MAIFELD DERBY, 30.05.-01.06.2014, Mannheim
„ Noch bunter, noch schöner, noch grüner“ – eine Devise, die auch den unzähligen Ratgebern für eine heile Welt entspringen könnte, hier geht’s aber um ein Pop-Festival. Eines, das von Beginn an den Anspruch hatte, beim Programm nicht nach den Charts zu schielen und außerdem auf Nachhaltigkeit zu setzen. Das Ergebnis dieser nicht in einen Buchhaltungswälzer, sondern leuchtend an den Himmel geschriebenen Leitlinien sollte das Maifeld Derby sein. Der Zwischenstand gibt Timo Kumpf, dem gestandenen Popakademiker, der zudem noch Bassist bei Get Well Soon ist bereits jetzt mächtig Schub – oder Pferdestärken. Es gibt wenige Festivals, auf denen es derart entspannt und harmonisch zugeht. Aber: Nix da mit Hippie-Abhängerei. Öko nicht Eso, lecker Essen und Trinken zu mächtig fairen Preisen, oder wollte jemand über 2 Derby-Dollar für eine volle Tüte Pommes meckern? Euro gegen Dollar, 1 zu 1, eine Währungsreform für den internen Festival-Markt war auch noch angesagt.
„Wir sind auf dem Level, wo wir hin wollen“, bilanzierte Kumpf am Sonntag und bekam abends beim Konzert von The National, die von 4000 Besuchern euphorisch gefeiert wurden, das Grinsen gar nicht mehr aus dem Gesicht. Plan voll aufgegangen und das im vierten Jahr. Nicht allein kommerziell. Die Stimmung super, kaum Ausfälle bei den Bands. Passt. Bereits freitags, da war’s noch ein wenig luftiger auf dem Gelände, bekam das Publikum einiges geboten. Die Österreicher Bilderbuch zeigten, dass sie längst weit mehr sind als nur die etwas durchgeschossene deutschsprachige Antwort auf Bloc Party. Und Future Islands, die ihren Sound mit dem aktuellen Album „Singles“ deutlich in Richtung griffigen Pop gedreht haben, machten so manchem Fan feuchte Augen. Drinnen im Achtmaster-Zelt zeigte Loop-König Bernhoft wie man als Schleifenleger im Alleingang komplette Songs mit satten Grooves gestalten kann. Stimme hat der Mann sowieso so viel, dass er davon noch abgeben könnte. Wie auch Sohn, der Elektronik-Künstler, der schon bald in derselben Liga wie Apparat und Co spielen wird. Breitwandig, vielharmonisch, überwältigend war sein Auftritt – inklusive erstklassiger Kopfstimme. Beneidenswert.
Hozier, der Ire, traumwandlerisch zwischen Blues, Folk und Indie wandelnd – beim Derby erstmals live in Deutschland, vor drei Wochen in der Show von David Letterman. Logisch, dass genau bei diesem Auftritt die Schwüle den Regen aus den Wolken pressen musste. Stroh gegen Minipfützen, im Reiterparadies kein Problem. Ansonsten Idealwetter und ideale Betriebstemperaturen für etliche Bands. Zum Beispiel für Pond, die zunächst wirkten, als seien sie direkt vom Nightliner auf die Bühne geschlafwandelt, um dann einen Indierock loszubrettern, der auch mit kurzem Postrock-Zwickzwack auftrumpfen konnte. Oder die Mighty Oaks, die beschwingte Multikulti-Folktruppe mit dem Mumford-Dreh, die zu Muntermachern für die Besucher wurden.
Zum Überraschungscoup wurde der Auftritt des deutschen Songwriters Spaceman Spiff, der die mehr als 1500 Besucher unterm Tribünendach des Reitstadions von den Sitzen riss. Er selbst konnte kaum fassen, mit seinen Liedern plötzlich zum Massenphänomen geworden zu sein. Er spielte fürs begeisterte Publikum mittendrin zwischen den Reihen noch unplugged. Ja, auch dafür sind Festivals wie das Derby wichtig. Die nächste Stufe nehmen, wachsen vor Publikum, manchmal sogar über sich hinaus. Auch Lambert, Neoromantik-Pianist und Maskenträger, der mit wohlklingenden Etüden den Begriff „Chill out“ völlig neu definierte, kam groß raus. Bei Acts wie Die Höchste Eisenbahn war die Mega-Stimmung weniger überraschend. Ach ja – auch Poetry Slams und ambitionierte Kurzfilme wurden mit Blick aufs Sand-Rechteck geboten. Eine programmatische Farbe, die von Beginn an beim Derby ausgespielt wurde.
Ein doppeltes Wow ür die vier Damen von Warpaint. Rock der alten Schule psychedelisch neu aufgeladen, die Schweden Johnossi, mit dem ewig jungen Schlagzeug-Gitarre-Konzept, das Wye Oak gerade hinter sich gelassen haben und nun mit Synthie-Blubber-Pop mit Knarz-Bass am Start sind. Get Well Soon, die beim Derby ein großformatiges Heimspiel mit Streichern und Bläsern gaben. Im Format mit dem „Grande Ensemble“ war das stark wie immer. Davon, dass die Band in dieser Saison auf Sparflamme unterwegs ist, war nichts zu spüren. Im Gegenteil. „Ich bin ein Mannheimer“, sagte Konstantin Gropper, der im Hinterland der Stadt lebt. Kann man sagen. Es muss ja nicht immer gleich Jungbusch sein.
The National, Topact des Festivals, hatten sich sehr bewusst fürs Maifeld Derby entschieden. Keine Lust auf große Festivals. Klein, aber fein heißt die Devise. Sänger Matt Berninger, trotz Brille und Anzug ein Bühnenpsycho, wanderte noch immer durchs Publikum und soff sich auf der Bühne die Leber weg. Daneben die hochmotivierten Dessner-Brüder, die musikalischen Motoren der US-Band, die in ihren Songs Melancholie mit so unglaublich viel Adrenalin tränken kann. The National, der Soundtrack so vieler toller Momente, live fast ein wenig blasser als im individuellen Kopfkino. Große Klasse allemal. Wie auch St. Vincent, die mit einer komplett durchchoreographierten Performance auftrumpfte. Als hätte Tim Burton seine Hände im Spiel gehabt. Die Musikerin ein moderner Struwwelpeter, gleichsam tiefgefrostete Fee mit wirrem Blick. Eine Liveactress des komplexen Pop, diese Stimme und aberwitzige Gitarrensoli an der Schnittstelle zwischen Prince und Zappa. Unvergleichlich.
Bekanntlich gibt’s fürs Haldern bereits zur Jahreswende keine Tickets mehr, obwohl noch keine Band bekanntgegeben wurde. Genau diese Richtung hat man mit dem Maifeld Derby auch eingeschlagen. Vorfreuen aufs Fünfte ist bereits jetzt erlaubt.