GREGORY PORTER, DIANNE REEVES, 09.07.2015, Jazzopen, Schlossplatz, Stuttgart

Gregory Porter

Foto: Andreas Meinhardt

Greg, Greg, Greg…

großartig, er kommt nochmals auf die Bühne. Man ist euphorisiert, elektrisiert, gefangen und hat irgendwie noch immer nicht genug. Es fallen einem eigentlich nur Superlative ein an diesem Abend und das sogar bei einem Skeptiker gegenüber einer versnobt daherkommenden Jazzszene und dies in Kombination mit Großveranstaltungen. Aber der Reihe nach.

Es ist das übliche Ambiente. Ich glaube, ich erwähnte bei ähnlicher Gelegenheit die Sektbüdchen und den relativ hohen Grauanteil von VIP Jazz-Zuhörern, die eben einer VIP-Tribüne und dem mahnenden Gong nicht abgeneigt sind. Und deswegen bin ich auch einigermaßen zurückhaltend, auch wenn ich mich sehr über die Gelegenheit freue, Gregory Porter sehen zu können und versuche beharrsam die Vorbehalte so gut es geht abzuschütteln, als ich den komplett bestuhlten Schlossplatz sehe.

Dianne Reeves

Foto: Andreas Meinhardt

Denn das Wetter ist toll, die Sonne scheint, aber nicht zu heiß, als die legendäre Dianne Reeves in einem langen, auffälligen blau-weißen Kleid die Bühne betritt, nachdem ihre Band sich bereits mit einem Song bzw. in einer kleinen Session warm spielen konnte. Die erfolgreiche Sängerin (sehr viele Grammys, wohl bisher als einzige sogar drei nacheinander, einen für ihr letztes Album „Beautiful Life“, 2013) wirkt natürlich und herzlich, begrüßt das Publikum mit einnehmenden Gesten und Lachen und hat so in kürzester Zeit das Eis gebrochen, was bei so einer großen Veranstaltung und dadurch auch relativ großer Distanz zwischen Künstler und Publikum nicht so leicht ist.

Eigentlich ist es ein zweites Konzert und kein Vorprogramm. Dianne Reeves hat eine Stunde und fünfzehn Minuten Zeit, um sich mit einem relativ ruhigen, aber intensiven und vorwiegend blueslastigen Programm die Gunst des Publikums mit ihrer unglaublichen Stimme zu ersingen, was ihr auch tadellos gelingt. Es gibt auch eine sehr schöne Gänsehaut-Version von Bob Marleys „Waiting in vain“. Die Band bestehend aus Peter Martin (Keyboards), Romero Lubambo (Gitarre), Reginald Veal (Bass) und Teeren Gully (Schlagzeug) ist eingespielt, spielfreudig und bildet mit Frau Reeves spielerisch leicht eine traumwandlerische Einheit. Chapeau!

Gregory Porter

Foto: Andreas Meinhardt

Es dauert etwas länger als 30 Minuten bis der Umbau vollzogen ist und auch das Publikum wieder Platz genommen hat. Wie zu lesen war, tritt Gregory Porter mit dem legendären, niederländischen Metropole Orkest auf, das bereits mit Künstlern wie Joe Cocker, Shirley Bassey, den Supremes oder auch Elvis Costello und Within Temptation gearbeitet hat. Diese mehr als 50 Musiker, also eine Big Band, die um eine vollständige Streicherformation erweitert ist, beginnen mit einem beindruckenden Arrangement. Gekonnt, professionell und mit Leidenschaft improvisieren die beiden Rhythm Sections zu „Cold Duck Time“ von Eddie Harris.

