DRY THE RIVER, 17.04.2015, Zwölfzehn, Stuttgart
„Kunden, die diesen Artikel gekauft haben, kauften auch.“ Unser Fotograf ist ein wahrer Meister im Cross Selling. Mit diesem Argument und dem Verweis auf Admiral Fallow hatte er mich schon zu Alcoholic Faith Mission gelockt. Und kaum standen wir – schwer euphorisiert – nach dem Gig vor der Manufaktur, meinte er, na, wenn mir das so gut gefallen habe, dann müsse ich auch zu Dry The River. Ich erinnere mich: Im November 2012 hatte er mir die Band schon einmal empfohlen. Stattdessen sind wir damals – vermutlich infolge einer kollektiven Fraktus-Studio-Braun-Euphorie – zu Jacques Palminger ins Schocken, was ich bitter bereut habe.
Ein paar alte Hasen raunen mir noch ein paar ihrer Erfahrungen mit Dry The River zu: damals im Keller Klub war’s mies besucht, auf dem Orange-Blossom-Festival hätten sie ihren Auftritt komplett vergeigt und die spielen eh nur ne gute Dreiviertelstunde. Ich aber – im blinden Vertrauen auf des Fotografen sicheren Geschmack – stürze mich ohne zu zögern ins Zwölfzehn.
Und dieses ist mal richtig voll. In den letzten Jahren haben sich die fünf Londoner wohl auch in Stuttgart ein paar Fans erspielt. Ich bin jetzt zugegebenermaßen keiner davon und überhaupt erschreckend schlecht vorbereitet. Einmal nebenbei das aktuelle Album „Alarm In The Heart“ angehört, erwarte ich einen beschaulichen Abend, eher ruhig und mit schönen Männerstimmen. Ich sollte mich getäuscht haben…
Hat aber auch sein gutes, wenn man so ahnungslos ist. Kein Warten auf den großen Hit, kein Vergleich mit x anderen Gigs der Band. Mit der allgemeingültigen Checkliste lässt sich schließlich jedes Konzert bewerten. Kommen wir allzu zu den Punkten „Location“, „Publikum“, „Sound“, „Licht“, „Musikalischer Vortrag“, „Publikumsansprache“, „Sympathiefaktor“, „Band: Outfit und Performance“, „Besondere Highlights & Zugaben“.
Das Zwölfzehn muss man nicht mehr vorstellen. Nicht unbedingt die ideale Konzertlocation, wie wir alle wissen. Schwierig von hinten etwas zu sehen, wenn’s voll ist. Der Sound inzwischen besser als früher, gutes Licht gibt’s weiterhin nicht. Trotzdem haben wir hier seltsamerweise mit die allerbesten Gigs gesehen.
Das Publikum: altersmäßig gut durchmischt, Verteilung Männlein und Weiblein etwa Fifty-Fifty. Und wie immer im Zwölfzehn: ein großer Anteil hemmungsloser Idioten, die (fast) das ganze Konzert laut tratschend zerreden und den echten Fans den Abend verderben. Ich werde es nie verstehen, warum man auf ein Konzert geht, wenn einen die Musik ohnehin nicht interessiert. Vielleicht sollte man sich bei diesen Nervensägen einfach mal das Eintrittsgeld zurückholen. Und wann hat endlich mal wieder eine Band den Mumm, die Ignoranten vor die Tür zu setzen?
Dry The River lassen sich (zumindest scheinbar) nicht davon beeindrucken. Sie stellen sich einfach auf die Bühne und spielen ihr Set. Völlig unprätentiös, keinerlei Show-Elemente, kaum ein Wort ans Publikum. Dafür aber aus dem Stand mit maximaler Präsenz und Energie. Und vor allem: weit rockiger, als ich erwartet hat. Natürlich ist die hohe, leicht pathetische Stimme von Peter Liddle das bestimmende Merkmal des Sounds, vor allem, wenn sie von bis zu drei weiteren Sängern harmonisch unterstützt wird, aber es ist das Gesamtpaket, das überzeugt. Eine enorme Spannbreite: leise (im Getratsche untergehende) Balladen entwickeln sich zu veritablen Rocknummern und gipfeln in einer fast post-rock-mäßigen Wall of Sound. Sogar eine Geige kommt kurz zum Einsatz. Das ist schlicht großartig und reißt das Publikum schon nach wenigen Titeln zu wahrer Begeisterung hin. (Hätte ich auch vorher wissen können, wenn ich dieses Video angeschaut hätte.)
Liddle scheint eher der introvertierte Typ, linst zwischen seiner Kapuze und einer Haartolle hervor, springt dann aber rumpelstilzchen-mäßig über die Bühne haut heftige Riffs raus. Interessantes Detail: während er noch mit vollem Einsatz den einen Titel singt, stimmt er bereits seine Gitarre für den nächsten. Und so folgt nahezu ohne Unterbrechungen ein Titel auf den nächsten. Für mich auch ein Merkmal eines gelungenen Gigs.
In den knappen Pausen werden nur wenige Worte ans Publikum gerichtet, wobei die Herren mehrfach betonen, zum ersten Mal in „Shtootgaaat“ zu sein. Offensichtlich hat der Gig im Keller Klub auch bei ihnen keinen allzu großen Eindruck hinterlassen. Nach einer guten Stunde und als erste Zugabe packen Sänger, Gitarrist und Bassist dann ein Kabinettstückchen aus, das der absolute Höhepunkt des Gigs werden soll: mitten im Saal unter der großen Spiegelkugel geben sie ein A-Capella-Ständchen, in dem sie die ganze Klasse ihrer Stimmen zeigen können. Das ist zum Dahinschmelzen schön, der gesamte Laden ist mucksmäuschenstill und sogar die Lüftung wird ausgeschaltet. Ein wirklich magischer Konzertmoment!
Zwei weitere Titel auf der Bühne, darunter vermutlich ihre Hits, bringen das Publikum dann vollends aus dem Häuschen. Nach fast einer Stunde und zwanzig Minuten verlässt eine sichtlich erfreute Band die Bühne. Und ich bin sehr gespannt, welches Konzert mir unser Fotograf nun empfiehlt. Egal welches, ich bin dabei!