MOTÖRHEAD, SAXON, GIRLSCHOOL, 25.11.2015, MHP-Arena, Ludwigsburg

MOTÖRHEAD, 25.11.2015, MHPArena, Ludwigsburg

Foto: Sue Real

Oh, diese sentimentale Weihnachtszeit! Man packt die Deko wieder aus und zündet den Adventskranz an. Man wählt Geschenke für alle Freunde und die Familie. Durch die Kälte draußen gibt’s mehr gemütliche Zeit zu Hause – möglicherweise mit Tee und den ersten selbstgebackenen Plätzchen des Jahres. Die Luft beginnt langsam nach dem Schnee zu riechen, der dieses Jahr vielleicht pünktlich kommt. Man spielt den Weihnachtsmann für Nachbars Kinder oder sieht die Vorfreude in den Augen der eigenen. Manchmal bekommt man sogar noch einen Adventskalender geschenkt. Das Christkind kommt oder der Weihnachtsmann – je nach Geschmack – Opa nimmt mal wieder auf unserem Sofa Platz und Motörhead kommen auf Tour.

Was wäre das Leben ohne Traditionen? Das ist halt so ein jährliches Ding: Man kauft die Konzertkarte und freut sich, man zündet ein Kerzchen am Adventskranz an und geht zu Motörhead. Gig-Blog berichtete: am 04.12.2010 aus der Schleyerhalle, am 27.11.2011 noch mal aus der Schleyerhalle, am 28.11.2012 aus der Arena in Ludwigsburg und … Ups, warte mal. Dann schrieben wir nichts mehr, denn ab 2013 sieht die Tradition eher so aus: Man kauft die Konzertkarte und freut sich, man zündet ein Kerzchen an und gibt die Karte wegen Tourabsage wieder zurück. Lemmy Kilmister, diese lebende Legende des Metal, ist krank, so krank, dass selbst dieses Jahr noch vor allem in den USA eine Vielzahl von Shows abgesagt werden mussten.

Es ist also ein bisschen ein Bibbern bis zur letzten Minute. Und wie sich zeigt, ist das Bibbern auch noch nicht vorbei. Manch einer unkt, es könnte das letzte Mal sein, dass er hier auf Tour kommt. So schlimm steht es. Klar, man könnte jetzt die berühmten Zeilen aus ihrem großen Hit zitieren: „I don’t want to live forever“ und so. Aber Du bekommst in der Hinsicht nicht, was Du willst. Wir bekommen alle in der Hinsicht nicht das, was wir wollen. Und genau deshalb darf das in diesem Fall absolut nicht so laufen, wie Du das willst!

MOTÖRHEAD, 25.11.2015, MHPArena, Ludwigsburg

Foto: Sue Real

Ich will nicht, dass das hier so ein Abend wird wie bei all diesen Shows von großen Bands, die ich seit Ronnie James Dios Ableben hauptsächlich deshalb besuche, weil ich diese Bands wenigstens (noch) ein Mal gesehen haben möchte, bevor mir einer einen Strich durch die Rechnung macht. Ihr wisst schon: „God Hates Us All“ und so …

Na ja, in zweierlei Hinsicht kann der Abend das vielleicht auch werden, denn ich bin sehr gespannt auf die erste Live-Begebnung mit Girlschool. Und Saxon habe ich auch noch nie gesehen. Aber wegen Motörhead darf er das nicht werden. Ich will nicht Motörhead wenigstens ein Mal noch gesehen haben. Und es ist dieser Tage ja auch erst ein ehemaliges Bandmitglied verstorben …

GIRLSCHOOL, 25.11.2015, MHPArena, Ludwigsburg

Foto: Sue Real

Zunächst also die jungen oder nicht mehr so jungen Damen: Girlschool. Der Name ist Programm. Seit 1978 zockt hier ein weiblicher Vierer. Mal klingt das rockiger, mal metallischer und – bei aller Verwandtschaft – nie ganz so NWOBHM-mäßig wie beim zweiten Act des Abends. Die Mid- bis Up-Tempo-Nummern kommen locker und unterhaltsam rüber, wobei sie sich recht fix an Song-Strukturen halten. „Race With The Devil“ beispielsweise zündet ordentlich.

