MOSCOW METRO, 27.05.2014, Tiefbunker Feuerbach, Stuttgart
It’s cold in the bunker.
Barry McNulty zieht seine Jacke wieder an. Wo englische Szenebands die Location sicherlich als Steilvorlage für die obligatorischen Witzeleien genutzt hätten, halten sich Moscow Metro aus Irland bei Temperaturen um die 15°C zurück. Vielmehr scheint das Quartett fasziniert vom morbiden Charme des Tiefbunkers in Feuerbach, inspiriert von seiner Geschichte als Luftschutzbunker, Notunterkunft in der Nachkriegszeit und möglicher Zufluchtsort im Falle einer nuklearen Eskalation zu Zeiten des Kalten Krieges. Der Ort ist wie geschaffen für den kühlen Post-Punk der jungen Band, die wenige Tage vor ihrem Auftritt beim Maifeld Derby ihr Stuttgart-Debüt auf Drängen zweier Stuttgarter Veranstalterinnen von Wohnzimmerkonzerten gibt. Durch das im Trailer zu diesem Festival verwendete „Spirit of a City“ auf die Band aufmerksam geworden, wurde kurzerhand der Booker (und Get Well Soon-Bassist) Timo Kumpf kontaktiert und wenig später ein Termin gefunden.
Beharrlichkeit zeichnet Claudia Zielfleisch schließlich aus. Ebendiese und das nötige Gespür für interessante Künstler sorgten in der Vergangenheit dafür, dass die Feuerbacherin mit ihrer Mitstreiterin Chrissi Koch so manches Konzerthighlight in ihrem Wohnzimmer auffuhr. Nach Auftritten der wunderbaren Folk-Formation This Is The Kit aus England, der Portlander Indie-Hoffnung Lost Lander und French For Rabbits aus Neuseeland wagen die beiden den nächsten Schritt und beweisen ganz nebenbei, welch‘ aufregende Locations unter Stuttgarts Oberfläche verborgen sind. Passend zum Bandnamen geht es für Moscow Metro untertage. Durch familiäre Kontakte zum Verein Schutzbauten Stuttgart den Tiefbunker am Feuerbacher Bahnhof als mögliche Konzertlocation ins Auge gefasst, eignet sich der Sitzraum 5 ausgezeichnet für Konzerte.
„Turn the Lights Down“. Der atmosphärische Sound der Gruppe zwischen mitunter noise-igem Post-Punk, eingägigem Indie-Pop und wavigen Synthie-Wänden wird durch die dicken Betondecken und Wälle gestützt. Kaltes, blaues Neonlicht verstärkt den klaustrophobischen Gesamteindruck noch. Die lyrische Schwere ist erschlagend, doch niemals ins peinlich Prätentiöse abdriftend wie bei den White Lies. Selbst phasenweise an Alphaville erinnernde Keyboards schmälern den positiven Eindruck nicht. Mit Sonnenbrille, bulliger Statur und rauer Stimme erinnert McNulty derweil an Stereophonics-Frontmann Kelly Jones. Manchmal schreit er auch ähnlich, spart sich aber die Machogesten des Walisers.
Erst vor wenigen Wochen erschien die tadellose Debüt-EP „Spirit of a City“ in Eigenproduktion, nichtsdestotrotz machen McNulty, Sean Corcoran, Dylan Casey und Alan Holmes einen ausgesprochen eingespielten Eindruck. Mit geradezu springsteenesker Lyrik (inklusive der markanten Autofahrmetaphorik) und eingängiger Melodie avanciert „Where It All Ends“ von eben dieser CD zum heimlichen Konzerthöhepunkt. Während an anderer Stelle mächtige Wall of Sounds von Bass, Keyboards und Macbook dominieren, rücken hier die Gitarren in den Vordergrund. Dass das keinesfalls als Kritik am meist vorherrschendem Klangbild verstanden werden soll, zeigt der Vergleich zum großartigen „Resurrect Yourself“. Der häufig zweistimmige Gesang, den sich McNulty mit dem Bassisten teilt, bietet neue Facetten an, die Zuschauer sind begeistert und auch die Band und vor allem ihr Frontmann wirken gelöst. Der häufig leidende Blick ist am Ende mehr Stilmittel als tatsächlicher emotionaler Ausdruck. Hin und wieder huscht ihm dann sogar ein Lächeln über die Lippen.
Charmant dankt er der Gastgeberin und lobt ihre Kochkünste. „We stay at some mad woman’s house“, erzählt er lächelnd. Gewisse Parallelen zu The National, der absoluten Konsensband dieser Tage, weckten das Interesse Zielfleischs an Moscow Metro und diese danken dem leidenschaftlichen Fan der großen amerikanischen Indie-Institution mit einem aufrichtigen Tribute. Stimmgewaltig und im Gegensatz zu den eigenen pompös instrumentierten Songs gibt es eine reduzierte Version der phänomenalen „Apartment Story“. Qualitative Vergleiche mit Matt Berningers Gesang und dem Original sind hier völlig fehl am Platz. Was zählt ist die aufrichtige Hochachtung, mit der das Stück präsentiert wird, und wie nonchalant eigene Ansprüche zugunsten der Schönheit des Moments zurückgefahren werden. Als zweite Zugabe folgt „Venus in the Darkness“, eine dunkle Nummer im Akustikpunkgewand. Zuweilen klingt das wie die dystopische Version von The Gaslight Anthem mit einer gesunden Portion Pathos. Der Abgang nach einem kurzen Kopfnicken des Dankes wird von frenetischem Applaus begleitet.
Das Düster-Morbide, die beklemmende Atmosphäre bleibt trotzdem, obwohl Oliver Welter mit „The Sun“ und seiner Band Naked Lunch aus den Boxen bereits Hoffnung durchschimmern lässt. Doch so einfach geht das nicht. Mit der Akustikgitarre kehrt McNulty noch einmal auf Bitten der Gastgeberinnen zurück und ertränkt mit „Where Is My Mind“ von den Pixies im wahrsten Sinne all den Frohsinn. Das Publikum setzt ein, kein Song würde den Abend besser zusammenfassen. Wo in „Fight Club“ Wolkenkratzer explodieren, triumphiert in den Tiefen eines Stuttgarter Bunkers eine großartige Band am Anfang ihrer Karriere. Ein letztes, kollektives Singen des Refrains, dann ist nach knapp 70 Minuten Schluss. Was bleibt, ist ein unvergesslicher Abend für alle Beteiligten, der dem allgemeinem Wunsch nach hoffentlich einmal als liebgewonnene Tradition alle paar Monate seine Nachfolger finden wird.