THE INDELICATES, 05.07.2014, Wohnzimmer, Stuttgart
Wer die Indelicates live sehen möchte – und welcher Indie-Feinschmecker möchte das nicht? – muss sich entweder in großer Geduld üben oder zu einem ihrer raren Gigs nach London reisen. Touren der Band außerhalb Englands sind sehr selten geworden. Umso schöner, dass nach dem letzten privat organisierten Gig der Kontakt zu Julia und Simon Indelicate nie abgerissen ist und sich die zwei anlässlich eines Familienbesuchs in Bayern daran erinnern, in Stuttgart ein Grüpplein begeisterter Fans zu haben. Und so legen sie zwischen ihrem Urlaub in Frankreich und dem Besuch in der bayrischen Provinz einen Zwischenstopp in Stuttgart ein.
Es ist Samstag, WM-Viertelfinale, und während halb Stuttgart vor der Glotze hängt und die andere Hälfte es sich auf dem Marienplatzfest gutgehen lässt, hat Familie Rohr mal wieder einen wunderbaren Rahmen für ein Wohnzimmerkonzert geschaffen. Und dieses füllt sich gut, die üblichen Verdächtigen sind dabei, aber auch ein paar neue Gesichter.
Dass die Indelicates auch als Duo begeistern, davon konnten wir uns schon vor drei Jahren im Galao überzeugen, aber in der familiären Atmosphäre fühlen sie sich offensichtlich noch wohler als in dem kuscheligen Café – und präsentieren sich vom ersten Ton an mit bester Spiellaune und mächtiger Energie. Im Vorfeld wurde sogar eine Wunschliste angefragt und so überrascht es nicht, dass gleich zum Auftakt mit Hits wie „Europe“ und „I Am Koresh“ der Boden bereitet wird für ein wahrlich intensives Konzert-Erlebnis. Das Programm besteht natürlich aus Songs aller vier Alben, bringt aber auch ein paar Titel aus Simons Musical über Elvis auf Hawaii (oder so ähnlich, die skurrile Story bleibt etwas im Dunkeln). Natürlich nutzt Simon die Gelegenheit, ein paar urkomische Elvis-Parodien dazwischen zu knödeln.
Überhaupt: Witz, (Selbst-)Ironie und britische Exzentrik ziehen sich wie ein roter Faden durch den Abend. Vor zehn Jahren habe er das folgende Lied geschrieben und nicht im Traum daran gedacht, dass er es immer noch singen würde: „Waiting For Pete Doherty To Die“. Bemerkenswerter Zufall: ausgerechnet heute spielen die Libertines ihr erstes Konzert in London seit zehn Jahren.
Es ist nicht gerade leicht konsumierbar, das Werk der Indelicates. Das Spektrum reicht von zuckersüßen Mädchen-Liedern, über Brecht-Weillschen Sprechgesang bis hin zu punkigen Indie-Rock. Und dann kommt noch das riesige Spektrum skurriler Themen dazu. So stoßen die Titel aus dem Konzept-Album „David Koresh Superstar“ immer wieder auf ratlose Gesichter. Nur die wenigsten kennen die Geschichte vom Massen-Selbstmord einer texanischen Sekte und es bedarf schon einer ordentlichen Portion seltsamen Humors (und musikalischer Brillianz) um aus diesem Thema ein Rock-Album zu zimmern.
Auch das aktuelle Album „Diseases of England“ ist ein komplexes Werk mit verstörenden Stilwechseln. Im Rahmen eines besonderen Crowdfunding-Projekts – die Indelicates bezeichnen sich als „prowd to be unsigned“ und treten als Aktivisten gegen die englische Variante der GEMA auf – erschien das Album übrigens zuerst in Form von drei EPs. Die Einnahmen aus einem Part finanzierten jeweils die Produktion des nächsten. Hochpolitische Titel wie „Class“ oder „Bitterness Is The Appropriate Response“ liefern messerscharfe Statements zum neoliberalen, spätkapitalistischen England – und wechseln sich ab mit Balladen wie „Not Alone“, „Dovahkiin“ und „Everything Is Just Disgusting“.
All diese Balladen werden an diesem Abend gespielt und „Everything Is Just Disgusting“ singt Simon mit der Handpuppe mit seinem Konterfei, mit der bereits das Video zum Song gedreht wurde. Er mache dies, erklärt er hinterher im Gespräch, um einen Abstand zwischen sich und diesem rabenschwarzen Song zu schaffen. Anders sei er kaum zu ertragen. Die ironische Distanz und übertriebene Gestik der Handpuppe machen den Titel zu einem gleichzeitig ergreifenden und lustigen Höhepunkt des Abends.
Band und Publikum sind sichtlich voneinander begeistert. Da wird der Refrain im Chor mitgesungen, Titelwünsche hereingerufen und Songs durch Wunsch-Musikstile verfremdet. (So variabel die Indelicates auch sein mögen, mit Reggae und Heavy Metal tun sie sich dann doch schwer) Kurzum: dieser Abend verläuft so wunderbar, da werden so viele neue Fans gewonnen und stapelweise Alben verkauft, dass wir uns wohl Hoffnungen machen dürfen, dass Stuttgart ein fester Bestandteil auf den schmalen Tourplänen der Indelicates wird.
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