MARTIN SONNEBORN, 02.12.2014, Uni Vaihingen, Stuttgart
Aufgrund der großen Nachfrage wurde der Auftritt von Martin Sonneborn von den Wagenhallen im Stuttgarter Norden (anreisetechnisch einigermaßen unkompliziert) in den Hörsaal der Uni Vaihingen verlegt. Das ist der Campus der Uni Stuttgart, der etwas außerhalb liegt und den man als Geisteswissenschaftlerin eher nicht kennt, weil dort hauptsächlich die technischen Fächer angesiedelt sind. Kein Problem für uns, eine neblige Autobahn-Irrfahrt später haben wir das Gelände so gut wie rechtzeitig erreicht.
Die monumentalen Uni-Prachtbauten lösen in unserer Gruppe zunächst – je nach Lebensalter – prä- bzw. post-universitären Stress aus, glücklicherweise müssen wir heute keinen Schein machen. Wir quetschen uns hinter die hölzernen Klapptische, die samt dazugehörenden Klappsitzflächen in einem „hochkomplexen dreidimensionalen Fächer“ (Zitat Lino, seine Mansplaining Skills sind möglicherweise noch ausbaufähig) angeordnet sind. Verzweifelt versuchen wir, die Zuschauermenge aufgrund von ausschnittsweise abgezählten Stichproben hochzurechnen, ich übernehme schließlich ungeprüft die Behauptung der Nebensitzer, es müsste sich um ca. 300-400 Zuschauer handeln [Edit: 600 Zuschauer waren es tatsächlich im Saal, plus 150 draußen]. Sieht auf jeden Fall nach ausverkauftem Haus aus.
Während sich der Saal füllt, genießen die Zuschauer eine Auswahl an die Wand projizierter klassischer Titanic-Cover, lustig. Ploppend und klackernd werden die gesamte Veranstaltung über Bierflaschen mit Bügelverschluß geöffnet, die Option sich im Hörsaal gebührend zu betrinken, wird von den Anwesenden offensichtlich dankbar angenommen.
Mit leichter Verspätung geht es los. Martin Sonneborn trägt ein Headset mit Mikrofon (kennen wir noch von damals als technische Neuheit bei größeren Vorlesungen), mit dem er anfangs noch etwas fremdelt („Das kann ich mir nicht vorstellen, dass Sie mich damit wirklich verstehen.“). In der ersten Reihe schmachten, vorschriftsmäßig in schlecht sitzende Niedrigpreiskaufhausanzüge gekleidete Gesandte der örtlichen „Partei“-Verbände. Sonneborn selbst macht in seinen einleitenden Worten den inhaltlichen roten Faden des Abends nochmals unmissverständlich deutlich:
Ich begrüße sie hier zu einem Propagandavortrag der Partei!
Es folgt der Trailer zum „Partei“-Film und ein kommentierter Rückblick auf die anfangs schon gezeigten Cover und Startcartoons (großer Lacher: Rapper Bushido präsentiert stolz eine Ultraschallaufnahme, dazu der Text „Bushido im Papa-Glück: ‚Es wird eine Fotze!`“).
Ausführlich blickt Sonneborn dann zurück in die nun auch schon zehnjährige Geschichte der „Partei für Arbeit, Rechtsstaat, Tierschutz, Elitenförderung und basisdemokratische Initiative“ deren Bundesvorsitzender er ist und für die er seit Sommer 2014 als Abgeordneter im Europäischen Parlament sitzt.
Wer das Wirken Sonneborns und der mit dem Satiremagazin Titanic eng verbundenen „Partei“ schon länger verfolgt, erfährt hier naturgemäß wenig Neues, die Zusammenfassung der satirischen Wahlkampfaktionen ist aber trotzdem sehr unterhaltsam. Beeindruckend, was hier an legendären Slogans und Motiven zusammengekommen ist. Auf den ersten Blick mögen die öffentlichkeitswirksamen Aktionen der Partei hauptsächlich herrlich albern wirken, bei genauerem Hinsehen ist der Kern aber immer ein sehr politischer. Ein Slogan wie der Partei-Claim „Inhalte überwinden“ entlarvt die tatsächliche Orientierungslosigkeit konventioneller Parteien. Und wenn Sonneborn das Europäische Parlament als „Spaßparlament von minderer Bedeutung“ bezeichnet, veralbert er damit nicht die demokratisch gewählte Institution, sondern weist auf die strukturell bedingte Machtlosigkeit der Parlamentarier gegenüber nationaler Interessen und den Interessen von Wirtschaftsunternehmen hin.
Forderungen aus dem Programm der „Partei“ wie die nach einem „Existenzmaximum“ (in Anlehnung an ein offenbar irgendwie festlegbares „Existenzminimum“) oder eines Bildungsgangs namens „G1“ (Zitat aus dem Parteiprogramm: „Schüler werden Anfang Juni eine halbe Stunde an der Tafel geprüft, die Lösungen werden vorher im Internet veröffentlicht. Anschließend: chillen.“) kann man als ziemlich lustige Gags verstehen, aber eben auch als Kritik an einer zunehmend ungerechten Verteilung von Eigentum bzw. an einer Gesellschaft, die sich die Möglichkeit einer beliebig steigerbaren Optimierung von Effizienz in sämtlichen Lebensbereichen vorgaukeln lässt.
Die Tatsache, dass die Partei inzwischen mehrere Mandate bei Wahlen gewonnen hat (einige bei Kommunalwahlen, eines bei der Wahl zum Europäischen Parlament) zeigt, dass es die Partei-Supporter unter den Wählerinnen und Wählern ernst meinen.
Nach der Pause gibt es noch eine Fragerunde, in der Sonneborn darum bittet, von den anwesenden Studenten als „Herr Magister“ angesprochen zu werden – halten sich auch alle brav dran. Gestellt werden eher mittellustige Fragen („Wie steht die Partei zur Polygamie?“), zu denen Sonneborn zunächst die Meinung der Mehrheit einholt, um sich dann jeweils deren Standpunkt anzuschließen.
Gezeigt werden noch eine Reihe kurzer Einspielfilme. Außerdem erläutert Sonneborn die Idee der Partei, zukünftig zur Parteienfinanzierung Geld zum Selbstkostenpreis zu verkaufen. Das ist natürlich angelehnt an die Vorgehensweise der AfD, die über ihre Webseite Gold verkauft, um so die eigenen Einnahmen zu steigern und sich dadurch die höchstmögliche staatliche Parteienfinanzierung zu sichern. Möglich macht das eine Gesetzeslücke, deren Schließung erklärtes Ziel der geplanten Partei-Aktion ist.
Nach dem Ende der Veranstaltung verlassen wir den Saal zügig und bekommen nicht mehr mit, ob es möglich war, Sonneborn persönlich anerkennend die Hand zu schütteln oder ein schönes Erinnerungsfoto zu schießen. Kam einem zumindest so vor, als ob nicht nur wir das gerne gemacht hätten.
Schöner Bericht und Bilder!