Und dann kommt er, der Mann mit der Mütze! Ganz cool im typisch stylish-chicen Outfit und gut gelaunt mit einem Grinsen im Gesicht. Über die Bedeutung seiner zum Markenzeichen gewordenen Kopfbedeckung bestehend aus einem Tuch, das fast den ganzen Kopf umhüllt plus einer unübersehbaren Ballonmütze, wird immer wieder spekuliert. Doch mit dem „Jazz Hat“, wie Porter das selbst nennt, hat es wahrscheinlich gar keine besondere Bewandtnis auch wenn er damit etwas aussieht, wie der Anhänger einer religiösen Bruderschaft. Ohnehin steht eindeutig seine Stimme im Mittelpunkt – nicht der Hut.

Er beginnt mit einem ruhigen Stück „Painted on canvas“ vom 2012er Album „Be good“, das Porter mit einer goldenen Regel ankündigt: The golden rule is – treat other people like you want to be treated yourself, wofür er zustimmenden und erwartungsvollen Applaus erhält. Es folgen die ebenfalls eher ruhigeren „When did you learn“ und „Be good“ (beide ebenfalls von „Be good“). Gregory Porters mächtiger Bariton erzählt von großen Gefühlen und die dazu passenden Lichtstimmungen werden sehr gut eingesetzt, sind schon gut zu erkennen und tragen zu dieser besonderen Stimmung bei.

Gregory Porter

Foto: Andreas Meinhardt

Und da man sitzt noch mit offenem Mund, weil die Songs so perfekt für dieses umwerfend großartige Orchester arrangiert sind, als hätte es eigentlich schon immer so sein müssen, als ein, wenn nicht sogar der Höhepunkt des Konzerts von Gregory Porter angekündigt wird: Er wird nun mit der phantastischen Dianne Reeves gemeinsam ein Lied vortragen und zwar „Grandma’s hand“ aus dem Jahr 1971 von Bill Withers. Und dann schreitet Frau Reeves wieder anmutig in einem langen Kleid auf die Bühne – diesmal im auffälligen Pink! Der Applaus ist groß und diese Interpretation der beiden gemeinsam mit dem Metropole Orkest ist der Hammer! Das haut einen echt um! Für mich bislang der fetteste Bläsersatz, den ich bei einer Soulnummer jemals live um die Ohren bekommen habe – wow! Das Publikum, das ja von Beginn an begeistert bei der Sache ist, ist nun vollkommen aus dem Häuschen und das zu Recht.

You make me feel good, you make me feel at home, like in a small Jazz-club in Harlem

Herr Porter bedankt sich, genießt grinsend den Applaus und und leitet so, begleitet vom noch immer anhaltenden Applaus, über zu „On my way to Harlem“. Porter ist es längst gelungen, sein Publikum in eine Art Trance zu versetzen, in eine andere – gefühlt gute alte, bessere – Zeit, es glitzert und es pulsiert, ist lebendig und… gut! Seiner Stimme, die es locker mit einem ganzen Orchester aufnimmt und der Melange aus Soul, Gospel, Blues und Jazz kann sich wohl kaum jemand entziehen und das fühlt sich einfach großartig an. Und der nur scheinbar starre Rahmen eines Orchesters tut dem keinen Abbruch – ganz im Gegenteil!

Es folgen die Ballade „No love dying“ und das groovend-gospelige „Liquit spirit“ bei dem eifrig mitgeklatscht wird und das allerorten die Tanzbeine wippen lässt (beide Lieder stammen vom 2013er Grammy-Album „Liquit spirit“). Mit zunehmender Dunkelheit erscheint der ganze Platz mit der Schlosskulisse wie eine gigantische Bühne, komplett in Licht getauchte Fassaden und mittendrin die Bühnenmuschel, auf der sich nun nach „Musical genocide“, Porter: Everybody here is a music-lover, ein weiterer Höhepunkt ankündigt:

Willi Dixions, von Muddy Waters erstmals aufgenommenes, „Hoochie coochie man“! Eigentlich ohne Worte, aber das kann ich nicht machen bei einem Konzertbericht. Also: Eine etwas verlangsamte Orchester-Version, die deswegen keinen Deut an Intensität verliert, sondern einen vielmehr wieder mit einem dieser kongenialen Arrangements in seinen Bann zieht. Und mit einem Gregory Porter, der ja sonst eher statisch bleibt, der aber nun am Bühnenrand entlang groovt und diesen schweißtreibenden, sagenumwobenen, frivolen Blues direkt in die Körperregion befördert, wo er hin soll… Porter spricht natürlich direkt die Ladies an, die auch prompt und entsprechend ekstatisch reagieren.