Die drei vorne – allen voran Jackie Chambers – sind ganz agil auf der Bühne unterwegs, wobei sie natürlich durch den Umstand gebunden werden, dass sie alle etwas zum Gesang beisteuern und somit oft nicht von den Ständern weg kommen. Mal übernimmt Enid Williams die Lead-Vocals, mal eine der anderen. Die Ansagen macht aber vor allem Kim McAuliffe.

Die Vier haben sichtlich Spaß an dem, was sie da tun. Auch deshalb finde ich es schade, dass man sie mit gerade mal einer halben Stunde abspeist. Sie haben Tempo und Druck, und Denise Dufort drischt auf ihr Schlagzeug ein, als ginge es um Leben und Tod. Nicht bezogen auf die Spielqualität oder dieses Arme schwingende Engagement, wohl aber bezogen auf den Sound, ist das Schlagzeug leider ein Problem bei dem Auftritt. Es ist relativ zu den anderen Instrumenten zu laut abgemischt und lässt die Stücke daher nicht so richtig zur Geltung kommen. Auch bei Licht und Lautstärke wird an der Vorband gespart, wie man das ja häufig sieht. Das finde ich hier schade, denn eine Band, die schon auf der Bühne stand, bevor ich meine Schuhe selber binden konnte, hätte eigentlich mehr verdient!

Dennoch bin ich froh, Girlschool gesehen zu haben, schließlich interessieren sie mich schon sehr lange – insbesondere seit dem Interview in Sam Dunns „Metal. A Headbangers Journey“. Und in dem Film erweist ja auch Lemmy ihnen seine Ehrerbietung …

SAXON, 25.11.2015, MHPArena, Ludwigsburg

Foto: Sue Real

Und dann kommen Saxon. Die 1979 gegründete Combo ist ein Klassiker des NWOBHM, auch wenn Peter Byford zwischendrin mal fragt, ob wir Thrash Metal mögen. Nope. Also: Ja, tun wir, aber ihr spielt keinen. Dafür haben wir alles, was Metal im Kern ausmacht: fette verzerrte Gitarren, voller Bass-Sound, hämmerndes Schlagzeug und eine hohe Stimme, kräftig, als hätte der Typ da vorne Lederlungen, wie Deena Weinstein das im oben erwähnten Dunn-Film so schön ausdrückt.

Die Stimme hat Druck. Keine Frage. Und laut ist es geworden. Würden Saxon vor Girlschool spielen, würde man von den Mädels wegen des zwangsläufig auftretenden Ohrenpfeifens nichts mehr hören.

Ansonsten ist zu Saxon natürlich schnell alles gesagt. Fangen wir mal beim Erscheinungsbild an. Das ist irgendwie ein bisschen verwirrend, denn während Byford im Gehrock mit doppelter Knopfreihe auftritt (am Anfang zieht er kurz die Kutte eines Fans drüber) und Paul Quinn mit seinen Boot Cut-Jeans und der Base Ball-Cap aussieht wie ein Südstaaten-Rocker, zeigen sich Doug Scarrat und Tim Carter kleidungsmäßig als Metaller alter Schule: hautenge Röhrenjeans, schwarze Shirts. Und überhaupt Carter mit seinen Kick-Jumps wirkt schon ein bisschen arg. Fast muss man sagen: Das ist wirklich zu 80er. Aber schön, dass er so fit und beweglich geblieben ist. Nicht jedes Baujahr ’66 bringt den Fuß beim Bassspiel auf Gesichtshöhe. Ich bin wesentlich jünger und könnte das nicht – weder so kicken, noch so Bass spielen. Und dann ist da noch Nigel Glockler, den man hinter seinem Riesenschlagzeug schlicht nicht sehen kann.

Wie auch immer. Wenden wir uns mal der Musik zu. Die Songs sind schnell und routiniert. Beißende Gitarren, treibende Rhythmen und dieser typische Gesang, welcher der NWOBHM eine gewisse Erhabenheit verleiht, treten dem Publikum mächtig in den Hintern. Man sieht das beispielsweise bei „Heavy Metal Thunder“. Das hat so ein bisschen dieses Höhepunkt-der-Show-Feeling: Das Set hat sich zu diesem Punkt mächtig gesteigert. Es ist so rund ein Drittel rum. Doch dann vergreifen sich die Briten ein bisschen in der Songauswahl, finde ich, denn das neue „Queen of Hearts“ lässt da mächtig die Luft raus. Danach kommen sie aber nochmal in den Tritt mit „Princess of The Night“ und „Wheels of Steel“.

