SEA + AIR, 04.11.2015, Im Wizemann, Stuttgart
Den großen politischen Kontext lassen wir heute mal weg. Die Geschichte von SEA + AIR, dem deutsch-griechischen Ehepaar, das beweist, dass es zwischen Deutschland und Griechenland ja doch irgendwie klappen kann. Was für ein Blödsinn. Wurde aber diesen Sommer wirklich durch alle Gazetten und Feuilletons getrieben. Anlass für das Presse-Echo: die Veröffentlichung des aktuellen Albums „Evropi“. Ok, der Titel ist natürlich eine Steilvorlage für den Journalisten, aber Merkel und Tsipras wollen mir bei der Musik von Daniel Benjamin und Eleni Zafiriadou partout nicht einfallen.
Das Album allerdings hat sich bei mir, mehr noch als sein Vorgänger „My Heart’s Sick Chord“, extrem festgesetzt und ich bin zuallererst gespannt, wie die zwei das live über die Bühne bringen. Die letzten Male nämlich, dass ich SEA + AIR gesehen habe, waren auf dem verkorksten Freikonzert auf dem Pariser Platz, und vor dem Fenster des hoffnungslos überlaufenen Galao. Und das gilt beides nicht.
Der Abend beginnt mit Duke Special. Mit meterlangen Dreadlocks, schwarz-samtenem Dandy-Sacco und zuerst mal eine etwas irritierende Gestalt. Solo am Klavier spielt der aus Belfast stammende Musiker tapfer gegen den Lärm im Raum an, der leider dadurch verursacht wird, dass sich vor der neu geschaffenen Bar-Box am hinteren Ende des Saals eine imposante Schlange schwätzender Getränke-Käufer bildet.
Mit seinem akzentuierten Klavierspiel hat er aber nach wenigen Songs die Aufmerksamkeit des Publikums und schon bei „Diggin‘ An Early Grave“ bringt er den Saal zum Mitsingen. Mit „Applejack“ und einem herrlich schrägen „Alabama Song“ packt er zwei begeisternde Weill-Klassiker aus. Und ein A-Capella-Titel inmitten des Publikums beendet ein tolles Support-Set. Ein Künstler, den ich gerne mal mit einem großen Programm sehen würde. Zum Abschied witzelt er noch: auch wenn wir ja alle nur wegen ihm gekommen seien, sollten wir jetzt trotzdem der Band SEA + AIR einen freundlichen Empfang bereiten. Die seien auch ganz gut.
Der Saal hat sich inzwischen mit gut 300 Zuschauern gefüllt, ist aber leider weit davon entfernt, ausverkauft zu sein. Schade eigentlich, beim ersten von 26 Konzerten der anstehenden Tour, zudem einem Heimspiel, hätte ich mehr erwartet. Mit Wind- und Meeresgeräuschen wird der Auftritt eingeleitet, dann betreten Eleni und Daniel die Bühne, entzünden fünf Kerzen, verbeugen sich voreinander und vor dem Publikum, und nehmen ihre Plätze inmitten einer Unmenge von Instrumenten ein. „Wir sind SEA + AIR aus Europa“ und der Gig beginnt mit dem Sirenen-Gesang von „We All Have To Leave Someday“, dem Opener des aktuellen Albums.
Sie hätten sich dieses Mal ein Stehpublikum gewünscht, meint Daniel, schließlich gäbe es ja etwas zu tanzen. Wenn wir denn nicht zu verklemmt seien, wie er in seiner schnoddrigen Art hinterher schickt. Und tatsächlich, Titel wie „Follow Me Me Me“ gehen mächtig zur Sache, live noch eine ganze Ecke druckvoller als von der Platte. Und es ist beeindruckend, wieviele Instrumente jeder der beiden gleichzeitig spielt, um diesen dichten Sound zu produzieren. „Wir geben uns Mühe, wie fünf zu klingen, dann tut ihr mal so, als ob ihr ein dreißigtäußiges Publikum wärt“ spornt Daniel das Publikum an.
Seit 25 Jahren würden sie versuchen, einen Hit zu schreiben, übertreibt er und kündigt damit „Should I Care“ an. Ein wahrlich wunderschönes Stück Kammerpop mit hinreißendem Harmoniegesang und griffigem Refrain. Und mit Hit-Potential. Der Fotografen-Kollege stört sich ein wenig an den langen Umbau- und Stimmpausen, ich find’s nicht so schlimm, zumal Daniel Benjamin in seiner sympathischen Mischung aus Schüchternheit, Humor und Frechheit immer wieder lustige Ansagen einstreut.
Der Abend vergeht wie im Flug, das Publikum ist mächtig begeistert und mir wird klar, dass SEA + AIR auf ihren beiden Alben eine ganze Menge „Hits“ versammelt haben und nicht umsonst einen exzellenten Ruf als Live-Band genießen. Den Werbeblock für den Merchandise bringen die beiden dann – noch so eine Schrulle – als Gedicht mit der Schlusszeile:
Wenn der Tag gegen Abend sich neigt,
dann geht auf Facebook und liket.
Das Set endet mit „The Heart of the Rainbow“ und einer skurrilen Vollplayback-Version von „We Understand You“. Keine Frage: wir haben hier eine Band gesehen, die einen komplett eigenständigen Sound hat, mit dem Signing bei Glitterhouse in der Profi-Liga angekommen ist, und bei der ich keinen Zweifel habe, dass es weiterhin steil nach oben geht. Und wenn sie sich ihre kleinen Macken und Kauzigkeiten und vor allem den schrägen Humor bewahren, dann kann SEA + AIR zu einer richtigen Marke werden.