PHONO POP FESTIVAL, Tag 1, 10.07.2015, Altwerk Opel, Rüsselsheim

PHONO POP FESTIVAL, Tag 1, 10.07.2015, Rüsselsheim

Foto: Michael Haußmann

Jetzt verschlägt es ausgerechnet mich doch noch auf ein zweitägiges Festival, wie das? Nun ja, da wäre zum Ersten das sehr gute musikalische Programm mit den Headlinern Erlend Øye und Temples, sowie einer Menge interessanter, junger Musikkünstler, die ich noch nie gesehen habe. Zum Zweiten hat man schon so viel Gutes von der Atmosphäre, der Entspanntheit dieser Veranstaltung gehört, das so gar nicht nach Trichtersaufen und aufblasbaren Puppen klang. Leider wird die zehnte Ausgabe des Phono Pop auch die Letzte sein, womit unser Besuch wohl einmalig bleiben wird.

Einmal im Leben in Rüsselsheim gewesen sein, diesen life goal können wir erfreulicherweise gleich mit abhaken. Einflugschneise zum Frankfurter Flughafen, eine vorbildlich typische Fußgängerzone deutscher Mittelzentren ohne groß störende historische Gebäude, und natürlich das alles dominierende Opel-Werk. Opel, nicht so eine elende Strebermarke und ein Gewinnertyp wie VW, Mercedes oder BMW. Ein wenig der zerstreute Verlierer, der immer schauen muss, wie er über die Runden kommt. Und damit passend zu den Künstlern des Phono Pop Festivals, die auch nicht zu den strahlenden Millionären im weltweiten Musikgeschäft gehören. Und auch das Phono Pop selbst ist im Vergleich zu den großen Festivals eher der kleine Verlierer-Bruder, was den Massenerfolg angeht, aber mit um Welten besserem Geschmack und Stil. Der unsinnigen Vergleiche soll damit aber genug sein, denn zu sagen, dass das Phono Pop der Opel Astra unter den Festivals sei, ist natürlich auch immens großer Mumpitz.

Yesterday Shop

Foto: Michael Haußmann

Die erste Band Qlaciety verpassen wir dank Freitagnachmittag-Verkehr gleich, aber Yesterday Shop auf der kleineren Bühne, die aber ebenfalls großzügig bemessen ist, im Adamshof nicht. Ein Wetter, wie es besser nicht mehr sein kann für Open-Air, kein Gedränge, aber doch schon angenehm gefüllt, der Sound ist sehr gut. Die fünf Buben, deren Ursprünge in Reutlingen liegen, spielen leicht melancholischen Indie-Pop, der in den besten Momenten an Elbow erinnert, in den allzu gefälligen an Coldplay. Manchmal wird im Falsett gesungen, es türmen sich Gitarrenwände auf, und ein wenig Pathos gibt es ebenso. Das klingt alles sehr top professionell, musikalisch hochwertig, aber auch ein Stück erwartbar. Ist aber ehrlicherweise auch nicht ganz meine Musik.

Übrigens, das fiese Problem anderer Festivals, dass bei zwei Bühnen ausgerechnet die Auftrittszeiten der beiden Lieblingsbands sich überschneiden könnten, haben wir hier nicht. Auftritt einer Band zu Ende, man läuft die 3 Minuten rüber zur anderen Bühne ums Eck, und dann fängt dort der nächste Künstler an. In diesem Falle jetzt Other Lives auf der Mainstage.

Other Lives

Foto: Michael Haußmann

Auf dieser Bühne scheint den Künstlern die Sonne um diese Uhrzeit (es ist 19:30 Uhr) noch schön ins Gesicht. Die Band wartet teilweise mit Geigen und Trompete auf, die dem abwechslungsreichen Melancholie-Bombast Raffinesse verleihen. Episch klingt die Musik, und um bei OL mitspielen zu dürfen, sollte man diverse Instrumente beherrschen, denn da herrscht ein reger Wechsel je nach Song. Prächtig ist das Haar des Sängers, prächtig auch die meist im getragenem Tempo gespielten Lieder. Ein Song hat fast schon was von einem sehr schönen Trauermarsch. Kollege Christian S. wird noch ausführlicher die Tage über das Konzert im Stuttgarter Universum berichten. Tolle Band!