Gregory Porter

Foto: Andreas Meinhardt

Als nun notwendiges Cool-down folgt „Someday we’ll all be free“ von Doony Hathaway aus dem Jahr 1973, das bereits von vielen Künstlern gecovert wurde, u.a. Sergio Mendes, Bobby Womack, Aretha Franklin oder Alicia Keys. Und allen wird klar, dass es nun leider wohl dem Ende und somit letzten Höhepunkt entgegen geht. Der letzte offizielle Song ist der „Work song“, der auf Nat Adderleys Lied aus dem Jahr 1960 zurück geht. Nochmals eine absolut intensive Interpretation mit diversen Soli, Spannungsbögen der Rhythm Sections und einem wahrlich furiosem Ende. Das wird mit einem Beifallssturm, Jubel und langanhaltenden Standing Ovations bis in die letzte Reihe der VIP-Tribüne goutiert.

Mittlerweile haben sich viele von ihren Sitzen erhoben und vor die Bühne begeben, um das Finale aus der Nähe zu sehen und auch, um endlich den Beinen, die schon längst eingeforderte Bewegungsmöglichkeit zu geben. Und ohne Zögern oder Pause kommt die Zugabe „1960“ von Porters Debütalbum „Water“ aus dem Jahr 2011, bei dem der Meister locker in Last’scher Manier mit den Fingern den Beat schnippt und das gesamte Publikum steht (nach wie vor) und groovt mit. Schließlich – nach einem Thank you so so so so so so so much, einer sehr langen und sehr tiefen Verbeugung und dem Segen Good bless you, verlässt Gregory Porter die Bühne.

Doch ganz Schluss ist noch nicht, denn der Dirigent (oder heißt das hier eher Bandleader?) kommt wieder auf die Bühne, feiert mit dem Publikum sein Orchester und schlägt ob der großen Begeisterung nun vor, dass alle in die Hocke gehen und ganz leise beginnen „Greg, Greg, Greg…“ zu rufen und das Ganze beim Aufstehen dergestalt zu steigern, dass Greg gar nicht anders kann, als nochmals auf die Bühne zu kommen. Gesagt, getan und es gibt noch eine nun wirklich allerletzte schöne und groovende Soulnummer bei der sich Gregory Porter gegen Ende winkend, fast heimlich von der Bühne trollt, um nun dem phänomenalen Metropole Orkest die Bühne für seinen Abschied zu überlassen. Die einzelnen Orchestermitglieder beginnen auf der Bläserseite mitsamt ihren Instrumenten aufzustehen und Schritt für Schritt und einer nach dem anderen und wohlgemerkt spielender Weise die Bühne zu verlassen – fast wie bei Haydns Abschiedssymphonie.

Gregory Porter

Foto: Andreas Meinhardt

Gregory Porter

Dianna Reeves

Ein Gedanke zu „GREGORY PORTER, DIANNE REEVES, 09.07.2015, Jazzopen, Schlossplatz, Stuttgart

  • 11. Juli 2015 um 17:42 Uhr
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    …..ein ganz großartiger Bericht, ich war nicht bei dem Konzert, hatte aber beim Lesen der Worte das Gefühl, inmitten dieses Konzert zu sein. Ich spüre beim Lesen direkt die Begeisterung des Autors, bei diesem Konzert mit dabei gewesen zu sein in jeder Zeile und seine Leidenschaft und Liebe für gute Musik. Klasse! Und ich möchte mehr von diesem Autor lesen.

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