DEAR READER, 29.11.2014, Die Halle, Reichenbach an der Fils

Dear Reader

Foto: Udo Eberl

Vielleicht war es ein kleines Missverständnis, das ein paar echten Fans und überraschten Ersthörern eines der besten Konzerte des Jahres bescherte. Dear Reader in Reichenbach an der Fils in einem Laden, der sich üblicherweise auf Blues, Geradeaus-Rock und auch ein wenig Kabarett und Comedy eingeschossen hat. Feinster Indie-Pop und Songwriter-Mucke beim „HELFEN KOSTET NIX BENEFIZ KONZERT #4“, das irgendwie zwischen selbstgebackenen Benefiz-Keksen, Kostet-Nix-Taschen und Trollinger-T-Shirts auf diesen „dicken Fisch“ aus Südafrika nicht richtig vorbereitet schien. Die Hoffnung der hilfswilligen, engagierten Veranstalter und der Kulturinitiative Die Halle, sollte sich letztendlich nicht erfüllen. Dass nämlich Stuttgarter, Göppinger und andere Pop-Reisende an die Fils finden würden, um diesem Konzertereignis beizuwohnen.

Florijan van der Holz

Foto: Udo Eberl

Knapp 100 Leute waren es am Ende, die zunächst mit Singer/Songwriter-Musik von Juno im Park unterhalten wurden, von einem Mundart-Moderatoren im Ali G-Style samt Benz-Stern-Kette und von Florijan van der Holz. Der junge Mann hatte seine Loopmaschine dabei, in die er neben seinem Gesang, die mit Octaver tiefergelegte Gitarre, ein Glockenspiel oder seine Trompete einspeiste, um so Band-Arrangements inklusive kleiner Bläsersätze zu fabrizieren. Das klappte bisweilen ganz gut, neu ist diese Band-Sparversion aber auch nicht gerade. Der Aha-Effekt war also bescheiden, das stimmliche Vermögen durchaus ausbaubar, die Songs zu Beginn auch. Seine besseren Nummern sparte sich der Liedermacher fürs Finale seines Support-Auftritts auf. „Cornflakes“, der seit Reichenbach nicht mehr der heimliche Lieblingssong des Sängers ist, wurde sogar zum Mitsing-Bringer, und auch mit dem Stück „Ich vermisse nichts“ hatte van der Holz das Publikum in der Tasche. In der hatte er auch seine erste EP „Mehr als Papier“, die er am 11. Dezember mit einer Releaseparty im Bistro Sideways in Bad Cannstatt vorstellen wird. Ach ja, T-Shirts, Kekse und Sattelschützer fürs Bike wurden dann auch noch frei nach der Devise „Mir könnet älles außer Hochdeutsch“ verlost.

Dear Reader

Foto: Udo Eberl

Dann aber Dear Reader. Und wie. Im harten Vergleich. Schließlich hatte der Glückspilz, der diese Zeilen schreibt, an den beiden Tagen zuvor den wunderbaren Briten Ben Howard samt Super-Support Jack Garret sowie die aus Berlin stammende Sinnbus-Künstlerin Miss Kenichi mit Tindersticks-Drummer Earl Harvin live erleben dürfen, und auf der Fahrt zum Konzert war zudem Sharon van Etten im CD-Spieler. Was soll man schreiben: Die aus Johannesburg stammende Sängerin und Songwriterin Cherilyn MacNeil, die in Berlin lebt und dort ihre Melting-Pot-Band zusammengestellt hat, sang einfach ganz wunderbar, die Band funktionierte an den Instrumenten wechselnd ebenso großartig. Und zunächst setzte man auf das Album „Rivonia“ und Songs wie das komplexe, fast schon musicalhafte „Man of the Book“ inklusive Trompetengebläse und perfekter Fünfstimmigkeit. Das war eine klare Ansage. Über allem diese glockenklare Stimme, dazu das Strahlen der Vokalistin, das Augenzwinkern – oftmals auch in den Texten.