Schrottgrenze

Foto: Michael Haußmann

Das Bühnen Ping Pong geht in die nächste Runde, Schrottgrenze sind nun im Adamshof dran. Die Gitarren sind laut und schrammelig, die Texte deutsch, das Tempo meist schnell, aber der Hang zu Melodien ist deutlich. Sind auf Platte eher Gitarren-Wave Einflüsse zu hören, klingt das hier eindeutig mehr nach Punkrock. „Nichts ist einsamer als das“, „Belladonna“ sind alles prima Lieder, aber ich stehe ja mit der Kombination von lauten Rock-Gitarren und melodischem Gesang etwas auf Kriegsfuss. Außerdem hallen die Gitarren etwas zu sehr von der engstehenden Bebauung zurück. Nicht so meins, aber andererseits ist es vollkommen ok und Markenzeiches des Festivals, verschiedene Geschmäcker zu bedienen.

Bratworscht

Foto: Michael Haußmann

Auf dem Weg zurück zur Mainstage wartet im Übrigen noch ein Eishändler auf Kundschaft, und auf dem großen Platz rund um die Hauptbühne kann man sowohl afghanische Spezialitäten als auch solide Bratworscht essen, guten Espresso und anderen Kaffe, frisch gepressten Orangensaft und natürlich auch Bier trinken. Das „naturtrübe“ findet die Zustimmung von Hopfen-Connaisseur Chris, und der ist Franke, der muss das wissen.

Mit Erlend Øye & The Rainbows wartet nun einer meiner Live-Lieblingsacts auf mich. Das Konzert letztes Jahr in München kam dem perfekten Auftritt sehr nahe. Anscheinend hat Erlend die recht frühe Auftrittszeit gewählt, um in den Sonnenuntergang hineinspielen zu können. Nachvollziehbar, schreit das letzte Album „Legao“ doch aus jeder Zeile nach Sommer.

Erlend Øye & The Rainbows

Foto: Michael Haußmann

„Fence Me In“ ist der Opener, und gibt die laid back Grundrichtung vor. Kein „unz-unz“ oder auf die Glocke hauen, sondern eleganter Pop mit Reggaezutaten, um den Sommerabend klanglich abzurunden. „Garota“, „Lies Become Part Of Who You Are“, „Save Some Loving”, allesamt unauffällige, aber grandiose Ohrenschmeichler, wie immer perfekt von seiner Band vorgetragen. Ein Skandinavier, der für Perkussion, Posaune und etwas Gesang zuständig war, fehlt diesmal babypausenbedingt leider. Dafür wartet der Querflötenspieler mit überraschend viel Klarinettenspiel auf.

Kosmopolit Erlend versucht sich derweil an charmanten, deutschen Ansagen. Wobei die gelungenste die Übersetzung von „Bad Guy Now“ ist, nämlich: „Jetzt böser Typ“. Aber italienisch darf natürlich auch nicht fehlen. „Wollen sie italienisch lernen?“, fragt er, um danach die charmante Weise „Dico Ciao“ zu spielen. Das Opel-Werk fungiert kurzerhand als italienische Piazza. Nur der rüberwehende Bratwurstgeruch stört das Bild. Den gesegneten Appetit von Bassist Luigi kennend, male ich mir die Höllenqualen aus, die der Arme gerade durchleiden muss.

Erlend Øye & The Rainbows

Foto: Michael Haußmann

„Peng Pong“ wird in Trio-Formation mit Querflöte und Gitarre vorgetragen, und um das isländische Element nicht zu kurz kommen zu lassen, darf Siggi ein eigenes Lied in dieser seltsamen Sprache singen. Schönes ruhiges Intermezzo, um in das Gran Finale überzuleiten.

„Remind Me“ von Röyksopp sowie „La Prima Estate“ sind tanzbare Hits. Bei letzterem setzten sich Publikum und Band hin, um nach dem letzten Break alle hochzuspringen. Nix für morsche Kniegelenke und Meniskuspatienten.

