Sub-Label von Universal, bei dem er mit seiner Band kürzlich untergekommen ist, ist da schon eher ein Global Player und so findet sich Drangsal jetzt auf einem gemeinsamen Roster mit Schwergewichten wie Tame Impala oder den Eagles of Death Metal. Respektabel, wenn man bedenkt, dass bisher so gut wie nichts über Drangsal bekannt ist. Gerademal einen Titel haben sie bisher offiziell veröffentlicht.
Unter „Brachialpop & Jammerpunk“ ordnen sie sich ein, de fakto ist es solider Indie-Pop mit einer guten Portion New Wave und Eighties. Und tatsächlich: Max Gruber erinnert optisch und von der Gestik her an den jungen Kevin Rowland, stimmlich ist stellenweise eine verblüffende Ähnlichkeit zu Robert Smith zu erkennen. Aber Gruber ist weit davon entfernt, die berühmten Epigonen zu kopieren.
Etwas befremdlich ist allerdings die Besetzung. Mit drei Gitarren und Schlagzeug haben wir nicht nur eine Gitarre zu viel auf der Bühne (das gilt übrigens für alle Bands mit drei und mehr Gitarren), sondern – viel schlimmer – einen Bass zu wenig. Was angesichts der treibenden Bassläufe, die einige Titel dominieren, ganz besonders seltsam ist. Dass der Background-Gesang und die „Hey!“-Rufe in zwei Titeln ebenfalls aus der Konserve kommen, obwohl ein weiteres Gesangsmikro ungenutzt herumsteht, verstärkt noch das Gefühl, dass das Gehörte irgendwie nicht zum Gesehenen passt. Es drängt sich der Verdacht auf, dass hier ein Ein-Mann-Projekt kaschiert wird.
Sei’s drum: musikalisch macht das Ganze Spaß. Da sind griffige Melodien zu hören, da sehen wir einen Frontmann, der engagiert zu Werke geht, eine markante Stimme mitbringt und schon jetzt – trotz seiner jungen Jahre – mit einer gewissen Distanziertheit die Aura eines Stars verbreitet. „Allan Align“ wird entsprechend gefeiert und setzt sich sofort auf meiner Liste der „Top Songs 2016“ fest.
Die Stimmung im Merlin ist jedenfalls prächtig, was auch durch ein kleines technisches Problem nicht geschmälert wird. Naturgemäß ist das Œuvre noch sehr überschaubar und so endet der Auftritt nach gut vierzig Minuten. Es bleibt das wohlige Gefühl, eine spannende Band ganz am Anfang ihrer Karriere gesehen zu haben. Jetzt kann man nur hoffen, dass Gruber ein Live-Setup findet, das seine hohen musikalischen Ziele glaubwürdig auf die Bühne bringt. Und dass Presse und Kritik den Hysterie-Modus verlassen und die überzogenen Erwartungen zurückschrauben. An denen könnte eine junge Band nämlich auch scheitern.