FAT FREDDY’S DROP, 21.11.2015, Liederhalle, Stuttgart

FAT FREDDY'S DROP, 21.11.2015, Liederhalle, Stuttgart

Foto: Michael Haußmann

Neuseeland, Das Land der langen, weißen Wolke. Südsee-Romantik, Vulkane und Rugby, Maori-Schmuck und Tribal Tattoos, Bungee in Auenland. Kaum ein anderes Fernreiseziel wird so intensiv verklärt, wie die Heimat von Fat Freddy’s Drop. Vielleicht überträgt sich dieser Mythos ja auch auf die Band und könnte somit erklären, warum die siebenköpfige Band aus Wellington einen derartigen Erfolg hat. Platin-Alben im Dutzend und umjubelte Gigs weltweit. Meine Erkenntnis nach ihrem ersten Gig in Stuttgart: allein an der Musik kann’s nicht liegen.

FAT FREDDY'S DROP, 21.11.2015, Liederhalle, Stuttgart

Foto: Michael Haußmann

Die Stuttgart-Premiere scheint wohl das gesellschaftliche Ereignis des Jahres zu sein. Noch nie habe ich so viele bekannte Gesichter auf einem Gig getroffen. Darunter viele, die doch eher selten auf Konzerte gehen. Trotz strammer vierzig Euro Eintritt ist das Parkett des Hegelsaals ausverkauft. Gut tausend Zuschauer passen dort hinein. Weitere achthundert hätten auf den Emporen Platz, dort verlieren sich aber nur etwa hundert Bedauernswerte, die dem Treiben von oben zuschauen müssen.

FAT FREDDY'S DROP, 21.11.2015, Liederhalle, Stuttgart

Foto: Michael Haußmann

Mit dem 2005 erschienenen und inzwischen mit neunfachem Platin ausgezeichneten Album „Based On A True Story“ erspielten sich die sieben Neuseeländer einen Stammplatz auf jeder Playlist für eine relaxte Stehparty. Keine Designer-Fete, auf der diese Platte nicht aufgelegt wurde, gerne zwischen Café del Mar und Costes la Suite. Das Publikum ist sehr gemischt: von Reggae-Jüngern und Altpunks, über Neuseeland-Fans mit entsprechenden Insignien bis hin zu seriös auftretendem Bildungsbürgertum ist alles dabei.

Fat Freddy’s Mischung aus Reggae und Soft-Dub, ein wenig HipHop und Spuren von Jazz, sowie Joe Dukies aka Dallas Tamairas angenehme Stimme ist Konsens-Musik, die keinem weh tut. Aber funktioniert das auch live? Einen Festival-Auftritt auf dem Chiemsee Reggae Summer 2010 habe ich in guter Erinnerung und ich freue mich auf einen schönen Abend, zumal das aktuelle Album „Bays“ wieder die gleiche lockere Unterhaltungs-Qualität wie seine Vorgänger hat.

FAT FREDDY'S DROP, 21.11.2015, Liederhalle, Stuttgart

Foto: Michael Haußmann

Um halbneun betreten die sieben die Bühne, und ich muss mir erstmal wieder klar machen, dass diese Band tatsächlich auf den Kern jeder Reggae-Band verzichtet. Drum & Bass kommen komplett aus der Retorte. Nicht wirklich ein Problem, aber doch seltsam für ein Genre, in dem die Rhythmus-Sektion eine so wichtige Rolle spielt, dass es eine gute Schlagzeug-und-Bass-Kombi wie Sly & Robbie alleine zu Ruhm bringen kann. Das Set beginnt Mit „Slings & Arrows“ und „Wairunga Blues“. Vom ersten Ton an perfekt, fast ein wenig steril. Und sie stellen das Publikum erstmal auf eine schwere Geduldsprobe. Die zwei Titel dauern fast eine halbe Stunde und sollen wohl eine relaxte Grundstimmung erzeugen, wirken sich aber erstmal wie eine Dosis Valium aus. Erst mit „Blackbird“ und seinem soliden Beat kommt etwas Bewegung in Band und Publikum. Die Offbeat-Gitarre ist scharf, die Bläser äußerst präzis. Bühnenshow gibt’s keine, das Licht ist nahezu statisch.

Ok, wer das Album „Live at the Matterhorn“ kennt, war gewarnt: Fat Freddy’s Drop mögen es lang, lassen sich Zeit, ein Titel wird da gerne mal auf zwanzig Minuten ausgedehnt.

