ASTRONAUTALIS, JOHNNY TON, 03.06.2014, Keller Klub, Stuttgart
Das war ja klar. Wenn ein Künstler stilistisch so konsequent zwischen den Stühlen sitzt wie Andy Bothwell aka Astronautalis, dann wird’s schwierig, ein entsprechendes Publikum zu finden. Zumindest in Stuttgart. Dass es sich andererorts schon längst herumgesprochen hat, was für eine beeindruckende Live-Performance der Amerikaner zwischen HipHop und Alternative Rock abliefert, davon kann man sich bei Youtube überzeugen. In Stuttgart – der angeblichen HipHop-Hochburg – finden sich aber gerade mal drei Dutzend Zuschauer im Keller Klub ein. Logisch: für Kopfnicker ist das zu alternativ, für Indie-Hipster zu viel Eminem und für den coolen lokalen Underground zu wenig Underground. Für aufgeschlossene Musik-Feinschmecker ein Fest.
Ein Glücksfall war das Booking des Support Acts, der Stuttgarter Youngsters Johnny Ton. Und zwar aus mehreren Gründen. Das Quintett, dass erst kürzlich das Halbfinale eines großen Band Contests gewonnen hat, und nun auf einen Slot auf dem Southside Festival hoffen darf, liefert nämlich nicht nur ein beeindruckendes Set ab, es bringt vor allem auch einige Fans mit. Sonst hätte Astronautalis’ Zuhörerschaft vermutlich an zwei Händen abgezählt werden können. Die fünf spielen jedenfalls einen mächtig druckvollen Power-Pop/Alternative Rock mit deutschen Texten. Sänger Luca Opifanti ist ein echter Strahlemann mit einer wunderbar kratzigen Rockstimme. Und als er in einem Titel davon singt, dass er gerne der James Dean einer gewissen Marilyn sei, kann man sich tatsächlich eine kleine optische Ähnlichkeit einbilden.
Die Band ist (vermutlich durch viele Vorbereitungsgigs für den erwähnten Contest) perfekt eingespielt und bringt mühelos ein äußerst variantenreiches Set auf die Bühne. Erfrischend ist die Spannbreite bei den Tastensounds. Mit einer Wurlitzer-Orgel, diversen E-Piano-Sounds und einem Akkordeon werden immer wieder neue Akzente gesetzt. Der Mischer leistet übrigens hervorragende Arbeit. Immer wieder wird nachjustiert, der Sound ist ebenso transparent wie druckvoll. Gleich der zweite Titel namens “Keller Klub” untermauert übrigens die lokale Verbundenheit. Und ein wirklich ergreifender Höhepunkt des Abends ist die Ballade “Peter” für den mit neunzehn Jahren gestorbenen Freund. Das ist völlig unkitschig und sehr authentisch.
Egal, ob das jetzt klappt mit dem Southside oder nicht; ich würde mich sehr wundern, wenn wir von dieser Band nicht noch mehr hören sollten. Sehr nett auch, dass sie sich nach ihrem Set nicht ins Backstage verkrümeln, sondern mitsamt ihren Fans dem Auftritt von Astronautalis einen etwas größeren Rahmen geben. Und außerdem können die Jungs – so gut sie jetzt auch schon sind – von diesem Profi-Performer auch noch einiges mitnehmen.
Astronautalis ist mit seinem Gitarristen Christy Hunt und Drummer Michael McNichols seit fünf Wochen auf Europa-Tournee. Und obwohl er anderswo eine solide Fanbase und volle Gigs zu haben scheint, stört ihn die schüttere Besetzung im Keller Klub ganz offensichtlich nicht. Wie bei einem großen Gig legen die drei mit voller Power los; von Tour-Müdigkeit keine Spur. Die Mischung aus Elektronik und Bass vom iPad und der kleinen Rock-Besetzung funktioniert ausgezeichnet. Der Sound ist rotzig und bildet eine solide Basis für Andys Gesang der zwischen exaltierten Sprech- und rauhem Rockgesang wechselt, der in den hohen, gepressten Tonlagen an Billy Corgan erinnert, worauf mich unser Fotograf hinweist.
Schon nach wenigen Takten hat Astronautalis den Laden im Griff, witzelt rum, dass wir an diesem Dienstagabend unter uns seien und mal richtig abtanzen könnten. Da sei überhaupt nichts peinlich. Es sei denn, es lande irgendwie auf Facebook. Er selbst geht mit gutem Beispiel voran, hüpft von der Bühne und übt sich in eckigen Tanzschritten. Optisch ist er übrigens eine skurrile Mischung aus schwiegersohn-tauglichem Sunnyboy und schwerem Jungen mit tätowierten Händen. Zu zweiterem passend wird auf der Bühne ausschließlich Whisky konsumiert – und zwar in durchaus beachtlichen Mengen.
Astronautalis haut seine Wort-Salven in unglaublichem Tempo, mit einem derben amerikanischen Akzent und enormer Wucht raus. Die aktuell allseits herumgereichte Studie, die belegen will, dass der Wu-Tang Clan einen größeren Wortschatz als Shakespeare und den größten aller Rapper habe, kann ich mir nur dadurch erklären, dass Astronautalis auch hier durchs Genre-Raster gefallen ist und in diesem Vergleich nicht berücksichtigt wurde.
Der Abend verläuft jedenfalls so erfreulich, dass sich die drei nach der obligatorischen Pflichtzugabe zu einem weiteren Nachschlag herausklatschen lassen. Und hier hat Astronautalis noch ein Ass im Ärmel. In einer lockeren Runde Freestyle erzählt er von der Europa-Tour, von Club Mate mit Jim Beam, von Städten, in denen er keine Freunde hat, und deshalb immer damit rechnet, vor einem leeren Saal zu spielen. Kurzum: er plaudert aus dem Nähkästchen, super-sympathisch, entspannt und ohne das Macho-Getue, das solche Freestyle-Einlagen sonst häufig mit sich bringen. Nahtlos geht dies in den Hit „The River, The Woods“ über und setzt den perfekten Schlusspunkt unter einen wunderbaren Konzertabend.
Was für ausdrucksstarke Fotos!