WARPAINT, BLAENAVON, 03.09.2014, Universum, Stuttgart
Ein bisschen drängen musste man mich schon zu diesem Konzertgang, sagt mir die Band doch mal wieder nix (meine Indie-Ignoranz hat mittlerweile üble Ausmaße angenommen; scheiss neue Internetwelt, in der man sich seine Quellen so geschmacksindividuell wie nur möglich selbst aussuchen kann, und dadurch Sachen übersieht, die dann doch ein wenig bekannter sind). Aber Schmoudi will unbedingt hin, und das Schreiben an meinem halb autobiographischem Erfolgs-Herren-Roman „Pino – Schicksalsjahre eines Sachbearbeiters“ stockt auch, Zeit ist also da. Mädelsband, Psychedelic, Skateboard, Frusciante sind die wenigen, wirren Vorabinfos zu Warpaint.
Nicht sehr viel klarer ist der Vorabcheck des Publikums, der verrät mir nämlich auch nicht, was ich musikalisch zu erwarten habe. Erstaunlich viele ältere Mitbürger sind darunter. Tatsächlich noch älter als ich, mit noch breiterem Mittelscheitel (lies: Fleischmütze), und einer sieht tatsächlich aus wie ein Hybrid aus Loriot und Dr. Emmett Brown, schwör. Nochmal kurz checken, tatsächlich, Warpaint spielen heute Abend, nicht Warlock. Ok, zum Ausgleich sind auch recht viele Frauen da, sowie Typen mit top gepflegter Grungefrisur. Und voll ist es, als es gegen 20:30 mit Blaenavon los geht.
Das Trio beginnt mit einem Song, der mich zuerst ein wenig an Elbow erinnert, um dann in etwas härtere, dunklere Passagen umzuschlagen. Aber jetzt nicht so Goth-Metal düster, wir verbleiben hier im Bereich von Indiegitarrenmusik. Der Gesang ist sehr expressiv, mit einigen Falsettpassagen, und wahrscheinlich erinnert es mich deswegen gelegentlich an Jeff Buckley (siehe da, der NME schreibt das auch). Aber auch Placebo und Maximo Park können manchmal herhalten für lockere Vergleiche, wobei Blaenavon weniger poppig sind als letztgenannte. Nicht so richtig meine Tasse Musik, aber kompetent ist es schon, was die da spielen, und die Genreliebhaber haben den ca. halbstündigen Auftritt auf jeden Fall goutiert.
In der ziemlich lang geratenen Umbaupause wird es unterdessen immer wärmer, so dass es bei subtropischen Temperaturen gegen 21:40 mit Warpaint weitergeht. Das Konzert wurde ja vom LKA ins Universum verlegt, was atmosphärentechnisch unbedingt ein Gewinn ist, bühnenblicktechnisch eher nicht. Allzu viel sehe ich von den Girls also nicht, da es mittlerweile auch proppenvoll ist. Hat auch den Vorteil, dass ich ganz unabgelenkt von eventueller Sexyness über die Musik schreiben kann. Wobei, dadurch habe ich mich ja auch damals bei Manowar nicht ablenken lassen.
Mit ruhigen Basstönen, fluffigem Schlagzeug und sphärischem Gesang, geht es sehr introhaft los, um dann nathlos in „Keep Healthy“ überzugehen. Zweistimmiger Gesang, synkopisch gespieltes Schlagzeug, und eine ruhige, tatsächlich psychedelische Grundstimmung. Das zweite Stück „Bees“ hat düstere, leicht schräg-atonale Gitarrentöne aufzuweisen, wahrscheinlich würde man das als Postpunk bezeichnen, auch wenn ich nie genau weiß, was damit gemeint sein soll. Insgesamt hat das Stück so eine leicht beunruhigende Psycho-Stimmung. Nach dem dritten Stück „Hi“, welches zwischem getragenen Tempo und härterem Passagen hin und her wechselt, wird mir so langsam klar, dass es die Mädels sehr ernst meinen mit ihrer Musik. Kein Hype-Produkt, sondern ganz einfach Musikerinnen, die ihr Ding durchziehen.
Eingängige Popmelodien ist nicht das Ding von Warpaint. Ihre Musik will einen beschäftigen, will öfters gehört werden. Lassen mich die ersten Songs noch ein wenig kalt, zieht es mich dann nach und nach doch in diesen speziellen Klangkosmos rein. Vor allem der Gesang, teils wechselnder Leadgesang, teils mehrstimmige Chorgesang, erzeugen eine sehr eigenwillige Grundstimmung. Singen tun sie nebenbei ganz hervorragend, und das Schlagzeugspiel darf auch hervorgehoben werden.
Zudem weiß die Band sehr gut die Dynamik in den Sounds zu variieren. Die alte Erkenntnis: Laut ist dann erst so richtig geil, wenn es vorher leise war. Und langsam, wenn vorher schnell war und umgekehrt. So bleibt das Konzert trotz aller düsterer Grundstimmung und oft getragenen Parts, stets spannend. Das letzte Stück des Hauptsets „Elephant“ steigert sich sogar so dermaßen in seinem finalem Part, dass es richtig begeisternd ist.
Der Zugabenteil hält das Niveau. Hier kann man noch mal final konstatieren, dass Warpaint tatsächlich so etwas wie ihren eigenen Sound erschaffen haben, auch wenn der völlig verbotene Joy Divison-Vergleich für Gitarre und Bass jetzt doch mal bemüht werden will. Und in ca. 95% aller Fälle ist es ein Kompliment, wenn man sagt, eine Band habe ihren Stil entwickelt. Hier gilt das auch. „Disco“ ist die letzte, famose Zugabe, das Ende eines 75 minütigen Sets, in dem es nur um Musik ging. Sehr, sehr gute Musik.
Schöner Artikel! Bin auf der Suche nach der Setlist hier gelandet. Kann die hier noch jemand rekonstruieren oder hat evtl. sogar eine in Papierform abgestaubt?
Hi Andi,
also, laut dem Zettel, der neben dem Mischpult lag, müsste das die Setlist gewesen sein:
– Keep It Healthy
– Bees
– Hi
– Composure
– Undertow
– Love Is To Die
– Drive
– No Way Out
– Elephants
___
– Billie
– Beetles
– Disco
Perfekt, vielen Dank! :)