FAT FREDDY'S DROP, 21.11.2015, Liederhalle, Stuttgart

Foto: Michael Haußmann

Aber schon nach dem Zwischenhoch „Blackbird“ schalten die Mannen um Joe Dukies wieder einen Gang runter. Uns so vergeht eine weitere halbe Stunde, bis mit dem Auftritt von Mark Williams aka MC Slave bei „Ten Feet Tall“ der zweite, dynamische Part des Konzerts beginnt. Anders als der sehr zurückhaltende Dukies wendet sich MC Slave mit viel Power direkt ans Publikum, rappt – bzw. „toastet“ – sich durch pulsierende Dancehall- und Raggamuffin-Rhythmen und legt den Grundstein für die große Party, zu der dieses Konzert noch werden soll.

FAT FREDDY'S DROP, 21.11.2015, Liederhalle, Stuttgart

Foto: Michael Haußmann

Wenn ich bis hierher im bewussten Verzicht auf jegliche Bühnenshow ein Konzept zu erkennen geglaubt habe, überrascht plötzlich Posaunist Joe Lindsay als „Captain Underpants“ mit hautengen Leggins, Feinripp-Unterhemd und Glitzerumhang. Was dies mit dem bisherigen Auftritt von Fat Freddy’s Drop zu tun hat, mag sich mir nicht erschließen. Es wirkt reichlich deplatziert und ist für die Dramaturgie des Gigs überflüssig. Immer wieder fallen die Tracks in unendliche Wiederholungen. Zu meiner Verwunderung schaffen es FFD aber trotzdem, die Stimmung langsam aber sicher immer mehr zu steigern, und so endet das Konzert nach gut zwei Stunden mit dem Hit „This Room“, bei dem wirklich der ganze Laden bis in die letzte Reihe tanzt.

FAT FREDDY'S DROP, 21.11.2015, Liederhalle, Stuttgart

Foto: Michael Haußmann

Als Zugabe gibt es ein üppiges Medley aus „The Raft“, „Shiverman“ und „Wandering Eye“. Captain Underpants spielt den markanten Mundharmonika-Part und unternimmt einen Ausflug rund ums gesamte Publikum, während sich vorne tatsächlich einige im Crowdsurfen üben.

Man mag drüber streiten, ob das Aufbauen eines Spannungsbogens über sage und schreibe zweieinhalb Stunden ein geniales Konzept ist. Immerhin nimmt es all den Nörglern, die sich immer über zu kurze Konzerte beschweren, den Wind aus den Segeln. Oder ob es nicht in weiten Teilen Längen hat. Mich – und ich glaube, auch viele andere – hat das Konzert über lange Strecken schlicht gelangweilt und ich hätte nichts vermisst, wenn der Gig eine Stunde kürzer und dafür knackiger gewesen wäre. Und wenn ich aus den Gähn-Strecken zu Beginn und dem fulminanten Finale einen Mittelwert berechne, dann ergibt das letztlich nur eine mittelmäßige Wertung.

FAT FREDDY'S DROP, 21.11.2015, Liederhalle, Stuttgart

Foto: Michael Haußmann

2 Gedanken zu „FAT FREDDY’S DROP, 21.11.2015, Liederhalle, Stuttgart

  • 23. November 2015 um 01:23 Uhr
    Permalink

    Sehr stark, Holger!

  • 26. November 2015 um 16:45 Uhr
    Permalink

    Was den einen Nörglern den Wind aus den Segeln nimmt befördert umgehend andere ans Tageslicht. Du hast den Job verantwortungsvoll übernommen, Holger.

    Ich selbst und alle mit denen ich gesprochen habe waren völlig geflasht und begeistert nach diesem Konzert. Ich kann Dir auch sagen warum:
    Weil man etwas erlebt hat, was in dieser konservativen Gähnmetropole selten passiert. Die Leute haben gejubelt (und das laut), sie haben getanzt, haben sich mitnehmen lassen. Wer das an diesem Abend zugelassen hat, hatte so viel Spaß, dass er nicht auf die Idee kam zu analysieren ob man Captain Underpants und den Rest der Show in einen dramaturgischen Zusammenhang bringen konnte.
    Tut mir Leid für dich, dass Du bei der Hammer Stimmung so grübeln musstest.

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