Nach lobenden Worten für die Veranstalter, und der Bemerkung, dass in Norwegen nach 10 Jahren so ein Event staatliche Unterstützung bekommen würde, und der Frage warum das hier nicht so sei (den vor Wut geifernden und heranrollenden Gollum Schäuble möchte man sich an dieser Stelle bitte selbst dazu denken), bekommen wir noch den Whitest Boy Alive Hit „1517“ um die Ohren gehauen. Feinster Disco-Pop mit einem Schuss 70er Soulfunk-Eleganz, bei dem die Skandivier an ihren Instrumenten ebenso noch mal ihre Fertigkeiten zeigen dürfen, wie das italienische Rhythmusduo, die sonst bei Fitness Foreverspielen, Andrea und Luigi an Schlagzeug und Bass.

Von der nächsten Band The/Das bekomme ich leider nicht ganz so viel mit. Einerseits ist etwas Stärkung nach dem bisherigen Programm nötig, andererseits noch ein Plausch mit den Erlend Øye Bandkollegen, wie denn das alles so ist mit dem Tourleben. Der Besuch an einem Badesee heute lief so ab, dass sich die Skandinavier natürlich gleich ins Wasser stürzten, während die beiden Italiener das Binnengewässer eher mit einem skeptischen Blick beäugten. Nachvollziehbar für mich.

The/Das

Foto: Michael Haußmann

Aber das, was ich von The/Das sehe, gefällt mir. Elektropop mit etwas Soul, der einen ordentlich 80er Einfluss aufweist. Der Sänger windet sich ekstatisch auf der Bühne, und die vielen laut-leise Momente lassen auf einen musikalisch interessanten Auftritt schließen. Man bräuchte noch einen Klon von sich.

Der letzte Act auf der Mainstage ist/sind Käptn Peng & Die Tentakel Von Delphi. Da Hip Hop, ebenso wie Punkrock, nicht gerade meine Art Musik ist, habe ich davon bisher nichts mitbekommen. Der Kopf des Ganzen, Robert Gwisdek, ist zudem noch Buchautor und Schauspieler.

Käptn Peng & Die Tentakel Von Delphi

Foto: Michael Haußmann

Soweit ich das überhaupt beurteilen kann, und das nicht nur anhand der Publikumsreaktion, legt die vielköpfige Band einen furiosen Auftritt hin. Die Musik klingt warm, alles andere als banal, und funktioniert als Beine und Hüfte bewegender Grooveerzeuger phänomenal. Der vor mir wie verrückt tanzende Erlend Øye sei mein Zeuge, ich lüge nicht.

Käptn Peng & Die Tentakel Von Delphi

Foto: Michael Haußmann

Von den Texten kommt aufgrund der Kombination aus Erkältung, Müdigkeit und ein wenig Bier bei mir nicht mehr allzu viel an. Schade, weil die Wortfetzen „Das Leben ist ein Rätsel. Lös es!“, „Sie beginnen sich in Füchse zu verwandeln“ und ähnliches, bestimmt helfen würden, einen Teil der Maskeraden auf der Bühne zu erklären. Aber die Begeisterung der Leute und manche Dub-Bässe wirken noch eine Weile nach dem Konzert nach.

HVOB

Foto: Michael Haußmann

HVOB aus Wien lassen den Abend, wie es sich gehört, elektronisch ausgleiten. Wien und Elektronik, da war doch mal was Ende der 90er… Das Duo um Sängerin Anna und Paul am Laptop hat sich live mit einem Schlagwerker angereichert, und bietet schöne, in die Nacht pluckernde Musik aus dem Zwischenreich Elektro und Pop. An „Lamb“ fühle ich mich etwas erinnert, aber dazu ist es dann wieder mehr Elektro als Pop. Geschmackvolles Ende eines geschmackvollen ersten Tages.

Die After Show Party lassen wir sausen. Wir sind schließlich alt, und wollen vom morgigen Tag auch noch was mitbekommen. Und wenn der zweite Tag so erfreulich wird wie der Erste, dann wollen wir davon nichts verpassen.

Atmo

Yesterday Shop

Other Lives

Schrottgrenze

Erlend Øye & The Rainbows

The/Das

Käptn Peng & Die Tentakel von Delphi

HVOB

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