KRAFTKLUB, ZUGEZOGEN MASKULIN, 22.10.2014, Wagenhallen, Stuttgart
Zwei Nummer-1-Alben, umjubelte Festivalshows und eine ergebene Fanschar sprechen gut fünf Jahre nach Bandgründung eine deutliche Sprache: Kraftklub aus Sachsen ist einer der angesagtesten Acts des Landes, eine Band der Stunde. Wenige Wochen nach dem Release des zweiten Studioalbums „In Schwarz“ auf Tour durch mittelgroße Clubs des Landes bestätigt das Quintett seinen Ruf. Bevor man im Februar nämlich in der riesigen Schleyer-Halle in Bad Cannstatt aufspielt, stehen erst einmal die um ein Vielfaches kleineren Wagenhallen im Kalender. Das ist als Geschenk an treue Fans der ersten Stunde gedacht und zeigt seine Wirkung. Etwa 700 Karten gingen in den Vorverkauf. Nach gerade einmal sieben Minuten war das Kontingent vergriffen, wie man hört.
Unsere Fans haben sich verändert / Unsere Fans haben sich verkauft / Unsere Fans sind jetzt Mainstream!
singt Frontmann Felix Brummer selbstironisch auf dem aktuellen Album – und doch: Beim Betreten der Wagenhallen scheint sich eben das zu bestätigen. Das Publikum ist jung und hip, zum Teil sehr jung. Viele mit den Vätern da, die dann gleich entsetzt dreinblicken als der herausragende Support, das Hip-Hop-Duo Zugezogen Maskulin, zum „Anzünden des Scheiterhaufens“ in „Entartete Kunst“ aufruft oder gar zum Mord am eigenen Chef. Die Berliner Rapper um den großartigen grim104 bringen Zukunftsweisendes auf die Bühne, die Zuschauer machen mit, während die Kraftklub-Musiker von hinten begeistert zuschauen. Das Theatralische, der überzogene Gestus des Duos ist packend, das halbstündige Set entsprechend kurzweilig. Als mit „Crystal Meth in Brandenburg“ ein Stück folgt, das schon jetzt das Zeug zum Zeitgeistklassiker hat, erkennt man spätestens, warum das profilierte Punk-Label Buback das Debüt produzieren wird. Zugezogen Maskulin sind scharfzüngig, witzig, bitterböse und unglaublich spannend.
Dass die Spannung um Kraftklub ein wenig nachgelassen hat, mögen eingefleischte Fans negieren, allerdings zeigt das ziemlich genau 90-minütige Konzert in den Wagenhallen, dass es der in schwarze Band-Polos, rote Hosenträger und – zunächst – Harrington-Jackets uniformierten Band aus Chemnitz schwerfällt, die Aufmerksamkeit über einen längeren Zeitraum hochzuhalten. „Hand in Hand“ eröffnet den Reigen schneller Deutschpunknummern mit Sprechgesang. Die Riffs wirken vertraut, weil sie häufig Versetzstücke aus dem Popkanon enthalten; dennoch, die 700 Zuschauer toben, Felix Brummer mit ihnen. Mit einem Radschlag hat er die Bühne betreten, jetzt ist er ganz in der Rolle des tollkühnen Animateurs. Ansagen sind nicht seine Stärke, wohl aber das Agitieren, das Aufstacheln der Meute.
Wenig später wird „Ich will nicht nach Berlin“ angekündigt. Der Abgesang auf Hipsterkultur und den Hype um die deutsche Hauptstadt beflügelte einst den eigenen Bekanntheitsgrad enorm und begeistert auch heute. Es wird gepogt und mitgegrölt, Brummer solidarisiert sich derweil mit den Bewohnern im kreativen Standort um die Wagenhallen, die aus Brandschutzgründen umziehen sollen und bezieht Stellung gegen Gentrifizierung. Den Gästen ist das egal, man will feiern und gerne auch Berlin eins auswischen. Klappt auch bestens, wo sonst könnten die zynischen Kommentare besser funktionieren als in der schwäbischen Hauptstadt. Tatsächlich wird die Stärke eines Kraftklub-Konzerts hier ziemlich deutlich, das Zusammenspiel von Wortwitz und hymnischen Melodien gelingt spielend, zum Glück nicht nur phasenweise. Im Gegenteil: Kraftklub haben das Hymnische zum Prinzip gemacht und versinken im Gegensatz zu den Toten Hosen und Konsorten nicht knietief im Pathos. Vielmehr kann man mit „Zwei Dosen Sprite“ oder „Schüsse in die Luft“ Emotionen freisetzen, allen Längen zum Trotz. Zwischendurch hält man inne und freut sich über zahlreiche Mädchen auf den Schultern ihrer Freunde, kurzum folgen Dutzende weitere und springen.
Man müsse auch alte Tourtraditionen wiederaufnehmen, erklärt Brummer und bittet Zugezogen Maskulin zurück auf die Bühne. Die beiden Rapper skandieren den Ramones-Klassiker „Blitzkrieg Bob“ punkiger als es Schmutzki könnten, während Karl Schumann (Gitarre), Bassist Till Brummer, Leadgitarrist Steffen Israel und Drummer Max Marschk die Tugenden der frühen Bandtage beschwören.
Das passt gut vor „Karl Marx Stadt“, der Anti-Hymne auf die triste Heimatstadt Chemnitz, wo man noch immer lebt. „Ich komm‘ aus Karl-Marx-Stadt, bin ein Verlierer, Baby“. Die Betonung des eigenen Loser-Images begeisterte vor drei Jahren das Feuilleton und die Anlehung an Becks größten Hit ist auch 2014 gar nicht mal so peinlich. So schallt der Refrain aus schwäbischen Kehlen, ist gar nicht ostalgisch aber ziemlich gut.
Immer wieder werden „Randale“-Rufe laut. Darauf aber müssen die Fans noch bis zu den Zugaben warten. „Der Song ist für uns wie ‚Kids‘ für MGMT“, spottet Brummer. Dann spielt man den nominell größten Hit des Kollektivs: „Songs für Liam“. Alles tobt, alles sitzt, springt dann auf. Die Stimmung ist immens und kann auch bei den Zugaben („Mein Rad“, „Randale“, „Scheißindiedisco“) nicht übertroffen werden, auch wenn Brummer hier das schwarze Polo-Hemd auszieht und einige im Publikum mitziehen. Die Ankündigung, dass man sich bald in der Schleyer-Halle wiedersehe, wird mit „Buh“-Rufen quittiert, Brummer aber begründet, warum man die echten Fans als wichtige Stimmungsmacher gerade in großen Hallen benötige, außerdem sehe man sich auch bald auf dem Southside-Festival wieder.
Stagediving und glückliche Fans stehen am Ende eines schweißtreibenden Abends. Aber die sind ja jetzt Mainstream, wie wir wissen. Nein? Wenig später will ein Mädchen im schwarzen Kraftklub-Shirt von ihrem Begleiter in der U6 Richtung Hauptbahnhof wissen, von wem man da eigentlich im größten Hit singt. „Was ich mich schon immer gefragt habe, wer isch eigentlich dieser Liam?“