Tja, unter dem Strich wirkt der Auftritt durch so etwas ein bisschen unrund. Überhaupt hat man schnell das Gefühl, dass Saxon zu diesem Zeitpunkt musikalisch alles gesagt haben und sich nur noch wiederholen. Und wenn man noch die viele Zeit für Ansagen dazu nimmt, wünscht man sich wirklich, die Set-Längen von Girlschool und Saxon wären etwas ausgeglichener angelegt.

Immerhin jedoch hält sich „Biff“ Byford sprichwörtlich an seine eigene Aufforderung: „I want to see people vomit, they’re singing so loud.“ Bei ihm sind Lederlungen am Werk. Absolut.

MOTÖRHEAD, 25.11.2015, MHPArena, Ludwigsburg

Foto: Sue Real

So, und damit kommen wir zum traditionellen Teil. Und der beginnt traditionell mit der Ansage: „We are Motörhead and we play Rock’n’Roll!“ Ganz so lederlungig wie bei Byford klingt die Stimme aber nicht, denke ich mir. Aber lass die mal kommen, lass die mal kommen, denn eine Sache wird auf jeden Fall sofort klar: Motörhead bräuchten keine Vorband als Anheizer, wie das so schön heißt. Zum Anheizen reicht es bei Motörhead, einfach das Licht auszumachen. Licht aus. Publikum an. So geht das!

Zu sehen gibt es natürlich auch was. Nicht alles so, wie man sich das vorstellt, nein, aber es gibt optisch ein paar echte Momente. Drei Anmerkungen:
Erstens ist insbesondere das Flugzeug über der Bühne ein Highlight. Es kann auf- und absteigen, schwenken und leuchten wie ein Weihnachtsbaum in Flammen. Und das tut es auch häufig. Dazu wechseln hinten alle paar Stücke die Backdrops. Nachdem ich die Pressetribüne verlassen habe, von der man Lemmy wegen der vielen Lautsprecher zwar hören aber nicht sehen kann, klebe ich oben in Reihe 500 unter der Hallendecke und habe einen wunderbaren Blick auf die stimmungsvolle Light Show während der beiden Soli: Beim Gitarrensolo strahlen die Moving Heads von allen Seiten in Grün auf Philip Campbell. Es sieht aus, als würde er im Licht explodieren. Beim Schlagzeugsolo gibt es noch einmal einen ähnlichen Effekt in anderen Farben: Weiß und Golden. Nur wechseln die Strahler sich ab. Die Becken reflektieren das Licht tausendfach. Alles schimmert und glitzert wie bei der Bescherung. Fühlt sich auch so an.

Zweitens muss man natürlich konstatieren, dass Motörhead nicht gerade eine Band sind, bei der viel auf der Bühne passiert. Lemmy bewegt sich in seinen weißen Cowboy-Stiefeln keinen Millimeter. Von Mikkey Dee sieht man nur einen wedelnden Haarschopf. Und allein Campbell läuft auf der Bühne vor und zurück und hin und her und im Kreis. Das ist man bei der Band ja gewöhnt. Aber was hier an Optik fehlt, macht natürlich die Musik wett.

Ein guter und ein akzeptabler Aspekt also. Ganz okay, wenn da nicht drittens wäre … wenn da nicht drittens wäre.

Drittens. Oh, Mann. Wie sieht Lemmy denn aus! Gar nicht gut, gar nicht gut. Vergleicht mal unsere Fotos von der letzten Show mit denen hier. Der sieht mindestens 15 Jahre älter aus. Es waren aber nur drei. Ich glaube wir müssen uns echt Sorgen machen. Und er klingt auch nicht gut. Ganz ehrlich. Es haben einige angemerkt – und es liegt nicht an der Abmischung: seine Stimme klingt schwächer. Und wenn er redet, wünscht man sich manchmal Untertitel, weil man ihn nicht versteht, so sehr nuschelt er. Mein Opa klang zuletzt besser. Aber der ist jetzt tot. Mann, Mann, Mann.

