BOB GELDOF, CARL VERHEYEN, 05.07.2015, Jazz Open, Mercedes-Benz-Museum, Stuttgart

Bob Geldof

Foto: Steve Sonntag

Bobby hates jazz! Ganz dem Crossover-Konzept geschuldet, gehört es bei den großen Jazz-Festivals in Kontinentaleuropa längst zum guten Ton, auch Künstler einzuladen, die dem klassischen Jazz-Fan wenig bieten können und auch selbst nicht wirklich etwas mit dem Genre anzufangen wissen. „I fucking hate Jazz“, stellt Bob Geldof, irischer Rockstar mit Messiaskomplex und ritterlichen Ehren geschmückt, im petrolfarbenen Satin-Anzug schon zu Beginn seines Auftritts im betonierten, an Amphitheater erinnernden Rund der Open-Air-Bühne am Mercedes-Benz-Museum in Bad Cannstatt klar. Er spielt im Rahmen des mittlerweile traditionsreichen Jazz Opens. „Fuck Jazz! Let’s play some Rock ’n‘ Roll!“ Dass Geldof dieser vollmundigen Ansage Taten folgen lässt, ist keinesfalls selbstverständlich und für mich durchaus überraschend. Aber dem von privaten Tragödien geplagten Iren gelingt ein zweistündiges Konzert, das die nicht besonders hohen Erwartungen um ein Vielfaches übertrifft.

Carl Verheyen

Foto: Steve Sonntag

Vorher spielt der profilierte Studiomusiker und Supertramp-Gitarrist Carl Verheyen in der heißen Vorabendsonne bluesig-funkigen Jazzrock, inklusive Beatles- („Taxman“) und Bob-Dylan-Cover („The Times They Are A-Changin“). Die Rhythmussektion seiner Band ist formidabel. Vor allem Drummer John Mader und Percussionist Martin Verdonk sorgen für einen groovigen Gesamteindruck, während sich Verheyen trotz virtuoser Soli angenehm zurückhält, passend zum viel beschworenen Understatement langjähriger Sidemen.

Bob Geldof

Foto: Steve Sonntag

Dass Bob Geldof zu verbalem Übereifer neigt, der mitunter von einer eigenen Selbstüberschätzung zeugt, zeigte sich erst letztes Jahr wieder im Rahmen des Band-Aid-30 Projekts („Adele tut nichts!“). In Stuttgart hält er sich weitgehend zurück. Doch platzt ihm kurz nach Konzertbeginn der Kragen. Als Eröffnung ist eine große Irish-Folk-Sause mit „The Great Song of Indifference“ angedacht, dem großen Solohit des Boomtown-Rats-Sängers von 1990. Doch es kommt anders als gedacht. Nach und nach begeben sich Zuschauer aus dem Catering-Bereich hinaus, um ihre Plätze einzunehmen. Dabei wird die Sicht auf die Bühne versperrt und obendrein laut geredet. Geldof bricht erbost ab, richtet mahnende Worte an die Störer, die das aber wenig kümmert.

Bob Geldof

Foto: Steve Sonntag

Ein zweiter Anlauf mündet in einem weiteren Abbruch. „Ich war gestern hier selbst als Zuschauer bei der großartigen Caro Emerald und dieses Verhalten, vor der Bühne umherzulaufen und den anderen Zuschauern die Sicht zu nehmen, ist unmöglich!“ Vereinzelt wird applaudiert, andere fühlen sich persönlich gekränkt, doch ist Geldofs Tirade berechtigt. Ein dritter Anlauf: „The Great Song of Indifference“ mit Fiedel und anderen sehr irischen Gimmicks kommt fröhlich daher, neben mir ruft einer freudig „Party!“. Robert Loveday, Geldofs langjähriger Violinist gibt den Ton an; ein Hüne, der als Gerard-Depardieu-Lookalike durchgehen könnte, sich schnell seines Jacketts entledigt und im Netzunterhemd auf der Bühne steht. Das passt zu den schwülen Temperaturen und ist ein herber Kontrast zum Designer-Anzug seines Bandleaders mit Sonnenbrille. „A Sex Thing“ folgt und der musikalische Fokus verschiebt sich auf düsteren Folk. Hier ist Geldof am Stärksten: Das impulsive Geigenspiel Lovedays, der straighte Beat von Drummer Jim Russell und das New-Wave-Gitarrenspiel John Turnbulls harmonieren auf faszinierende Weise mit dem krächzenden Sprechgesang ihres Frontmanns an der akustischen Gitarre. Mit „Dazzled By You“ schließt eine Liebesballade an, die weitgehend ohne Geige auskommt und als ruhige Folknummer funktioniert, bevor sich die Setlist gen Pubrock à la Thin Lizzy, jedoch mit Wave- und Punkanleihen sowie einer gehörigen Portion springsteenesken Pathos, verschiebt.

Bob Geldof

Foto: Steve Sonntag

Bester Beleg ist „When the Night Comes“, ein breitbeiniger Rocksong, der an Springsteens Frühwerk vor dem großen Durchbruch mit „Born to Run“ erinnert. Routiniert spielt Geldof mit großen Rockstargesten, was von einer gewissen Selbstironie zeugt. Diese verschwindet jedoch völlig, wenn es um politische Anliegen geht. So geht dem wütenden Reggae „Banana Republic“ eine lange Belehrung über den Nordirland-Konflikt, Korruption, Banken und die verlogenen Politiker und Religionen hervor. Das ist mitunter grenzwertige Agitation, gehört aber zum allgemeinen Bild, das man von Geldof hat und kommt wenig überraschend. Dass der einstige UK-No.3-Hit auch mehr als 35 Jahre nach Veröffentlichung noch unterhalten kann, ist Geldof zugute zu halten. Bassist Pete Birquette war damals schon dabei und kann die klassische Reggae-Rhythmik nutzen, sich in den Vordergrund zu spielen.

Bob Geldof

Foto: Steve Sonntag

Den von einem Amoklauf inspirierten Megahit „Don’t Like Mondays“ spielt man natürlich auch und junge Ehefrauen liegen ihren deutlich älteren Ehemännern in den Armen. Ab jetzt wird gestanden und eine Reihe Bandklassiker leider auch rhythmisch (und nicht ganz so rhythmisch) beklatscht, bis zur kollektiven Begeisterung beim Boomtown-Rats-Hit „Rat Trap“. „Silly Pretty“ und „Diamond Smiles“ gibt es noch obendrauf, ebenso wie eine rasante Version des eröffnenden „Song of Indifference“ und einige Seitenhiebe gen Jazz. Geldof lacht in sich hinein und ist entschwunden.

Bob Geldof

Foto: Steve Sonntag

Bob Geldof

Carl Verheyen

Ein Gedanke zu „BOB GELDOF, CARL VERHEYEN, 05.07.2015, Jazz Open, Mercedes-Benz-Museum, Stuttgart

  • 7. Juli 2015 um 23:14 Uhr
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    Klasse Rezension, mein Herr! Und die Fotos vom Feinsten.

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