MARK LANEGAN, 18.08.2015, Universum, Stuttgart

MARK LANEGAN, 18.08.2015, Universum, Stuttgart

Foto: Michael Haußmann

Draußen ist Krieg. Überall. Alle gegen Alle. Die Unzufriedenen gegen die Frustrierten und irgendjemand muss bluten, weil hier schließlich immer jemand an allem Schuld sein muss. Man wehrt sich ja nur – und der Mob, das sind immer die anderen. MARK LANEGAN und Band schenken am Dienstagabend ungefähr 400 Leuten wenigstens ein bisschen Frieden. Zumindest für 80 Minuten. Und ausgerechnet: Lanegan. Der Mann, der ständig über Schuld und Sühne, den Dreck, die Liebe und die Vergebung singt.

Viele Lieder werden besser durch Mark Lanegan, manchmal würde es fast reichen, wenn er neben der Stereoanlage rumsteht. So wie bei DUKE GARWOOD. Lanegan lehnt im Gang neben der Bühne, guckt seitlich durch den Bühnenvorhang, nickt eifrig und betet förmlich die desillusionierten Texte des britischen Musikers runter. Nur ein Idiot würde jetzt einen von beiden dabei stören – ob Garwood auf der Bühne, oder Lanegan daneben. Gemeinsam haben beide 2013 die etwas verstörende Platte „Black Pudding“ aufgenommen. Heute steht Garwood alleine auf der Bühne – sein zerfahrener Blues wirkt da fast noch beängstigender. Hässliche und dreckige Töne verirren sich im Raum, manche kommen zurück, manche nicht. Und viele werden leider vom Publikum totgequatscht. Man sieht sich ja so selten – komm‘ lass schnacken.

Frederic Lyenn Jacques, der sich auf der Bühne praktischerweise lediglich LYENN nennt, erging es vorher nicht besser. Der Belgier füllte alleine mit Gitarre und seiner klaren Stimme jeden Fleck im Club aus. Leider wird sich immer jemanden finden, den das gar nicht beeindruckt und lieber vom Bumsen, dem Kackchef oder dem vergangenen Wochenende erzählt.

Keine Ahnung, was Lyenn bei „Seeds & Semen“ erzählt, aber wenn das nächste Mal Weltuntergang ist, möge er bitte dieses zerbrechliche Lied zwischen Jeff Buckley und Rasierklinge noch mal spielen. „Enjoy the rest of your evening“, sagt der hagere Belgier und es klingt wie eine Drohung. Bockstark.

Apropos Weltuntergang: Mark Lanegan soll da bitte auch singen. Ich befürchte, er wäre sogar ganz gut gerüstet für solche Festivitäten. Er ist mittlerweile 50 Jahre alt und das sind mindestens 26 Jahre mehr als viele ihm zugetraut hatten. Schnaps und das andere Zeug machten den Sänger mit dem samtweichen Brumm-Bariton mehrere Jahrzehnte lang zu einem aussichtsreichen Kandidaten auf den Job als Rock’n’Roll-Toter. Doch Lanegan hat sich selbst überlebt.

MARK LANEGAN, 18.08.2015, Universum, Stuttgart

Foto: Michael Haußmann

Black is my color, black is my name

singt er ins ausverkaufte Universum hinein. Das ist natürlich Quatsch, denn jeder hier weiß, wie der Mann mit der tiefen Stimme wirklich heißt. Doch man hofft, dass auch viele seiner anderen Zeilen wenigstens ein kleines bisschen übertrieben sind. Der Mann ist das Gegenteil der guten Geschichte, von der man hofft, dass sie wahr ist.

I’m Babylon burned inside out, Nothing to kill it, I hit the city

singt Lanegan in „Hit The City“. Eine Hand am Mikrofon, die andere am Mikroständer wiegt er sich mit jeder Sekunde tiefer hinein in seine spröde Musik – und eben dieses Lied über einen, der in der Stadt gegen das Betäubungsmittelgesetz verstoßen wird. Nicht weil er will, sondern weil er muss. Doch wahrscheinlich macht genau das seinen Charme aus. Der 50-Jährige erzählt nie die larmoyanten Geschichten des Geläuterten, sondern nur die Geschichte.

MARK LANEGAN, 18.08.2015, Universum, Stuttgart

Foto: Michael Haußmann

Der Mann ist eine Naturgewalt. Und diese Aura von Unheil, Dunkelheit und einer schlecht beleuchteten Gasse im miesen Teil der Stadt – sensationell. Von der Stimme und dem Rest fangen wir gar nicht erst an.