Dear Reader

Foto: Udo Eberl

Es zählte nur noch die Magie des Moments und die breitete sich im Jugendhaus-Ambiente der Halle aus, wurde mit dem von wärmender Vielharmonie getragenen „Down Under, Mining“ noch verstärkt. Träumen, schwelgen, tänzeln, lächeln – all das passierte mit den Hörern, die hier am richtigen Fleck waren. „Good Hope“ folgte mit smartem Drive und Cherilyn MacNeil zeigte wie sich eine Loopmaschine auch im Bandgefüge trickreich einsetzen lässt. Mit „Dearheart“ mit „Took Them Away“ zündete sie die nächste Stufe des federleichten Indiepops, um sich später in einen Wal oder gar ins Liebesleben der Maulwürfe einzufühlen. „Es ist doch schwierig sich da unten zu finden“ meinte die Dame aus Johnannisburg zu ihren „Idealistic Animals“ in sympathischen Deutsch, überzeugte an den Tasten, hängte sich aber auch die Gitarre oder das Akkordeon um, wurde am Ende mit dem „Great White Bear“ noch einmal tierisch und ziemlich verspielt, um das Konzert mit „Back from the Dead“ zu beenden. Die Band, sagte sie, habe im Hotel gesagt: Wir werden das Haus rocken. Sie habe geantwortet: Das werden wir nicht „Aber so ist es auch gut, oder?“ Klar doch, sogar viel, viel besser als gut war das.

Natürlich musste die fünfköpfige Band noch einmal zu Zugaben ran. „Left the Ground“ wurde zum starken A-Cappella-Song, bevor dann mit „Bend“ das folkige Ende eines starken Konzerts kam, das die Zuhörer beglückt in den Sonntag schickte. An dem verließ Cherilyn MacNeil übrigens Deutschland in Richtung Südafrika. Dort füllt die Sängerin, die 2010 mit „Replace Why with Funny“ die Auszeichnung in der Kategorie Best English Adult Contemporary Album bei den South African Music Awards gewann, längst größere Läden und wird dort im Dezember etliche Konzerte spielen.

Dear Reader

Foto: Udo Eberl

Dear Reader

Florijan van der Holz

2 Gedanken zu „DEAR READER, 29.11.2014, Die Halle, Reichenbach an der Fils

  • 1. Dezember 2014 um 19:57 Uhr
    Permalink

    Und ich dachte, das sei Reichenbach im Vogtland. Sonst hätte ich mich wohl auch aufgemacht für Dear Reader im 150 km Umkreis von Karlsruhe bin ich immer zu haben…

  • 8. Dezember 2014 um 17:39 Uhr
    Permalink

    Hallo Udo,

    danke für deinen Review. Nicht ganz verstehen kann ich deinen Eindruck über die Vorbereitungen des Helfen-Kostet-Nix-Teams. Du schreibst:
    Feinster Indie-Pop und Songwriter-Mucke beim „HELFEN KOSTET NIX BENEFIZ KONZERT #4“, das irgendwie zwischen selbstgebackenen Benefiz-Keksen, Kostet-Nix-Taschen und Trollinger-T-Shirts auf diesen „dicken Fisch“ aus Südafrika nicht richtig vorbereitet schien.

    Ich würde gerne wissen wieso dieser Eindruck bei dir entstanden ist. Welche „Vorbereitungen“ hätten wir denn treffen sollen?

    Einen Grund für das Fernbleiben vieler Gäste kann ich dir nennen-der „dicke Fisch“ war der Presse nämlich nicht bewusst (in Göppingen, Esslingen und Stuttgart). Diese ignorierten das Benefizfestival nämlich gänzlich trotz rechtzeitiger Information und fertig verfasstem Pressetext!

    Ich freue mich auf Rückmeldung.

    Liebe Grüße,

    Simone

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