HANNES WADER, 16.04.2015, Theaterhaus, Stuttgart

Hannes Wader

Foto: Steve Sonntag

Hannes Wader ist altersmilde geworden, wie man so sagt. Der einstige Bürgerschreck, DKP-Aktivist, dem manch einer Sympathien zur RAF nachsagte, Vorzeigerevoluzzer und Inbegriff des politischen Liedermachertums vollzieht in seinem jüngeren Schaffen einen verstärkten Rückzug ins Private. Idyllen mag er trotzdem immer noch nicht, und rechte Gedanken sowieso nicht. So dienen gleich zwei romantische Landschaftsbeschreibungen zur Verstärkung der eigentlichen Aussage neuerer Songs. „Alles nur Schein“ wird zur düsteren Abrechnung mit Kleingeistigkeit, familiären Abgründen auf dem Land bis hin zum widerlichsten Neonazismus, während „Morgens am Strand“ drastisch die europäische Flüchtlingspolitik attackiert. Vom entspannten Eisessen und morgendlichen Schwimmen im Mittelmeer kippt hier das Bild lyrisch zum Anblick eines Massengrabs am Strand. Ansonsten hält sich Wader mit großen politischen Gesten zum Zeitgeschehen weitgehend zurück, besingt eher das Älterwerden und gibt Lehrstunden in Talking Blues und Anekdotenplauderei. Sein Gitarrenspiel dabei ist wahrlich deliziös, der Gesang dem Alter entsprechend.

Mit seiner Zurückhaltung hat er sich gewissermaßen an sein Publikum angepasst. Dieses ist – und das fällt schon bei der Anreise mit der Bahn auf – im schwäbischsten Sinne bürgerlich zu nennen. Die Hippies und linken Idealisten von damals machen sich 2015 chic für ein Konzert ihres 72-jährigen Helden. Beim Betreten des Theaterhauses verstärkt sich dieser Eindruck noch. Da wird dann schon mal eine Flasche Sekt für die Pause vorbestellt. Pensionierte Studienräte plauschen mit angegrauten Daimlerarbeitern voller Vorfreude in Erinnerungen an Konzerte Waders in den 70ern und 80ern im schwelgenden Jargon von Kriegsveteranen. Ich dürfte zum jüngsten Hundertstel der heutigen Besucher gehören; bin in die Zeit nach kaltem Krieg und der Hochzeit der Friedensbewegung hineingeboren. Mir steht also eher eine Geschichtsstunde in deutschen Agitprop bevor, als ein nostalgisch verklärtes Wohlfühlevent.
Ausverkauft ist der große Saal T1 und als das Licht kurz nach 20 Uhr ausgeht, geht ein ehrfurchtsvolles Raunen durch die Reihen, das sich in tobenden Applaus kulminiert. Hier, wo der Neonazi-Barde und NPD-Bundespräsidentschaftskandidat Frank Rennicke ihm vor einigen Jahren mit den Worten – „Ich wollte Ihnen mal zeigen, was ich so mache, Wiederseh’n“ – eine CD in die Hand drückte, auf der er Waders „Es ist in der Zeit“ coverte und dessen Botschaft pervertierte, bezieht der große Protestsänger neben Reflexionen über sein Leben auch immer wieder in seinen Liedern beherzt Stellung gegen Rechtsaußen.

Hannes Wader

Foto: Steve Sonntag

Mit entspannter Nonchalance und gänzlich unprätentiös betritt Hannes Wader die riesige Bühne. Diese ist mit Ausnahme eines Notenständers, einer bereitstehenden akustischen Gitarre und dem Mikrophonständer leer. Liedermacher lieben Standards und die übliche Eröffnung des gebürtigen Ostwestfalen ist der absolute Inbegriff eines solchen: „Heute hier morgen dort“, die ultimative Hymne auf das Vagabundenleben eines Musikers ist zweifelsohne das populärste Stück Waders. Das Publikum singt textsicher mit, verkneift sich ehrenwerter Weise jegliches rhythmische Klatschen. Im gestreiften Hemd, recht sorgsam eingesteckt in die Jeans wirkt er erstaunlich jugendlich. Seine Erzählstimme ist im besten Sinne angenehm, nahezu Hörbuch-reif. „Hotel der langen Dämmerung“ schließt thematisch passend an „Heute hier, morgen dort“ an. Wader berichtet von einer Reise durch Amerika bis nach Portland, wo er eine beinahe schon kafkaeske Nacht in einem Hotel verbrachte. Das musikalische Ergebnis ist in seiner Schlichtheit einer der Höhepunkte des heutigen Abends.

Hannes Wader

Foto: Steve Sonntag

Mit der großen französischen Anti-Kriegshymne, dem pazifistischen Manifest „Le Deserteur“, auf Deutsch und Französisch hat er das Publikum spätestens in der Hand, bevor er es nach acht Liedern in eine 20-minütige Pause entlässt; immerhin wartet der bestellte Sekt.

Weiter geht es mit Politischem („Alles nur Schein“, „Morgens am Strand“), Reiseschilderungen („Folksinger’s Rest“) bis hin zu Eichendorff („In einem kühlen Grunde“) und der Lebensrückschau eines alten – niemals lebensmüden – Mannes („Lied vom Tod“). Immer wieder sind es die humoristischen Elemente, die seine neueren Stücke besonders aufwerten. War sein berühmtes Protestsänger-Œuvre doch weitgehend von ironiefreiem Ernst geprägt, kann Wader heute über sich selbst lachen. Eine Reihe Zugaben schließt er an, die Zuschauer applaudieren lautstark.

Nach der deutschsprachigen Version des Pete-Seeger-Evergreens „Where Have All The Flowers Gone“ verlässt Wader zum letzten Mal die Bühne. Das kollektive Mitsingen der großen Hymne der Friedensbewegung gerät zum sentimentalen Rückblick in Zeiten der Demonstration gegen Aufrüstung und NATO-Doppelbeschluss. „Bis zum nächsten Mal in Stuttgart“, verabschiedet sich Wader zuversichtlich und entlässt das gereifte Publikum mit guten Gefühlen.

Der vielleicht wichtigste deutsche Singer-Songwriter des letzten Jahrhunderts, dessen Americana beeinflussten Stücke längst allgemeines Liedgut sind, hat auch mit 72 noch viel vor. Seine Mission verfolgt er schließlich beständig. Und auch wenn er heute nicht mehr offensiv für den Sozialismus kämpft, viel gemäßigter als in früheren Jahren ist, so bleibt seine Botschaft in Tagen, in denen Meldungen von 400 und 700 toten Flüchtlingen im Mittelmeer aufeinander folgen aktueller denn je.

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