JETHRO TULL’S IAN ANDERSON, PROCOL HARUM, 23.07.2015, Zeltspektakel, Winterbach
Rhythmisches Klatschen zu Johann Sebastian Bach: Procol Harum sorgen mit „A White Shade of Pale“ für die erwartete große Schunkeldisco mit Bach-Melodie, während Ian Anderson Bach in eine Prog-Rock-Interpretation von „Bourée“ gießt, was prompt klatschenden Armen Freiraum verleiht. Vielsagende Momente, die die Probleme der Classic Rock Night beim Winterbacher Zeltspektakel leicht verständlich machen.
Die Prog-Rock-Veteranen zeigen nämlich spielerische Virtuosität und große Animationsgesten, was bei beiden 90-minütigen Konzerten für ausgelassene Stimmung sorgt. Doch bleibt ein fahler Beigeschmack. Denn der Jethro-Tull-Frontmann auf Solopfaden, Ian Anderson, und die Bombast-Pop-Urgesteine Procol Harum bedienen mit routinierten Shows nostalgisch verklärte Wohlfühlsehnsüchte an Zeiten, in denen Musik noch richtig gut gewesen sei, wie man allenthalben in Gesprächsfetzen der Zuschauer aufschnappt. Dass hier eine reine Nummernrevue erwartet wird, ist zu erkennen. Daran, dass man genau das auch bekommt, lassen dann auch weder Gary Brookers derzeitiger Procol-Harum-Aufguss noch Ian Andersons Show Zweifel aufkommen.
Nach der vollmundigen Ansage eines SWR1-Moderators, man würde nur die besten Konzerte des Zeltspektakels präsentieren, betritt der 70-jährige Gary Brooker mit seinen Mitmusikern die Bühne: Ein getragenes Intro zwischen Prog-Rock und Psychedelic-Pop gibt es als standesgemäße Eröffnung, bevor „Kaleidoscope“ vom 1967er Debütalbum angenehm groovend daherkommt. „Homburg“, die einstige Nachfolgesingle des Welthits „A Whiter Shade of Pale“ lässt Zuschauer erstmals mit glasigen Augen in Erinnerungen schwelgen und für einen Augenblick kann man sich vorstellen, wie beeindruckend jener Bombast-Pop vor gut einem halben Jahrhundert gewesen sein muss. Ein Eindruck, der sich mit zunehmender Konzertdauer jedoch verflüchtigt.
Obschon Brooker mit von weißen Haaren umschlossener Halbglatze im hellen Jackett auch mit 70 eine adrette Erscheinung ist, ist die Performance eine Spur zu weltmännisch. Viel zu oft wird betont, dass Brooker nun schon „for over 50 years in business“ ist, zu häufig lässt sich sein Gitarrist zu klischeebeladenen Posen herab, die den altbackenen Charakter vieler Songs nur einmal mehr betonen.
„A Salty Dog“ wird natürlich nichtsdestoweniger berechtigterweise gefeiert und als Brooker vor „A Whiter Shade of Pale“ kurz „When A Man Loves A Woman“ und „No Woman No Cry“ anspielt, nur um zu zeigen, wie beliebt jene Bach-Akkorde in der Pophistorie sind, ist das durchaus charmant. Die, wie es so oft heißt, als Entjungferungsklassiker in die Geschichte eingegangene Hymne mit Lyrics zwischen englischer Literaturtradition und eindeutiger Drogenmetaphorik, ist schließlich der ekstatische Höhepunkt eines unspektakulären Konzerts einer Band, die seit Jahrzehnten auf eben diesen 30-Millionen-Seller(!) reduziert wird.
Man möchte noch mindestens zwanzig Jahre weitermachen, erklärt Brooker feixend, wohl wissend, dass 12 Jahre nach dem letzten Studioalbum zumindest keine Innovationen mehr von ihm erwartet werden können.
Auch Ian Anderson ist mit 67 Jahren ein Veteran. Jethro Tull kamen zu Beginn ihrer Karriere Ende der 1960er mit durchaus gekonnten Bluesrock mit Querflöte daher, der sich – passend zum prägenden Instrument der Gruppe – immer mehr Richtung Prog-Rock verschob. Anderson, der seine Hauptband vor ein paar Jahren beerdigte, tourt jetzt mit dem umsatzfördernden Zusatz „Jetro Tull’s“ und spielt das, was man wohl einen Querschnitt durch sein mehrere Dekaden umfassendes Schaffen nennt.
Wie vor Jahrzehnten wirbelt Anderson über die Bühne, spielt auf einem Bein stehend Querflöte, gibt den Rattenfänger und wispert mehr, als er singt. Das war so zu erwarten und wird entsprechend gefeiert.
Obschon Jethro Tull einst die Ironie in den ultraernsten Prog-Rock à la Yes und Co einführten, klingen Stücke des gefeierten Satire-Konzeptalbums „Thick as a Brick“ 2015 äußerst angestaubt. Obendrein werden ausschweifende Soli an allen Instrumenten zelebriert und eine Menge bedeutungsschwere Anekdoten aus dem Rockgeschichtsbuch erzählt.
Große Hits wie „Aqualung“ und „Locomotive Breath“ gibt es natürlich auch zu hören. Doch bleibt am Ende zu konstatieren, dass zwischen Prog- und Artrock, klassisch-englischen Folk, Hard-Rock-Anleihen und einem Bach-Stück auch bei Ian Anderson die Nostalgie (neuen Stücken zum Trotz) im Vordergrund steht, was bei den Zuschauern wohl sogar darüber hinwegtäuscht, dass nur ausgesprochen wenig davon gut gealtert ist.
Ach ja, das Altern von Jugendhelden. Ich schätze die Alben von Jethro Tull durchaus immer noch, aber es ist wahr, dass die Konzerte schon lange – sehr lange – ein hohles Gefühl zurücklassen. Den Auftritt von Ian Anderson habe ich daher guten Gewissens ausgelassen. Lieber lege ich zuhause eine alte Platte auf.
Messerscharf serziert. Guter Text!