Das alles ist so gut, dass tatsächlich alles andere egal wird. Veganer, Fleischesser, Nazis, Hotpants, Fahrradfahrer, besorgte Bürger, Burger, Griechenland, die Ironischen, die Dummen, die Anderen und überhaupt. Drauf geschissen, wie damals der Labbadia. Da vorne singt Mark Lanegan, die Band spielt und wenn sich jeder im Raum etwas verdient hat, dann genau das: etwas Frieden in Musik. Und sei es auch nur für diesen Abend – draußen vor der Tür wartet später wieder genug Krieg für alle.

I Am The Wolf Without A Pack

brummt Lanegan, während immer wieder jemand im Raum hysterisch kreischt. Eine andere Frau quietscht und einer schreit „Yeah!“, als wäre James Heftield von Metallica im Raum. Szenenapplaus und ein bisschen Extase. Aber wäre uns hier ein Flugzeug auf den Kopf gefallen, Lanegan hätte das wahrscheinlich gar nicht mitbekommen. Noch immer wiegt er sich am Mikroständer immer tiefer in seine Musik und wirkt trotz seiner bulligen Statur, als wäre er selbst gar nicht anwesend. Seine Band hält ihm den Rücken frei.

MARK LANEGAN, 18.08.2015, Universum, Stuttgart

Foto: Michael Haußmann

Einmal rutscht ihm die dicke Brille so tief von der Nase, dass sie fast herunterfällt. Im letzten Moment merkt er’s und schiebt er sie lässig mit dem Daumen wieder hoch. Das können nur die echten Profis. Egal wäre es aber trotzdem gewesen: wer die Augen geschlossen hält, braucht keine Brille. Höchstens einen Exorzisten, wenn’s halt mal ganz dumm läuft. Bei Lanegan läuft’s, er singt sich immer tiefer.

Und dann zeigt Lanegan, dass er weit mehr als einer der besten Sänger unserer Zeit ist. Er kann Lieder schreiben. Auf „Phantom Radio“, seiner aktuellen und oftmals auch etwas seltsamen Platte plätschern viele Stücke etwas blutarm daher – also, falls man blutarm überhaupt plätschern kann. Doch live sind die meisten Stücke davon ein Brett. „No Bells On Sunday“ zum Beispiel. Aber als die Mark Lanegan Band „Death Trip To Tulsa“ vom Gothkitsch befreit und dem Song stattdessen Rock’n’Roll einhaucht, geht die Sonne endgültig auf.

Und nicht diese FlipFlop-Hotpants-Sonne, sondern die andere. Die im Herzen, in der Seele oder wie das Ding auch immer heißen mag, das einem auch das theoretisch schönste Leben versauen kann. „Methamphetamine Blues“ und „Gravedigger’s Song“ sind ebenfalls von fast brachialer Gewalt. Besser als sie je auf Platte klangen. So sehr nach vorne, dass nur ein Trottel nach hinten schauen würde.

MARK LANEGAN, 18.08.2015, Universum, Stuttgart

Foto: Michael Haußmann

Noch einmal winken und dann bereitet die Mark Lanegan Band jeden einzelnen im Raum mit „Killing Season“ wieder auf die Welt da draußen vor. Dort hat jeder Spaß ein Ende, außer dem der Anderen. Dann gibt’s wieder Krieg, Hass, Angst, Wetter, Titten – so wie im Fernsehen und bei Facebook.

Neulich beim Interview fragte ich Mark Lanegan ganz doof:
„Was ist eigentlich das Beste daran, Mark Lanegan zu sein?“
Er sagte: „Morgens aufstehen.“ Dann überlegte er kurz: „Frag‘ mich jetzt bloß nicht was das Schlechteste ist. Ich weiß es nicht. Falls da etwas sein sollte, habe ich das zum Glück gerade vergessen.“

Möge er das bitte noch sehr oft tun. Morgens aufstehen.

Mark Lanegan Band

Ein Gedanke zu „MARK LANEGAN, 18.08.2015, Universum, Stuttgart

  • 31. August 2015 um 18:19 Uhr
    Permalink

    Wunderschöne Rezension, ganz dickes Kompliment von einem Fan der schon zu viele saudämliche gelesen hat.

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