MOTÖRHEAD, 25.11.2015, MHPArena, Ludwigsburg

Foto: Sue Real

Ansonsten ist das Konzert wie jede gute Bescherung gut durch getaktet und läuft – bei allen Rissen in der Fassade – wie am Stöckchen. Die Songs haben es halt in sich, und sie live zu sehen, macht sie noch besser. Was man bekommt, sind dreckige Songs mit jeder Menge Blues und Blues-Einflüssen drin. Und die müssen dreckig klingen, denn wenn die nicht so dreckig klingen würden, wäre es auch wirklich Rock’n’Roll, wie Lemmy immer behauptet, und kein Metal … wobei man ja sagen muss, dass man schon auf den Kopf gefallen sein muss, um den Rock’n’Roll da nicht auch zu hören, schließlich ist die Musikbezeichnung hier nicht nur ein Etikett, das halt gut zum Lebensstil passt.

Die Band, welche sich 1975 nach dem Speed-Konsumenten benannt hat, hat auf jeden Fall jede Menge davon. Da ist es eigentlich nicht so wichtig, welche ihrer Klassiker sie ins Set packen, von „Ace of Spades“ über „Bomber“ zu „Chase Is Better Than The Catch“ … und sie würden vielleicht auch das ganze Alphabet voll bekommen. Aber das würde dann nicht nur Lemmy nicht durchstehen, sondern auch das Publikum nicht, das sich vorne vollkommen verausgabt und nach dem zumindest beinahe Overkill verschwitzt und mit einem Grinsen wie aus der besten Weihnachtsgeschenke-Werbung aus der Arena wankt.

Hoffentlich war das kein Schwanengesang, aber ein paar Jahre wird das ja wohl wenigstens noch gut gehen … und zur Not werden wir uns vielleicht doch darauf einstellen müssen, dass wir Lemmy zu Weihnachten statt auf eine Bühne lieber auf unser Sofa packen. Mit noch ’nem Kissen im Rücken, damit er gut sitzt. Schnuffig genug ist der dafür ja schon.

MOTÖRHEAD, 25.11.2015, MHPArena, Ludwigsburg

Foto: Sue Real

Motörhead

Saxon

Girlschool

3 Gedanken zu „MOTÖRHEAD, SAXON, GIRLSCHOOL, 25.11.2015, MHP-Arena, Ludwigsburg

  • 28. November 2015 um 23:17 Uhr
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    Ich war auch entsetzt von Lemmys Zustand und Stimme. Der Bomber und der Lärm konnten teilweise von diesem Umstand ablenken. Ersterer vergleiche „No sleep ‚til Hammersmith“ (1980), ich würde sagen genau das gleiche Gerät.

  • 29. November 2015 um 19:42 Uhr
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    Schon irgendwie komisch… 2012 waren Motörhead zuletzt hier in der Gegend, und ihr Konzert in Ludwigsburg hab ich als … hmm … gut, aber von Seiten der Band als nicht soooo motiviert in Erinnerung. Dann kam Lemmys Krankheit und die Tourpause, und schließlich bin ich letztes Jahr mit genau den oben beschriebenen vorweihnachtlichen Motörhead-Entzugserscheinungen nach München gepilgert. Und die Band war musikalisch und auch sonst bestens drauf, auch wenn Lemmys Gesundheitsprobleme ihre Spuren hinterlassen haben. Und dieses Jahr? Gemischte Gefühle, weil man Lemmy wirklich ansieht und -hört, wie wenig Kraft er hat. Aber was für eine Wahnsinns-Show. Und auch wenn Lemmy und Phil ziemlich routiniert aufeinander eingespielt sind und Riesenüberraschungen nicht zu erwarten sind – ich fand, dass da musikalisch einige sehr intensive Momente da waren. Besonders das düstere „Orgasmatron“ hat mich schier umgehauen. Ich hoffe sehr, dass Lemmy wieder mehr Kraft findet und wir auch nächstes Jahr zum adventlichen Singen mit Motörhead alle herbeikommen dürfen.

  • 3. Dezember 2015 um 22:08 Uhr
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    „We are Motörhead and we play Rock And Roll“ wurde nicht gesagt zum Einstieg.

    Dafür gab es ein „We are Motörhead – don’t forget us“ zum Ende hin.

    Und das war schon bitter. Mein 20. Motörhead Konzert wird es wohl nicht mehr geben.

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