RUMMELSNUFF, 06.02.2015, Dieselstraße, Esslingen
Das ist die Liebe der Matrosen
beginnt Rummelsnuff seinen Abend im Kulturzentrum Dieselstraße. Gut neunzig Minuten später schließt er unter kollektivem Geschunkel mit „Auf der Reeperbahn nachts um halb eins“. Was zwischen diesen beiden Hans-Albers-Klassikern geschieht, habe ich spontan als das „absurdeste Konzert ever“ rausgepostet, und jetzt – mit etwas Abstand – kann ich sagen: stimmt! Ein wahrhaft fulminantes Eröffnungs-Konzert der neuen Reihe „Young River Concerts„.
Es trägt die Nr. „001“; und die dreistellige Ordnungszahl lässt erkennen: das Kulturzentrum Dieselstraße legt seine Verjüngungskur langfristig an. Nach dem Erfolg des gleichnamigen Festivals im Herbst letzten Jahres – unter anderem mit den namensgebenden Motorama – führt man den eingeschlagenen Weg mit den Veranstaltern Luca Gillian, Maximilian Haslauer und Christoph Mack nun konsequent fort. Deren Erfahrung, Gespür für feinste Musik abseits des Mainstreams und gute Kontakte aus der jahrelangen Arbeit für das Komma sollen spannende Gigs in das Kulturzentrum bringen.
Und der Abend beweist: Das wird eine Erfolgsgeschichte werden. Der Laden ist gut gefüllt, an den T-Shirts und Auto-Kennzeichen lässt sich ablesen, dass hier einige auch eine größere Anreise vorgenommen haben. Kurzum: ein Gig mit überregionaler Strahlkraft. Und auch Käpt’n Snuff freut sich über die vielen „jungen Leute“. Vor zwei Jahren haben die Kollegen Bertram und X-tof bereits ein Konzert des kolossalen Roger Baptist beschrieben. Im Komma hat er damals gespielt, vor 50 Zuschauern und mit vierköpfiger Besetzung.
Heute sind es mindestens dreimal so viele Zuschauer und die Bühnen-Mannschaft hat sich auf zwei reduziert, den Käpt’n und seinen Maat Christian Asbach. Die gesamte Musik kommt vom Rechner. Normalerweise würde dies einen Notenabzug bei mir bewirken, nicht aber bei diesen beiden Mannsbildern. Hier liegt in der Reduktion tatsächlich ein Gewinn. Ein paar Requisiten und eine exquisit ausgeleuchtete Bühne sind optimal für die spektakuläre Show zwischen grotesk übersteigerter Arbeiter-Romantik und schwitzig-schwüler Seemanns-Erotik. Rummelsnuff, der sein Publikum im brummeligem Tonfall als „liebe Kinder“ anredet, spielt das gesamte Spektrum von liebevoll-väterlicher Strenge, Popeye’scher Kraftmeierei bis zu schmieriger Anzüglichkeit. Natürlich hat er bereits nach wenigen Titeln seinen massigen Oberkörper entblößt, den er wenig später sogar von zwei „Freiwilligen“ einölen lässt.
Die Genrebeschreibung „Derbe Strommusik“ kann man vielleicht übersetzen mit einer Mischung aus EBM und kernigem Elektro-Schlager, der Gesangsvortrag dazu ist vielsprachig. Und während der Käpt’n zwar eine unfassbare körperliche Präsenz hat, sind seine gesanglichen Mittel eher beschränkt. Auch hierin ist die Parallele zum Pseudo-Seebären Hans Albers unübersehbar. Sein Maat hingegen setzt mit seiner wohlklingenden Stimme die Akzente: ob als russischer Ein-Mann-Matrosenchor oder italienischer Belcanto.
Schon am Anfang des Programms: die Gerüstbauer-Hymne, ein typischer Rummelsnuff. Einfacher Text mit vorhersehbaren Reimen. In ihrer elementaren Einfachheit ein doppelbödiges Vergnügen. Unübersehbar die ironischen Versatzstücke aus sozialistischer Werktätigen-Glorifizierung:
Gerüstbauer, bau auf, bau auf,
und zieh dein Gerüst in den Himmel hinauf.
Bau auf, bau auf!
Also, wenn ich ich an der Spitze des Gerüstbau-Verbandes säße, diesen Titel würde ich sofort zur offiziellen Innungs-Hymne küren, Rummelsnuff zum Ehrenmitglied erklären und das Lied bei jeder Veranstaltung von einem vielköpfigen, oberkörperfreien Gerüstbauer-Chor unter der Leitung von Käpt’n Rummelsnuff und seinem Maat schmettern lassen! Image-Gewinn garantiert!
Zuschauerbeteiligung bietet der Gig reichlich. Ob beim bereits erwähnten Einölen, beim Tanz mit der Schweinemaske oder beim Armdrücken, Freiwillige finden sich immer sofort, der Rest kommt derweil Käpt’n Snuffs Aufforderung zum Schunkel-Pogo nach. Ein wunderbar abwechslungsreicher Abend mit einigen großartigen Coverversionen wie Celentanos „Azzurro“, Becauds „Natalie“ oder „Mongoloid“ von Devo, aber natürlich auch dem albernen Rummelsnuff-Hit „Bratwurstzange“ und der Bodybuilder-Hymne „Pumper“.
Zum Abschluss bittet der Käpt’n, der angeblich schon mehrfach in der „Auslass-Stadt“ Metzingen gespielt haben will, dann in den „Rummel Outlet“, der vom Verkaufsstellenleiter Herrn Asbach im Foyer betrieben würde. Und angesichts des originellen Warenangebots kommen diesem Wunsch sehr viele gerne nach.