WE STOOD LIKE KINGS, 17.11.2015, Komma, Esslingen
Nicht ganz einfach, als Band eine Nische zu finden, in der sich nicht x andere tummeln. Sei es ein besonders obskures Sub-Genre, oder ein besonders abstruser Bandname, in Zeiten von Facebook, Bandcamp, Soundcloud und Co. ist nahezu unmöglich, aus der Masse herauszustechen. Die Belgier We Stood Like Kings haben das Kunststück vollbracht. „Postrock-Soundtracks zu historischen Stummfilmen“ ist nicht nur ein Segment, in dem man mit ganz wenig Konkurrenz rechnen muss, es erschließt praktischerweise auch noch ein neues Publikum, das man bei anderen Postrockern wie Mogwai oder This Will Destroy You sicher nicht antreffen würde: geschichtsbewusste Cinéasten. Und der Stummfilm-Klassiker „Berlin – Die Sinfonie einer Großstadt“ gehört zweifellos zum Pflichtprogramm jedes Film-Feinschmeckers.
So gestaltet sich das Publikum im Komma auch entsprechend bunt gemischt. Erfreulicherweise haben die Veranstalter dem Film-Konzert „Berlin 1927“ nämlich noch einen einleitenden Vortrag vorgeschaltet, der dem ohnehin schon ungewöhnlichen Event noch einen zusätzlichen Kultur-Bonus verleiht. In einem locker vorgetragenen 15-Minüter referiert der Stuttgarter Historiker Frederick Bacher über den Regisseur Walter Ruttmann, seine Rolle im Dritten Reich, seine Bedeutung für die Film-Ästhetik der Moderne und seinen erstaunlichen wirtschaftlichen Erfolg. Als kleines Schmankerl hat er noch einen Ausschnitt aus Ruttmanns Werbefilm „Stuttgart, die Großstadt zwischen Wald und Reben – die Stadt des Auslanddeutschtums“ von 1935. Ein gutes Warmup und wesentlich kurzweiliger als so mancher Support Act.
Die Leinwand, auf der üblicherweise Visuals mehr oder weniger passend im Hintergrund der Band dudeln, steht heute im Mittelpunkt. Die Band hat sich diskret an die Seitenränder verdrückt und steht im Halbdunkel. Und mit dem Vorspann zum ersten Akt der Großstadt-Sinfonie legen die Belgier los. Zentral ist das feine Klavierspiel von Judith Hoorens. Es wird über den ganzen Film hinweg die zentralen Motive variieren, während Steven Van Isterdael an der Gitarre Melodieläufe dagegen setzt und die Rhythmusgruppe – Mathieu Waterkeyn an den Drums und Colin Delloye am Bass – den Rhythmus des Films aufnehmen oder auch mal kontrastieren. Vom dezenten Hintergrund bis hin zu massiven Soundwänden reicht das Spektrum.
Der Film, der einen Tagesablauf der Großstadt Berlin in Form einer gigantischen Collage präsentiert, ist geradezu ideal für eine Postrock-Vertonung. Er ist – auch für heutige Sehgewohnheiten – sehr schnell und rhythmisch geschnitten. Repetitive Elemente wie Industriemaschinen wechseln mit schnellen Bewegungen und optischen Akzenten. Die visuelle Wucht wird durch die kraftvolle, manchmal fast hypnotische musikalische Begleitung noch verstärkt und zieht derart in den Bann, dass – zumindest empfinde ich das so – die Band komplett in den Hintergrund tritt.
Zwischen den ersten Akten kommt leichter Protest aus dem Publikum, die Musik sei zu laut, angesichts des hervorragenden Sounds stört mich dies allerdings überhaupt nicht. Die fünf Akte vergehen im Nu, der akustisch-visuelle Impact ist überwältigend. Seit Koyaanisqatsi mit der Musik von Philip Glass habe ich kein ähnliches Kino-Erlebnis mehr gehabt. Vielleicht ist es ja genau das, wofür das Genre Postrock erfunden wurde.
Trotzdem frage ich mich, was bewegt eine Band, sich für die Präsentation eines Films so derart zurückzunehmen? Der permanente Zwang, sekundengenau auf die Bilder zu achten, keinerlei Freiheiten zu haben und letztlich immer das Ziel zu haben, zugunsten des Filmes unsichtbar zu werden, ist so anders, als alles, was man aus der Rockmusik kennt. We Stood Like Kings scheinen aber genau hierin ihre Berufung gefunden zu haben, denn schon längst sind sie mit ihrem nächsten Projekt „USSR 1926“, der Vertonung des russischen Stummfilm-Klassikers „Ein Sechstel der Erde“ von Dziga Vertov erfolgreich auf Tour. Kann man nur hoffen, dass das Komma, dem man für ungewöhnliche Events dieser Art unbedingt danken muss, auch dieses Film-Konzert nach Esslingen bekommt.
(Kon)Geniale Bilder, Meister Haußmann!