JOEL SARAKULA, 08.11.2015, Wohnzimmerkonzert, Stuttgart

JOEL SARAKULA, 08.11.2015, Wohnzimmerkonzert, Stuttgart

Foto: X-tof Hoyer

Wohnzimmerkonzerte gehören bekanntlich zu den schönsten „Gigblog-Jobs“, selbst eines zu veranstalten ist aber nochmal eine ganz andere Geschichte. Ums vorweg zu nehmen: fast eine noch schönere. Zumindest, wenn sie so angenehm und erfolgreich abläuft, wie kürzlich mit Joel Sarakula, dem Londoner Retro-Pop-Bohemien mit australischen Wurzeln. Heben wir also mal ausnahmsweise die Trennung von Veranstalter und Berichterstatter auf und erlauben uns einen Blick hinter die Kulissen.

JOEL SARAKULA, 08.11.2015, Wohnzimmerkonzert, Stuttgart

Foto: X-tof Hoyer

Durch die vielen Wohnzimmer-Gigs ist Stuttgart inzwischen eine relevante Adresse für viele Künstler und einige Booker geworden. In diesem Fall lernten sich Joel Sarakula und Hymn for Her auf dem Blues & Jazz-Festival in Bamberg kennen. Lucy und Wayne, die bereits zwei Mal im InDieWohnzimmer gespielt haben, empfahlen ihrem neuen Freund Joel die Stuttgarter Wohnzimmeradresse. Joel, der das Stuttgarter Publikum von seinem begeisternden Galao-Gig in bester Erinnerung hatte, fragte prompt an. Leider war terminlich nichts zu machen und so landete die Anfrage irgendwie bei mir. Spontane Reaktion: Klar, das mache ich! Joel wurde eingeladen und er sagte auch sofort zu. Große Freude, doch dann der bange Gedanke: Wo nehme ich eigentlich ein geeignetes Wohnzimmer her? Das eigene ist viel zu klein. Einen Facebook-Post und zwei Stunden später habe ich vier Angebote auf dem Tisch. Kumpel Jörg ist der schnellste und postet binnen Minuten ein lapidares „Y Not?“. Keine Frage: das ist der richtige Mann dafür.

Kurze Nachhilfe-Stunde bei Claudia und Christine, die schon viele Wohnzimmer-Gigs gewuppt haben. Der Job klingt bewältigbar: Künstler unterbringen und verköstigen, Leute einladen, Soundanlage organisieren, Essen und Getränke bereitstellen. Nicht viel anders als eine normale Party, aber eben mit echter Musik.

Der Tag beginnt am Hauptbahnhof: schon irgendwie cool, wenn dann am Bahnsteig das bekannte Gesicht auftaucht. Der Künstler, den man bisher nur aus Videos, von Fotos und von der Bühne kannte. Mit erstaunlich wenig Gepäck: ein Bordcase und ein kleines Keyboard auf dem Rücken. Meine besorgte Frage (gleich nach der Begrüßung), ob er denn ausreichend Merch dabei hätte, wird mit einem lockeren Fingerzeig auf das Köfferchen beantwortet.

Jörg hat sein geräumiges Wohnzimmer bereits hergerichtet. Mit 60 Gästen rechnen wir, auf dem schmalen Grat zwischen „Oh Gott, hoffentlich kommen genug“ und „Oh nein, die kriegen wir nie alle unter“ wandeln wir bereits seit Tagen. Es ist noch früh am Nachmittag, wir nutzen den warmen Sommertag, um mit Joel einen Nachmittags-Spaziergang auf die Karlshöhe zu machen, über Gott und die Welt zu plaudern und einen Kaffee im Galao zu trinken.

Der Aufbau gestaltet sich extrem unstressig. Die von befreundeten Musikern geliehene Anlage sieht unspektakulär aus, reicht aber locker, um den ganzen Raum (und die gesamte Nachbarschaft) zu beschallen. Ein Keyboard-Stativ wird per Zuruf quer über den Hinterhof vom Nachbarn ausgeliehen. Die spontane Idee „Have you got an acoustic guitar?“ wird mit einem Anruf zuhause erledigt, wo noch in irgendeinem Kinderzimmer eine solche verstaubt. Und plötzlich meint Joel, eigentlich wolle er ja auch Tanzmusik spielen. Wo könne er denn ein paar Beats herbekommen? Nun ja, einen Download und ein paar Klicks später hat er auf seinem Tablet ein paar einfache Beats zusammengefrickelt. Jörg zaubert so lang ein paar „Tagliatelle ai funghi porcini“ und wir sind bereit für den Abend.

JOEL SARAKULA, 08.11.2015, Wohnzimmerkonzert, Stuttgart

Foto: X-tof Hoyer

Punkt sieben kommen die Gäste hereingeschneit. Die erfahrenen Wohnzimmerkonzert-Besucher begutachten mit viel „oh“ und „ah“ die neue Location. Gut fünfzig Leute haben sich dann schließlich versammelt und der Gig kann beginnen. Anlass für Joels Tour ist die Veröffentlichung seines neuen Albums „The Imposter“ und so ist es klar, dass er das Set mit dessen Opener „You Can’t Catch Me“ eröffnet. Natürlich ist das solo am Klavier etwas ganz anderes als die opulent produzierte Studioversion, aber es funktioniert trotzdem wunderbar. Seinen Retro-Pop mit deutlichen Soul-Anleihen spielt er entsprechend rhythmisch, notfalls wird mit beherzten Tritten auf den Dielen-Boden nachgeholfen.

JOEL SARAKULA, 08.11.2015, Wohnzimmerkonzert, Stuttgart

Foto: X-tof Hoyer

Er ist ein mit allen Wassern gewaschener Entertainer. Aus dem minimalen Setup holt er alles heraus. Da bekommen die Mutigen unter den Zuschauern den Schellenring zur Begleitung gereicht. Zwei Titel, darunter das wunderbare „Happy alone“ spielt er an der Gitarre ohne Verstärkung und Mikro mitten im Publikum und gegen Ende packt er seine Hits aus, mit denen er den Laden dann auch tatsächlich zum Tanzen bringt: „Northern Soul“, „I Will Deliver“. Und mit einer schrägen Coverversion von „Pump Up The Jam“ und einer komplett tanzenden und mitsingenden Runde endet das Set.

Und natürlich war das Köfferchen zu klein für das begeisterte Publikum. Die Vinyl-Ausgaben seines ersten Albums „The Golden Age“ sind binnen Minuten ausverkauft und auch die CDs gehen stapelweise weg. Band, Publikum und Gastgeber sind hochzufrieden. Wer weiß, vielleicht gibt’s ja mal wieder einen Gig an dieser wunderbaren Location. Oder auch sonstwo. Angebote gab’s ja einige. Und eine Musikeranfrage liegt auch schon vor…

JOEL SARAKULA, 08.11.2015, Wohnzimmerkonzert, Stuttgart

Foto: X-tof Hoyer

Ein Gedanke zu „JOEL SARAKULA, 08.11.2015, Wohnzimmerkonzert, Stuttgart

  • 18. November 2015 um 13:57 Uhr
    Permalink

    Hej Christoph, da hast Du Dir unnötig Sorgen wegen der Beleuchtung gemacht, die Fotos sind total schön geworden!!

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