ROSANNE CASH, 24.07.2015, Burg, Esslingen

ROSANNE CASH, 24.07.2015, Burg, Esslingen

Foto: Michael Haußmann

In ihrer amerikanischen Heimat ist Rosanne Cash seit den 1980ern ein Megastar des Mainstream-Countrys. In Europa wiederum vor allem als Tochter Johnny Cashs wahrgenommen ist die 60-Jährige, wenngleich namentlich vertraut, kaum bekannt für ihr eigenes Schaffen. Zuletzt sorgte die Kontroverse um Plagiatsvorwürfe Cashs an Helene Fischer, deren “Atemlos durch die Nacht” sich offensichtlich dreist an “Land of Dreams” (geschrieben von Cash und Ehemann John Leventhal) bedient, für zunehmende Aufmerksamkeit für ihr musikalisches Schaffen.

Dass sie nun bei ihrem einzigen Deutschlandkonzert in diesem Jahr vor der pittoresken Kulisse der Esslinger Burg Open Air auf diesen Song verzichtet, ist nachvollziehbar, möchte man doch keinesfalls Atemlos-Chöre hören und schlafende Schlagerhunde wecken.

Rosanne Cash

Foto: Michael Haußmann

Im Gegenteil: Mit John Leventhal spielt Rosanne Cash ein entspanntes reduziertes Country-Konzert, das zeitweilig klar gen klassisches Singer-Songwritertum pendelt; was vor allem begünstigt wird durch das fantastische, fast bluesige Gitarrenspiel Leventhals. Im Mittelpunkt stehen Stücke ihres aktuellen Albums The River and the Thread und den Songs ihres Coveralbums The List. Aus den Stücken ihrer aktuellen Platte, die mit gehörigem Pathos um ihre eigene Familiensaga und die Geschichte der Südstaaten kreisen, entsteht mit Liedern, die ihr ihr Vater als 18-Jähriger auf einer Liste der 100 Essential Country Songs nannte, ein mitunter großartige Mischung, die in den wirklich guten Momenten ohne Kitsch Traditionen beschwören kann, in anderen aber dann doch eher nach typischen US-Mainstream-Country klingt.

…and I ended up in Memphis, Tennessee singt Cash dann gleich im ersten Stück Modern Blue. Das gesetzte Publikum, das bereits bei Harald Schmidts einstigen Gagschreiber Roland Baisch, der mit seiner Begleitkombo Die Countryboys als Vorband auftritt und recht authentisch Standards covert, anerkennend mit dem Kopf nickte, zeigt erste Anzeichen von Begeisterung und – und das sollte wirklich hervorgehoben werden – hört tatsächlich aufmerksam zu. Eine andächtige Stille, die auch die Cash nicht unbeeindruckt lässt:

You’re not only a festival audience, you are a listening audience.
Thank you so much.

The Sunken Lands folgt und es wird deutlich, wie wichtig es der Sängerin ist, die berühmte Geschichte ihrer Familie musikalisch zu bearbeiten. Der Song erzählt von der Ansiedlung ihrer Familie in Arkansas. Überhaupt ist ihr der Stolz auf das Schaffen ihres Vaters immer anzumerken. Auf der Bühne steht eine ältere Frau mit rot gefärbten Haaren im dunkelgrünen, opulenten Blazer, die ganz offensichtlich ihren Frieden gemacht hat mit der Last, Tochter eines Weltstars zu sein.

Rosanne Cash

Foto: Michael Haußmann

Viel mehr lässt sich ihr Vorgehen als gekonnte Nachlassverwaltung begreifen. Die Art, wie sie die Songs von The List, ihrem eigenen Great American Songbook, ansagt und spielt, ist ein würdevoller Tribut an ihren Vater. Mitunter gelingt das exzellent wie bei I’m Movin’ On von Hank Snow oder Sea of Heartbreak, ein klassisches Duett, das sie für das Album mit Bruce Springsteen aufnahm. Die Erwähnung seines Namen sorgt für Zwischenapplaus. Oh, you know him? He couldn’t make it tonight. Stattdessen singt Ehemann Leventhal die Parts der Rockikone und das weitaus höher als dieser es je könnte.

The other boss. Bruce never could have sung it like that.

Gelächter und Klatschen im Publikum sind die Folge, dann gibt es den großen und traurigen Standard Ode to Billie Joe vor John Hiatts kitschigem The Way We Make a Broken Heart.

Bob Dylans Girl From the North Country, das ihr Vater für Nashville Skyline einst mit diesem erneut aufnahm, ist ein echtes Highlight vor dem großen Crowdpleaser: Johnny Cashs Tennessee Flat Top Box. Stehende Ovationen sind die naheliegende Folge. Die Güte der meisten Stücke von The List und die fantastische, von John Leventhals brillantem Spiel getriebene Darbietung, machen am Ende auch Schwächen wie das Südstaaten-Identität stiftende The Long Way Home wett. Wäre da nicht das schon beinahe peinlich-schmalzige Heartaches By Number als letzte Zugabe. Brav applaudiere ich trotzdem. Die Reise durchs Mississippi Delta und Baumwollfelder, durch Jahrzehnte amerikanischer Volksmusik war schließlich phasenweise wirklich spannend.

60 ist Cash jetzt und senkt damit das Durchschnittsalter der Protagonisten meiner Konzerte an den vorherigen Tagen mit Patti Smith (68), Procol Harums Gary Brooker (70) und Ian Anderson (67). Was die Reihenfolge über den Musikgeschmack eines 23-Jährigen aussagt, der immer ein Mod sein wollte, sei dahin gestellt.

Während im Hintergrund Gewitterwolken aufziehen, fährt mich unser Fotograf netterweise nach Stuttgart vor die Tür der Rakete. Auf der Bühne steht gleich Der Englische Garten. Die Münchner drücken den Altersdurchschnitt meiner Konzertwoche wieder, sind stilvoll und gehen als Mod durch – und ich muss zugeben, hier fühle ich mich musikalisch doch weitaus eher zuhause als im Country.

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